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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Elsa hatte ihren Strohhut abgenommen und setzte sich nun, ihr Röckchen sorgsam aufhebend, auf den Boden. Es konnte nicht leicht einen größeren Gegensatz geben als die kleine Europäerin, in dem luftigen weißen Kleidchen, mit dem rosigen Gesicht und dem offenen Blondhaar, sonnig und licht wie eine Elfe, und dem dunkelfarbigen kleinen Afrikaner, der sich an ihrer Seite niedergekauert hatte und sie unverwandt anstarrte wie ein treuer Pudel, der das Auge nicht von seinem Herrn läßt. Auch Ehrwald drängte sich dieser Kontrast auf.

„Du hast Dir ja da einen echt afrikanischen Kavalier ausgesucht,“ spottete er. „Viel Staat kannst Du gerade nicht mit ihm machen, aber ich glaube, ich habe dies kleine Affengesicht schon einigemal in Eurem Garten gesehen.“

„Hassan ist kein Affe!“ belehrte ihn entrüstet die Kleine, die diese Bezeichnung ihres Spielgefährten sehr übelnahm. „Er ist der Sohn unsres Gärtners und ich spiele immer mit ihm, denn er thut alles, was ich will.“

„Und das ist Dir jedenfalls die Hauptsache,“ ergänzte Reinhart. „Also durchgegangen seid ihr und habt trotz des Verbotes unten am Nil gespielt? Da wird Tante Zenaide Dich schelten.“

„Tante Zenaide schilt nie,“ sagte Elsa. „Sie ist sehr, sehr gut, aber auf Dich ist sie böse, weil Du gestern nicht gekommen bist. Sie hat geweint darüber.“

„Geweint?“ Der junge Mann richtete sich halb auf und stützte sich auf den Ellbogen. „Woher weißt Du das?“

„Ich habe es gesehen. Ich glaube, Tante Zenaide mag Dich leiden, aber der Onkel Konsul mag Dich gar nicht.“

„O, Du siebenjährige Weisheit, hast Du das auch schon herausgefunden?“ lachte der junge Mann. „Magst Du mich denn jetzt, kleine Else?“

„Nein!“ kam es mit herber Entschiedenheit von den Lippen der Kleinen, die sich jetzt zu Hassan wandte und mit ihm zu plaudern begann.

„Ich gehe nun sehr bald fort,“ erklärte sie. „Weit fort über das Meer, viele hundert Meilen weit, zu meinem Großpapa nach Deutschland und dann können wir nicht mehr miteinander spielen, Hassan, denn Du kannst nicht mitreisen und mußt in Afrika bleiben. Hast Du das verstanden?“

Hassan verstand die größtenteils deutsche Erzählung durchaus nicht. Er hörte mit offenem Munde zu und grinste höchst vergnügt seine Spielgefährtin an, die sich darob sehr beleidigt fühlte.

Sie wiederholte daher die Worte „Weit, weit fort!“ in der Landessprache und bemühte sich, ihm halb arabisch, halb pantomimisch die bevorstehende Trennung klarzumachen. Es dauerte eine ganze Weile, bis der kleine Aegypter das begriff, er hatte es aber nicht sobald gefaßt, als er auch sofort in ein lautes Geheul ausbrach und unter fortwährendem stoßweisen Schluchzen immer wieder „La! La!“ schrie.

„Er sagt Nein,“ triumphierte Elsa mit einem Blick nach Ehrwald hinüber. „Aber das hilft Dir nichts, Hassan, ich gehe doch fort und Du darfst nicht so schreien darüber. Du bist ja ein Bub’! Schäme Dich doch!“

Der Appell an sein Ehrgefühl fand gar keinen Anklang bei Hassan. Er brüllte weiter, faßte mit seinen schwarzbraunen Händchen den Arm der Spielgefährtin, als wollte er sie festhalten, und brach bei jedem Versuche, ihn zu beruhigen, in ein erneutes Jammergeschrei aus. Elsa war offenbar sehr befriedigt von diesem Eindruck. Sie wollte ihr Taschentuch hervorziehen, um die Thränen abzutrocknen, die über die Wangen des kleinen Aegypters kugelten, vermißte es jedoch.

„Mein Tuch!“ rief sie. „Wo hast Du es gelassen, Hassan? Ich hatte es Dir ja über den Kopf gebunden, weil die Sonne gar so arg brannte und sie Dir alle Haare abgeschnitten haben. Hast Du es verloren?“

Da sie diesmal gleich die Pantomime zu Hilfe nahm, so verstand Hassan sofort, er hörte auf zu schreien und griff sehr betroffen nach seinem Kopfe, wo das Tuch sich nicht mehr fand.

„Dann liegt es unten am Wasser,“ rief die Kleine. „Geh’ gleich hinunter und hole es mir!“

Das war jedoch nicht nach dem Geschmack Hassans, er wollte hier im Palmenschatten bleiben und wehrte sich auf arabisch gegen die nochmalige Rutsch- und Kletterpartie in dem glühenden Sonnenbrand. Da kam er aber übel an bei der kleinen Tyrannin.

