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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Abreise bestand, that er ja, als wäre das ein Verbrechen, und drohte mir wieder mit Selmas Lungenflügeln, die noch immer nicht in Ordnung sein sollen. Nun gut, ich habe auch noch dies Opfer gebracht, aber es ist das letzte. Wenn wir erst in Martinsfelde sind und es kommt mir wieder eine sogenannte ärztliche Autorität über die Schwelle, dann –“

Sie vollendete nicht, aber der Blick, mit dem sie den gerade anwesenden Repräsentanten des verhaßten Standes anschaute, hätte diesen eigentlich vernichten müssen; statt dessen verbeugte sich Bertram mit dem liebenswürdigsten Lächeln.

„Sie überschätzen mich, Fräulein Mallner,“ versicherte er. „Ich bin keineswegs eine Autorität, nur ein ganz bescheidener Jünger Aeskulaps, aber ich bin Ihnen unendlich verbunden für Ihre schmeichelhafte Meinung.“

Ulrike stand plötzlich auf, sie war zu Ende mit ihrem Vorrat an Grobheit, diesem Menschen war nicht beizukommen. Sie erklärte deshalb, es sei zu heiß auf der Terrasse und man müsse hineingehen. Selma und Herr Ellrich erhoben sich gleichfalls, aber Doktor Bertram that genau dasselbe und trat mit in die große Halle, als gehörte er zu der Gesellschaft.

„Unser Hotel ist vollständig besetzt!“ sagte das Fräulein mit unverkennbarer Schadenfreude.

Bertram hatte diese betrübende Thatsache schon gestern abend erfahren, wo er vom Dampfer schleunigst hergestürzt war, um sich ein Zimmer zu sichern; sie überraschte ihn also nicht, und er versetzte mit heiterer Unbefangenheit: „O, ich bin in dem meinigen recht gut untergebracht. Ich will nur eine Nachricht für meinen Freund Ehrwald zurücklassen, der hier wohnt. Er ist leider ausgeritten, aber ich werde am Nachmittage wiederkommen. Ich werde ihn überhaupt sehr oft besuchen, denn es gefällt mir hier ausnehmend.“

Mit dieser tröstlichen Versicherung empfahl er sich nun endlich und ging, um dem schwarzen Pförtner eine Karte für Ehrwald zu übergeben. Es war wohl nicht bloßer Zufall, daß Selma gleich darauf so eilig die Treppe hinauflief, um ihren Hut und das Arbeitskästchen nach ihrem Zimmer zu tragen. Ulrike blieb mitten in der Halle stehen, wo sich zum Glück sonst niemand befand, sah ihren Landsmann an und fragte mit dumpfer Stimme: „Was sagen Sie dazu?“

Der Landsmann sagte vorläufig gar nichts. Er hegte eine dunkle Furcht, daß sich das Pulverfaß gegen ihn entladen werde, wenn er irgend eine unliebsame Antwort gebe, endlich erwiderte er vorsichtig: „Sie scheinen den Herrn Doktor Bertram nicht besonders gern zu sehen.“

„Diesen Menschen?“ rief das Fräulein mit einem krampfhaften Auflachen. „Freilich, Sie haben ihn ja heute zum erstenmal gesehen und wissen nicht, daß er uns schon wochenlang verfolgt. Von Alexandrien ist er uns nach Kairo gefolgt, von Kairo nach Luksor. Ich habe alles mögliche versucht, ihn loszuwerden, zuerst versuchte ich es mit der Grobheit, und ich kann sehr grob sein, das versichere ich Ihnen!“

Sie schaute den kleinen Herrn herausfordernd an, ob er sich etwa erlaube, daran zu zweifeln, er machte aber nur eine zustimmende, etwas ängstliche Verbeugung, die hinreichend ausdrückte, daß er diese hervorragende Eigenschaft der Dame in ihrem vollen Umfange kannte und schätzte, und dadurch befriedigt, fuhr sie fort:

„Aber bei dem verfängt das nicht! Seit wir ihm damals in der Muski begegneten, heftet er sich förmlich an unsere Fersen. Wir gehen aus, um noch ein paar Einkäufe für die Reise zu machen, da taucht er plötzlich auf, gesellt sich zu uns und behauptet, er müsse auch einkaufen. Wir sind bei dem Doktor Walter, um uns zu verabschieden, da erscheint er auf einmal, sagt dem Diener: ‚Ich muß den Kollegen augenblicklich sprechen, eine dringende medicinische Angelegenheit!‘ und dabei marschiert er in das Sprechzimmer, wo der Doktor sich mit Selma befindet, während ich draußen sitze. Wir gehen an Bord des Dampfers, da steht er schon auf dem Verdeck und erklärt, er wolle uns Lebewohl sagen. Er blieb denn auch bis zur letzten Minute und kam nur noch mit genauer Not ans Land. Hier in der Wüste glaubten wir wenigstens vor ihm sicher zu sein, und jetzt ist er schon wieder da – es ist furchtbar!“

„Aber welchen Grund hat denn dieser Herr, Sie so unausgesetzt zu verfolgen?“ fragte Ellrich, der bei dieser Schilderung ganz ängstlich geworden war.

