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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Agenten,“ sagte er hastig. „Vielleicht bringt sie endlich die ersehnte Nachricht, wir warten ja täglich und stündlich darauf.“

„Und da hast Du es natürlich nicht ausgehalten, bis ich zurückkam, und bist im Sturmschritt hierhergelaufen,“ tadelte Sonneck, mit einem Blick in das glühend erhitzte Gesicht des jungen Mannes. Doch dieser unterbrach ihn mit stürmischer Ungeduld: „Schelten Sie mich nachher, aber jetzt, bitte, lesen Sie!“

Lothar öffnete das Telegramm und durchflog es, dann reichte er es seinem jungen Gefährten, der mit äußerster Spannung in seinen Zügen zu lesen versuchte.

„Nun ja, Du hattest recht, es ist die erwartete Nachricht. Der Agent teilt mir mit, daß die letzten Schwierigkeiten gehoben sind. Wir können aufbrechen.“

„Endlich! Endlich!“ jubelte Reinhart laut auf. „Es war auch die höchste Zeit.“

„Das war es allerdings, wir haben fast zwei Monate verloren und müssen uns beeilen, wenn wir das Versäumte wieder einbringen wollen. Ich werde zurücktelegraphieren, daß unsere Leute mit dem Gepäck sofort aufbrechen sollen. Wenn sie für die Hälfte des Weges die Bahn benutzen, können sie in drei bis vier Tagen hier sein und dann –“

„Dann geht es hinaus in die Weite,“ ergänzte Ehrwald mit strahlenden Augen. „Hinein in das Reich der Fata Morgana!“

„Du jubelst ja wie ein Kind bei der Weihnachtsbescherung,“ sagte Sonneck. „Wird es Dir wirklich so leicht, von Luksor zu scheiden, ich meine – von dort?“

Er wies hinüber nach dem Landsitz des Generalkonsuls, der junge Mann lächelte flüchtig.

„Nun, man braucht ja nicht auf immer zu scheiden, man kann sich ja sagen: Auf Wiedersehen!“

„Gewiß, und das hängt wohl nur von Dir ab, aber mir scheint, als hättest Du das Osmarsche Haus in der letzten Zeit eher gemieden als aufgesucht. Das ist von gewisser Seite sehr ungnädig bemerkt worden und ich bin beauftragt, Dir deswegen den Text zu lesen.“

„Beauftragt – von wem? Doch wohl nicht von dem Herrn Konsul?“ fragte Reinhart scharf.

„Nein, von Zenaide, aber weshalb fragst Du?“

„Weil Herr von Osmar sein Benehmen gegen mich geändert hat. Er ist ja höflich genug, aber die Güte und Vertraulichkeit fehlt, mit der er mich sonst behandelte. Bisweilen habe ich sogar das Gefühl, als seien ihm meine Besuche überhaupt lästig und als nehme er sie nur um Ihretwillen hin.“

Sonneck hatte längst die gleiche Beobachtung gemacht, aber er erwiderte mit vollster Gelassenheit: „Er wird wohl entdeckt haben, wie es zwischen Dir und Zenaide steht. Hast Du etwa erwartet, er werde Dich mit offenen Armen aufnehmen, Dich, der nichts in die Wage zu legen hat als seine Zukunft, während auf der andern Seite ein Bewerber steht wie Lord Marwood? Du mußt darauf gefaßt sein, um die Braut zu kämpfen, und Du liebst ja sonst den Kampf so sehr, scheust Du ihn hier allein?“

„Den Kampf mit dem Vater – nein!“ sagte Reinhart heftig. „Aber den mit dem reichen Manne, der in mir vielleicht nur eine Art Glücksritter sieht und mich als solchen verachtet – der Gedanke schießt mir oft heiß durch den Kopf! Wenn ich das jemals empfinden müßte, dann freilich hätte ich das Osmarsche Haus zum letztenmal betreten!“

„Das heißt also – Du würdest Zenaide aufgeben?“

Die Frage klang ernst und vorwurfsvoll. Der junge Mann antwortete nicht, aber in seinen Zügen prägte sich ein herber Trotz aus.

„Wenn Du das kannst, dann liebst Du sie nicht,“ fuhr Sonneck mit Nachdruck fort, „und dann ist es allerdings besser, Du scheidest ohne Erklärung. Lord Marwood wird Dir sehr dankbar sein, wenn Du ihm den Platz räumst.“

Es trat eine Pause ein, Reinhart schien mit sich zu kämpfen, endlich sagte er halblaut: „Halten Sie es für möglich, daß Zenaide einem Manne wie diesem Marwood die Hand reichen könnte?“

„Wenn sie ihren Jugendtraum begraben muß und der Vater in sie dringt – wahrscheinlich! Eine Konvenienzheirat ist ja gewöhnlich das Los von ihresgleichen. Zenaide wollte freilich lieben und geliebt sein! Doch ich möchte Dich da nicht beeinflussen. Es ist immer schwer und verantwortungsreich, in ein Menschenschicksal einzugreifen, am schwersten dann, wenn es nicht die gewöhnlichen Bahnen des Alltagslebens geht. Wenn wir Luksor verlassen, muß die Entscheidung ja doch gefallen sein – so oder so!“

Er erhob sich und wandte sich zum Gehen. „Ich werde jetzt unverzüglich die Depesche nach Kairo aufgeben. Kommst Du mit?“

„Nein,“ versetzte Ehrwald einsilbig, „ich möchte hier bleiben.“

Sonneck winkte einen kurzen Abschiedsgruß und entfernte sich, während sein junger Gefährte sich auf den Boden niederwarf und träumerisch in die Kronen der Palmen hinaufblickte.