„Du gehst und suchst das Tuch!“ befahl sie aufspringend und zeigte gebieterisch auf die Stelle, wo sie emporgeklommen waren. „Du hast es verloren, Du mußt es mir wiederbringen. Lauf, Hassan, lauf!“

Hassan gab den ferneren Widerstand auf. Er trottete ab wie ein gehorsamer Pudel, setzte sich glatt auf den Uferrand und fuhr rittlings hinab in die Tiefe.

„Du bist ja sehr befehlshaberisch angelegt, kleine Else,“ sagte Reinhart, der, obgleich er ganz andere Gedanken im Kopfe hatte, es nicht lassen konnte, sie wieder zu necken. „Aber dies Spielen am Nil sollte man euch ernstlich verbieten. Dem Hassan schadet es nichts, wenn er ins Wasser fällt, der puddelt wieder heraus wie ein junger Hund, Du aber würdest ertrinken, wenn ich nicht zufällig in der Nähe wäre, um Dich herauszufischen.“

„Du sollst mich nicht herausfischen, das leide ich nicht!“ fuhr die Kleine entrüstet auf, aber ihr Zorn reizte den jungen Mann nur noch mehr zum Lachen.

„Oho, ist die Feindschaft so groß, daß Du lieber ertrinken willst? Trotzkopf! Hast Du den Kuß von damals noch nicht vergessen?“

Elsa antwortete nicht, aber sie blitzte ihn feindlich an mit ihren dunkelblauen Augen. Doch Reinhart schien nun einmal ein eigenes Vergnügen daran zu finden, in diese feindseligen Kinderaugen zu blicken, und er that das auch jetzt unverwandt.

„Also Du reisest nun fort?“ hob er wieder an; die Kleine nickte.

„Ja, zu meinem Großpapa nach Kronsberg.“

„Kronsberg!“ Es legte sich wie ein finsterer Schatten auf die Stirn Ehrwalds und er wiederholte das Wort mit einem eigentümlich grollenden Ausdruck.

„Und da ist es sehr schön, sagt Onkel Sonneck,“ fuhr Elsa fort. „Er weiß es vom Großpapa. Bist Du auch schon einmal dagewesen?“

„Ja!“ sagte Reinhart kurz und hart.

„O – erzähl’ mir davon!“

Die Neugier der Kleinen überwog ihre Abneigung, sie kam näher, stellte sich vor den jungen Mann hin, und als er noch immer schwieg, drängte sie ungeduldig: „So erzähl’ mir doch! Ist es schön da? So schön wie hier?“

Er hatte sich erhoben und strich langsam mit der Hand über die Stirn, während sein Auge hinausschweifte in die sonnendurchglühte Landschaft.

„Es ist anders, Elsa, ganz anders! Dort sind hohe Berge, viel höher als hier, sie reichen bis an den Himmel und auf ihren Häuptern liegt Eis und Schnee. Und weite Wälder sind ringsumher, dunkle Tannen, in denen es rauscht und weht und flüstert. Von den Bergen stürzen die Wasser, schäumend und tosend, an den Felswänden jagen die Wolken hin, und wenn die Stürme brausen um die Schneegipfel und durch die Thäler, dann wird es Frühling – in der Heimat!“

Er sprach halblaut und träumerisch, mehr zu sich selber als zu dem Kinde, das ihn nur halb verstand, aber es wehte etwas wie Sehnsucht hervor aus den Worten. Die Schilderung regte trotzdem die Phantasie der Kleinen an, vielleicht dämmerte auch in ihrem Köpfchen eine dunkle Erinnerung an das Land auf, wo sie geboren war und von dem ihr der Vater erzählt haben mochte. Sie hörte gespannt zu und fragte dann lebhaft:

„Und da wohnt der Großpapa? Wirst Du auch wieder hinkommen?“

„Nein – niemals!“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich es hasse!“ brach Reinhart plötzlich mit wilder Heftigkeit aus. Er dachte nicht mehr an das Kind.

Seine Stirn war finster wie die Nacht und seine Augen flammten drohend, während er die Worte zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervorstieß. Der jähe, wilde Ausbruch hätte ein anderes Kind sicherlich erschreckt, aber die kleine Elsa glich nun einmal nicht andern Kindern. Sie hatte dem jungen Manne bisher die vollste Abneigung gezeigt, jetzt schien sie seltsamerweise zutraulich zu werden. Sie kam dicht an seine Seite und fragte angelegentlich: „Waren sie bös mit Dir, die Leute dort?“

„Ja, sehr bös,“ sagte Ehrwald herb. „Ich habe ihnen freilich auch Schlimmes angethan!“

„Und da hast Du geweint?“ fragte mitleidig die Kinderstimme. Reinhart lachte laut auf, aber es war ein grelles, höhnisches Lachen.

„Geweint? Nein, kleine Elsa, da weint man nicht. Man beißt die Zähne zusammen und schlägt um sich, gleichviel, wohin es trifft. Man macht sich Bahn durch das Gesindel und geht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0106.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)