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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Sie reden sich ja in eine förmliche Wut hinein,“ lachte Reinhart. „Machen Sie doch der Sache ein Ende!“

„Das will ich auch und womöglich noch heute. Ehrwald, Sie haben mir damals bei Ihrem Duell einen Gegendienst versprochen, jetzt nehme ich Sie beim Wort! Ich muß Selma allein sprechen und der Ritt nach Karnak bietet vielleicht Gelegenheit dazu. Halten Sie mir die Leibgarde vom Halse, nur eine halbe Stunde lang, mehr brauche ich nicht, um ins Reine zu kommen!“

„Das ist ein schwieriger Auftrag,“ sagte Ehrwald bedenklich, „indessen, ich will es versuchen. Dann müssen Sie aber den sanften Herrn Ellrich auf sich nehmen, ich habe genug mit Fräulein Ulrike zu thun, die fordert den ganzen Mann.“

„Abgemacht, wir teilen uns in die Aufgabe. Unserem Landsmann werfe ich irgend einen Hieroglyphenköder hin. Ich erzähle ihm von einer neuen und höchst merkwürdigen Entdeckung, die Sie gestern in Theben gemacht haben, dann geht er Herrn Sonneck und dem Professor einstweilen nicht von der Seite und ich kann die Zeit benutzen. Da sitzt er ja noch! Ich mache mich sofort an ihn.“

Die beiden jungen Männer trennten sich und Bertram schritt nach der Terrasse. Dort saß Herr Ellrich in der That noch, tiefgekränkt und wehmütig. Es war ihm erst nachträglich recht zum Bewußtsein gekommen, wie schmählich er behandelt worden war, und mit welchem Undank seine Aufopferung belohnt wurde. Welch ein Recht hatte denn diese gewaltsame Landsmännin eigentlich, ihn so zu tyrannisieren, und warum ließ er sich das gefallen? „Ja, warum lasse ich mir das gefallen?“ wiederholte er ganz laut, verstummte aber erschrocken, denn in diesem Augenblick trat Doktor Bertram herzu und redete ihn an.

„Nun, Herr Ellrich, Sie sitzen ja so einsam und melancholisch da! Was haben Sie denn?“

„Mir geht es schlecht,“ versetzte der Gefragte in dumpfem Tone.

„Was? Sie sind doch nicht etwa krank? Lassen Sie mich einmal Ihren Puls fühlen.“

Der kleine Herr wehrte die Hand des Arztes ab und schüttelte traurig den Kopf. „Das ist es nicht. Ich meine nur, ich werde so schlecht behandelt.“

„Sie? Von wem denn?“

Herr Ellrich sandte einen anklagenden Blick zu den Fenstern des ersten Stockes empor, aber trotz dieser etwas verschleierten Antwort wurde er sofort verstanden.

„Von Fräulein Mallner? Nicht möglich, Sie sind ja ihr treuester Bundesgenosse!“

„Ja, das war ich bis jetzt, aber wenn man so behandelt wird!“

Der Doktor zog einen Stuhl heran und ließ sich nieder. „Das ist ja merkwürdig, das müssen Sie mir erzählen,“ sagte er.

Herr Ellrich war gerade in der Stimmung, sein Herz auszuschütten. So begann er denn zu klagen über den unfreiwilligen Verzicht auf die geliebten wissenschaftlichen Ausflüge, über die Tyrannei, der er sich hatte beugen müssen, und kam immer wieder auf die schlechte Behandlung zurück, die er für all diese Mühe und Aufopferung geerntet hatte. Bertram hörte mit unendlicher Teilnahme zu und tröstete ihn liebevoll über sein Mißgeschick.

„Ja, Sie haben mir das Leben recht schwer gemacht in den letzten vierzehn Tagen,“ sagte er, „aber ich habe es Ihnen nie nachgetragen, denn ich wußte, Sie standen unter höherer Gewalt.“

Herr Ellrich fand diese Gesinnung sehr edelmütig, aber das brachte ihn nur noch mehr auf und mit einem Anfall von Heldenmut rief er: „Ich werde aber dies Joch abschütteln – ja, das werde ich!“

„Bravo!“ sagte der Doktor. „Ich habe das längst von Ihnen erwartet. Sie sind die begabtere, die höhere Natur, Sie dürfen sich nicht unterordnen.“

Der kleine Herr war ganz gerührt von dieser Auffassung. Er sah erst jetzt ein, wie unrecht er dem jungen Manne gethan hatte, der nun fortfuhr: „Ich darf wohl annehmen, daß es Ihnen kein Geheimnis mehr ist, warum ich immer wieder versuche, mich den Damen zu nähern. Mein Gott, es ist doch kein Unrecht, wenn man liebt und den Gegenstand seiner Neigung zu besitzen wünscht!“