Ulrike antwortete nicht sofort, obgleich es ihr nachgerade klar geworden war, welcher Magnet den jungen Arzt anzog. Sie hatte sich lange gesträubt, daran zu glauben, daß irgend ein Mensch und wäre es selbst ein Arzt – sich bis zu der Höhe des Frevels versteigen könne, um die Witwe des seligen Martin zu freien und sie ihrer Witwenschaft abwendig zu machen; aber schließlich sah sie doch ein, daß diese Frevelthat wirklich beabsichtigt war, und seitdem war ihr ganzes Dasein ein ununterbrochener Kampf dagegen gewesen.

„Auf meine Schwägerin hat er es abgesehen!“ brach sie endlich aus. „Und alle Welt kommt ihm zu Hilfe. Auch Herr Sonneck findet gar nichts so Ungeheuerliches an dieser Heirat.“

„Ah so, heiraten will der junge Mann!“ rief Ellrich erleichtert. „Weiter nichts?“

„Ist das etwa nicht genug?“ Das Fräulein rückte ihm bei dieser Frage so drohend auf den Leib, daß er ängstlich zurückwich.

„Ja gewiß – natürlich – aber wenn nun Frau Mallner damit einverstanden ist?“

„Das wollte ich ihr nicht raten, und diese himmelschreiende Undankbarkeit traue ich ihr denn doch nicht zu! Als blutarme Waise haben wir sie aufgenommen, jetzt ist sie eine vermögende Frau und auf ihr Vermögen allein hat es dieser Doktor abgesehen, das habe ich Selma schon hundertmal gesagt.“

„Weiß er denn überhaupt davon?“ warf Ellrich ein.

„Nein, aber er spekuliert darauf,“ behauptete Ulrike in höchst unlogischer Weise. „Aber noch bin ich da und ich werde dafür sorgen, daß der schändliche Plan nicht gelingt. Mein seliger Martin würde sich ja im Grabe umdrehen, er würde im Jenseits keine Ruhe haben, und wenn er wiederkommt – dieser Spekulant, dieser Intriguant, dieser –“ Fräulein Mallner suchte nach Worten, die eine noch höhere Verachtung ausdrücken sollten, fand sie aber nicht und wiederholte deshalb drohend: „Noch bin ich da – und Sie, Herr Ellrich, Sie werden mir helfen, Selma zu bewachen, wir dürfen sie nicht eine Minute allein lassen!“

Herr Ellrich schien nicht gerade erbaut zu sein von der ihm zugewiesenen Rolle und machte einen Versuch, sie abzulehnen.

„Aber ich werde in den nächsten Tagen gar nicht hier sein. Professor Leutold und Herr Sonneck haben mich so freundlich eingeladen, sie zu begleiten, und da kann ich doch nicht –“

„Sie bleiben hier!“ unterbrach ihn Ulrike gebieterisch. „Sie werden uns beistehen als Landsmann und Deutscher, als Mann überhaupt, denn wir sind zwei verlassene hilflose Frauen, ohne Schutz – das versteht sich ganz von selbst!“

Der kleine Herr blickte mit kläglicher Miene zu der „verlassenen hilflosen Frau“ empor, die von ihm verlangte, er solle sie als Mann und Deutscher schützen, und ihn dabei so ingrimmig ansah, als wolle sie ihn im Weigerungsfalle gleich übern Haufen werfen. Vollständig eingeschüchtert versprach er alles, was sie nur begehrte. Sie nickte ihm gönnerhaft zu und stieg dann die Treppe hinauf, um das Strafgericht über ihre Schwägerin abzuhalten. Herr Ellrich blieb unten stehen und sah ihr nach.

„Eine merkwürdige Frau!“ sagte er halblaut, mit scheuer Bewunderung. „Ich möchte wohl wissen, ob Doktor Bertram mit ihr fertig wird!“




An dem hohen Uferrande des Nils lag eine Gruppe von Dattelpalmen, deren mächtige Kronen Schutz gewährten vor den sengenden Strahlen der Sonne. Es war ein glühend heißer Tag, wie er in dieser Jahreszeit selbst hier zu den Seltenheiten gehört, und die hier weilenden Europäer hielten sich meist in den kühlen Zimmern eingeschlossen.

Am Fuße einer der Palmen saß Lothar Sonneck, der, längst an dies Klima gewöhnt, die Hitze kaum zu empfinden schien, das Skizzenbuch auf den Knien, und zeichnete. Er besaß ein ausgesprochenes Talent dafür, wenn sein Reiseleben ihm auch nie Zeit und Muße gelassen hatte, es wirklich künstlerisch auszubilden, aber seine Mappen bargen eine Fülle von Motiven und Entwürfen, um die ihn jeder Maler hätte beneiden können. Augenblicklich zeichnete er den Landsitz des Herrn von Osmar, der sich in geringer Entfernung auf einem Vorsprunge des Ufers erhob, von schönen Dum- und Dattelpalmen umgeben. Er war eben mit seiner Skizze fertig geworden und schloß das Buch, als Schritte hinter ihm ertönten. Gleich darauf stand Reinhart Ehrwald neben ihm und reichte ihm ein Telegramm.

„Eine Depesche aus Kairo, wahrscheinlich von unserem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0103.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)