Seite:Die Gartenlaube (1896) 0118.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Wer sich aber durchaus nicht glücklich und zufrieden fühlte, das war Herr Ellrich, der mit jedem Tage melancholischer wurde.

Der Aufenthalt am Nil hatte so schön für ihn begonnen, ein günstiges Geschick führte ihn mit dem berühmten Professor Leutold zusammen, der mit all den tausendjährigen Mumien auf du und du stand, und mit dem noch weit berühmteren Sonneck, der Afrika so gemütsruhig durchquerte wie andere eine Landpartie machen. Die beiden Herren hatten seine bescheiden geäußerte Bewunderung freundlich aufgenommen, ihm bisweilen an ihren Ausflügen teilzunehmen erlaubt, und der rührende Eifer, mit dem er sich zu allen möglichen Dienstleistungen hergab, gewann ihm ihr ganzes Wohlwollen.

Aber das Glück dauerte nur etwa acht Tage, da tauchte der Störenfried auf, dieser unselige Doktor Bertram. Nicht als ob dieser Herrn Ellrich irgendwie zu nahe getreten wäre, er behandelte ihn im Gegenteil stets mit der ausgesuchtesten Höflichkeit; aber Fräulein Mallner hatte ihre Drohung wahr gemacht und den Landsmann zu einem Schutz- und Trutzbündnis gezwungen, das ihm gar keine Zeit mehr übrig ließ, sich den Berühmtheiten anzuschließen. Er versuchte es vergebens, sich dagegen aufzulehnen. Ulrike nahm ihn beim Wort. Er mußte stets zur Hand sein, wenn der Feind sich im Anzuge befand, und das war eigentlich immer der Fall.

Der junge Arzt bekundete nämlich ein dringendes Bedürfnis, seinen Freund Ehrwald alle Tage zu besuchen, und das ging so weit, daß er sogar diese Besuche machte, wenn der Freund gar nicht da war, sondern sich in Theben befand. In diesem Falle pflegte sich der Doktor stundenlang im Zimmer Reinharts einzuquartieren, den er natürlich ins Vertrauen gezogen hatte, und benutzte den kleinen Balkon dieses Zimmers als Beobachtungswarte. Sobald sich die Damen nur blicken ließen, war er da und ließ sich weder durch Grobheit noch durch List fortbringen. Fräulein Ulrike ihrerseits verteidigte mit grimmiger Energie die Witwe ihres seligen Bruders gegen diese frevelhafte Werbung; es gelang dem Doktor nie, die junge Frau auch nur eine Minute lang allein zu sprechen, und wenn der Cerberus, wie er höchst unehrerbietig die Dame nannte, wirklich einmal wich, dann mußte Herr Ellrich diesen beneidenswerten Posten einnehmen.

Es war noch ziemlich früh am Morgen, als Fräulein Ulrike Mallner und ihr Verbündeter im Garten des Hotels auf und nieder gingen. Selma war augenblicklich nicht bei ihnen, sondern befand sich in ihrem Zimmer, um auf Weisung ihrer Schwägerin einen Brief an den Inspektor von Martinsfelde zu schreiben. Da der Feind zu so früher Stunde noch nicht anzurücken pflegte, so konnte man es wagen, die junge Frau auf kurze Zeit allein zu lassen; übrigens behielt man den Eingang des Hauses scharf im Auge.

„Also Sie gehen mit nach Karnak?“ fragte Herr Ellrich. „Ich glaubte anfangs, es sei ein Irrtum, denn Sie machen ja sonst niemals Ausflüge.“

„Herr Sonneck hat uns aufgefordert,“ versetzte Ulrike, „und da er in einigen Tagen abreist, mochte ich es ihm nicht abschlagen.“

Herr Ellrich machte ein betrübtes Gesicht, er hatte gehofft, bei dem Ausfluge wenigstens einige Stunden lang ein freier Mann zu sein, nun war es wieder nichts damit.

„Unsere Gesellschaft wird ziemlich zahlreich sein,“ hob er wieder an. „Professor Leutold, die Herren Sonneck und Ehrwald, wir drei und die beiden englischen Familien aus dem Hotel, die sich anschließen wollen. Eine ganze Kavalkade!“

„Und er ist natürlich auch dabei,“ ergänzte Fräulein Mallner, die sich in der letzten Zeit angewöhnt hatte, den Gegenstand ihres Hasses nur mit dem Fürwort zu bezeichnen.

Ellrich schüttelte den Kopf. „Der Doktor? Ich glaube nicht, daß er mitreitet, er weiß ja gar nichts von dem Ausfluge, der erst gestern abend beschlossen wurde.“

„Er weiß alles!“ erklärte das Fräulein düster. „Und er erfährt auch alles. Es nützt gar nichts, wenn ich mit Selma zurückbleibe, dann belagert er uns hier im Garten. Wissen Sie denn schon, welche neue Bosheit dieser Mensch wieder ausgebrütet hat? Da Ehrwald abreist, hat er dessen Zimmer mit Beschlag belegt und siedelt in einigen Tagen über, dann haben wir ihn vom Morgen bis zum Abend hier. Aber wir werden unsere Maßregeln nehmen, Wir werden Selma vor ihm retten, ich verlasse mich ganz auf Sie!“

„Nein, bitte, das thun Sie nicht,“ fiel der kleine Herr in einem Tone ein, den er für sehr energisch hielt, der aber ziemlich kleinlaut war. „Ich – ich halte das wirklich nicht länger aus.“

Das Fräulein blieb mit einem plötzlichen Ruck stehen.