Liebte er denn Zenaide wirklich? Er war nicht gleichgültig geblieben dem schönen Mädchen gegenüber, gewiß nicht, aber der geschmeichelte Stolz, der allein Bevorzugte zu sein, wo sich sonst niemand eines Vorzuges rühmen konnte, hatte wohl auch seinen Anteil an dieser Empfindung. Vorhin, als die Nachricht von dem nahen Aufbruch eintraf, da hatte er aufgejubelt in stürmischer Freude. Jetzt endlich that sich die ersehnte Ferne vor ihm auf wie ein goldenes Zauberland, und jetzt empfand er es fast wie eine Fessel, daß er einer Frau Wort und Treue verpfänden sollte, sich binden sollte für die Rückkehr. Mochte der Besitz noch so kostbar sein, eine Fessel blieb es doch!

„Ich glaube, ich tauge nicht für die Liebe!“ sagte er halblaut. „Da liegt es nicht, was ich ersehne, das große, das märchenhafte Glück – aber wo dann?“

Da ertönte helles Kinderlachen in unmittelbarer Nähe. Am Rande des Ufers, das hier ziemlich hoch und steil gegen den Nil abfiel, tauchte ein Köpfchen auf, von einem breitrandigen Strohhut beschattet, dann wurde eine kleine, zierliche Gestalt sichtbar, die sehr geschickt emporkletterte und sich endlich leicht wie ein Vogel auf das Ufer schwang, und nun jubelte eine Kinderstimme: „Ich bin doch die Erste! Komm, Hassan, komm! Ich bin schon oben!“

Reinhart hob den Kopf und gewahrte die kleine Elsa von Bernried, die dort drüben stand und mit beiden Händchen winkte; jetzt zeigte sich auch eine zweite, dunkelfarbige Gestalt, die nicht größer war und eiligst nachstrebte. Sie gewann gleichfalls das Ufer und nun rannten die beiden Kinder erhitzt, atemlos, aber mit lautem Jauchzen den Palmen zu.

„Elsa, wie kommst Du hierher?“ rief der junge Mann erstaunt, die Kleine außerhalb des Osmarschcn Gartens und ohne jede Aufsicht zu sehen. Elsa gewahrte erst jetzt den Daliegenden, zeigte aber keine besondere Ueberraschung bei seinem Anblick. Sie verstand es sonst, einen sehr zierlichen Knix zu machen, und man hatte sie gelehrt, jeden fremden „Onkel“ damit zu begrüßen. Reinhart Ehrwald gehörte aber in ihren Augen nun einmal nicht zu dem weitverbreiteten Geschlechte der Onkel, sie war nie zu bewegen gewesen, ihm diesen Namen zu geben. Sie zog trotzig ihren kleinen braunen Gefährten mit sich in den Palmenschatten und antwortete:

„Wir sind fortgelaufen. Wir sollen immer im Garten spielen und nie an den Nil hinuntergehen! Das ist so langweilig! – Aber heute wurde Fatme in das Haus gerufen und kam nicht wieder, da rief ich den Hassan und husch! waren wir fort.“

„Das war sehr unartig,“ sagte Reinhart strafend.

„Ja, aber es war so lustig,“ versetzte die Kleine, die sich sehr über den Streich zu freuen schien. „Wir haben so schön gespielt und das Lustigste war das Hinaufklettern, nicht wahr, Hassan?“

Der kleine Aegypter stand ungefähr in dem gleichen Alter wie seine Spielgefährtin; besonders schön war er gerade nicht, aber das dunkelbraune Gesichtchen mit den schmalgeschlitzten, pechschwarzen Augen und den wulstig aufgeworfene Lippen hatte einen ungemein drolligen Ausdruck. Man hatte zwar das Möglichste gethan, um ihn zu verschönen, und ihm nach morgenländischer Sitte den winzigen braunen Schädel ganz kahl geschoren. Nur an beiden Seiten, über den Ohren, waren zwei Haarbüschel stehen geblieben, die einsam emporstrebten und ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit einem jungen Uhu gaben. Seine Kleidung bestand in einem Hemde von blauem Baumwollenstoff, das nur leider viel zu lang geraten war, es schleppte am Boden nach und war sehr hinderlich beim Gehen. Dies einzige Kleidungsstück wurde mit vieler Würde getragen, aber das ganze braune Kerlchen war trotzdem behend und flink wie ein Aeffchen.

Die beiden Kinder sprachen ein ganz merkwürdiges Kauderwelsch, aus arabischen und deutschen Brocken gemischt, die sie wohl im gegenseitigen Verkehr gelernt hatten, aber sie verstanden sich vollkommen und wo die Worte nicht ausreichten, nahmen sie eine höchst ausdrucksvolle Zeichensprache zu Hilfe.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0104.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)