„Was halten Sie nicht aus?“

„Das ewige Aufpassen und Schildwachstehen“ – er nahm einen Anlauf zur Kühnheit – „schließlich bin ich doch nicht deswegen nach Afrika gekommen! Ueberhaupt: der Doktor, ich habe gar nichts gegen ihn, er ist ein netter Mann, Frau Mallner findet das auch und ich glaube, sie will sich gar nicht retten lassen.“

Die kecke Behauptung sollte ihm übel bekommen, er entfesselte damit einen Sturm ohnegleichen. Ulrike geriet außer sich bei der Andeutung einer solchen Möglichkeit und goß die Schale ihres Zorns nicht bloß über Selma und den Doktor, sondern auch über den ganz schuldlosen Ellrich aus.

Da traten zwei wohlbekannte Gestalten in den Garten, der Doktor und Ehrwald, der ihn abgeholt hatte. Sie grüßten ganz unbefangen und „er“ trieb die Bosheit so weit, freundschaftlich an seine Feindin heranzutreten.

„Guten Morgen, Fräulein Mallner! Schon fertig zum Ausfluge? Wir brechen ja erst in einer Stunde auf, ich reite natürlich mit.“

„Das habe ich mir gedacht,“ sagte das Fräulein und warf ihm einen Basiliskenblick zu. Er lächelte sehr vergnügt.

„Ja, ich war sogleich bereit, als mein Freund Ehrwald mich aufforderte. Wie befindet sich Frau Mallner? Hoffentlich gut! Auf Wiedersehen, meine Herrschaften!“

Ulrike würdigte ihn keiner Antwort, sondern ging im Sturmschritt davon und zwang ihren bisherigen Verbündeten mit einem gebieterischen: „Kommen Sie mit!“ ihr zu folgen. Das war aber auch für den sanftmütigen Herrn Ellrich zu viel. Erst wurde er schlecht behandelt und dann befahl man ihn zur Begleitung in solchem Tone, und das noch dazu vor den Ohren der feindlichen Partei, die höhnisch dazu lächelte. Er ging zwar mit, aber nur bis zum Eingang des Hauses, da setzte er sich störrisch auf die Terrasse, behauptete, er sei müde, und wälzte finstere Entschlüsse in seiner sonst so gutmütigen Seele.

„Der Blick hätte mich eigentlich spießen sollen, glücklicherweise bin ich gut gepanzert,“ sagte der junge Arzt lachend, als die beiden außer Hörweite waren. „Es bleibt also dabei, ich nehme Ihr Zimmer, wenn Sie abreisen; übrigens muß die Sache jetzt zur Entscheidung kommen. Mit einer bloßen Belagerung ist die Festung nicht zu nehmen, das sehe ich nachgerade ein. Da heißt es stürmen!“

„Armer Doktor, Ihnen wird es schwer gemacht,“ spottete Ehrwald. „Sie müssen sich Ihr künftiges Eheglück sauer verdienen, ein anderer hätte da längst den Mut verloren.“

„Ja, ich habe mir den Kampf mit dem Drachen auch leichter gedacht,“ meinte Bertram. „Aber ich bin nun einmal entschlossen, den Sankt Georg zu spielen und die gefangene Prinzessin zu erlösen.“

„Haben Sie denn schon Gewißheit, daß man sich von Ihnen erlösen lassen will?“

„Gewißheit? – Nein! Aber es giebt eine Art von Freimaurerei, die sich mit Blicken und Zeichen verständigt, die habe ich mit Erfolg angewandt, auch meist Antwort erhalten. Ich glaube, ich kann den Sturm wagen.“

„Dann hätte Frau Mallner Ihnen aber Gelegenheit zum Alleinsein geben müssen,“ warf Reinhart ein. „So etwas ist doch zu erzwingen, wenn man ernstlich will.“

„Gewiß, aber Selma hat gar keinen eigenen Willen, sie ist so grenzenlos verschüchtert, daß sie es kaum wagt, mir zu antworten, wenn ich in Gegenwart der andern mit ihr spreche.“

Ehrwald warf spöttisch die Lippen auf. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Doktor, aber das giebt eine etwas langweilige Ehe. Eine Frau, die überhaupt keinen Willen hat und immer Ja sagt – das hielte ich nicht vier Wochen aus!“

„Das ist Geschmackssache,“ sagte der junge Arzt trocken. „Mir ist es gerade recht, wenn meine künftige Frau keinen anderen Willen kennt als den meinigen. Vorläufig steht sie allerdings noch unter der Schreckensherrschaft von Martinsfelde. Und wenn nun noch das unselige Koffergespenst auftaucht –“

„Koffergespenst? Was meinen Sie damit?“

„Den seligen Herrn Mallner, diesen alten Egoisten, der das arme verwaiste Kind schändlicherweise geheiratet hat, ohne es auch nur zu fragen. Ich möchte ihm noch nachträglich den Hals dafür umdrehen! Er wird wohl seiner liebenswürdigen Schwester ähnlich gewesen sein. Dafür hat sie auch sein Andenken mit in den Koffer gepackt und läßt bei jeder Gelegenheit das Gespenst auftauchen. Die arme Selma wird damit halb tot gequält. Wie oft sich dieser Selige schon in seinem Grabe umgedreht hat, das ist gar nicht mehr zu zählen!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0118.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)