„Nein, das ist im Gegenteil höchst vernünftig,“ erklärte Ellrich. „Sie und Frau Mallner sind jung, und die Jugend will ihr Recht haben. Ich hätte es Ihnen überhaupt nie bestritten.“

„Aber das ist ja herrlich!“

„Und ich werde ihr jetzt zeigen, daß ich so denke. Ich bleibe von jetzt an neutral. Erklären Sie sich, Herr Doktor, machen Sie Ihren Antrag, heiraten Sie in Gottes Namen! Meinen Segen haben Sie!“

„Danke ergebenst,“ sagte der junge Arzt und wollte dem Segnenden freundschaftlich die Hand schütteln, aber dieser wich erschrocken aus und blickte wieder zu den Fenstern hinauf.

„Um Gottes willen! Wenn sie das sähe –“

„Nun, was thut denn das? Ich denke, Sie wollen das Joch abschütteln?“

„Ja, aber – aber nicht gleich. Ich muß mich dazu doch erst sammeln!“

„Gut, so sammeln Sie sich, und wenn der, die – ich meine, wenn unsere verehrte Landsmännin wieder versucht, Sie schlecht zu behandeln, dann wenden Sie sich nur an mich, ich werde schon mit ihr fertig werden.“

Damit stand Doktor Bertram auf und trat in das Haus. Herr Ellrich blickte ihm bewundernd nach. Das war ein Mann! Der fürchtete sich vor keinem Menschen, nicht einmal vor Fräulein Ulrike Mallner.

Aber auch der junge Arzt war sehr befriedigt von dieser Unterredung, und als er die Treppe zu Ehrwalds Zimmer hinaufstieg, war er mit sich einig, daß der Hieroglyphenköder, mit welchem er auf dem Ausflug Herrn Ellrich unschädlich zu machen gedacht hatte, gar nicht mehr nötig sei.

Eine halbe Stunde später versammelte sich die Gesellschaft zum Aufbruch. Auf dem Platz hinter dem Hotel standen die Reitesel mit ihren Führern, aber es dauerte immer noch eine Weile, bis alles zur Stelle und in Ordnung war. Sonneck half ritterlich seinen beiden Landsmänninnen beim Aufsteigen. Selma schwang sich mit seinem Beistande leicht und gewandt auf das weißgraue Eselchen, das für sie bestimmt war und mit seinem bunten Zaumzeug einen sehr munteren Eindruck machte, dagegen kam ihre Schwägerin erst nach Ueberwindung von allerlei Schwierigkeiten in den Sattel. Zwar stand der große schwarze Esel, der den historischen Namen Ramses führte, wie ein Lamm und der Führer, ein halberwachsener brauner Bursche, mit einem schlauen Gesicht und listigen, kohlschwarzen Augen, zeigte sich ungemein dienstfertig, aber es kostete einige Mühe, der Dame, die zum erstenmal ritt, den Gebrauch des Steigbügels und des Zügels klarzumachen. Endlich thronte sie oben und spannte feierlichst ihren unzertrennlichen Begleiter, den riesigen Sonnenschirm, auf. Sie wollte schlechterdings nicht begreifen, daß dies beim Reiten besser unterbleibe, sondern behauptete, sie werde den Sonnenstich bekommen ohne das gewohnte Schutzdach. Man ließ ihr schließlich den Willen und Sonneck gab das Zeichen zum Aufbruch.

Ehrwald und Doktor Bertram waren bereits im Sattel, sie hielten dicht nebeneinander und sprachen leise und angelegentlich. Eben als der Zug sich in Bewegung setzte, sagte Reinhart: „Also ich nehme die Sache auf mich. Ibrahim ist ein schlauer Bursche, ich kann mich auf ihn verlassen. Benutzen Sie Ihre Zeit gut – und nun vorwärts!“

Die Gesellschaft war ziemlich zahlreich, aber es dauerte nicht lange, so teilte sie sich in zwei Hälften. Sonneck und die englischen Herren mit ihren Damen, die sämtlich gute Reiter waren, hielten es nicht aus, im Schritt zu reiten, sie trabten lustig vorwärts und waren schon nach kurzer Zeit eine ganze Strecke voraus. Professor Leutold dagegen ritt langsam und bedächtig, Herr Ellrich und die beiden Damen desgleichen. Es war nur merkwürdig, daß Ehrwald, sonst stets der erste bei solchen Ausflügen, sich diesmal zum Nachtrab hielt. Er ritt neben Fräulein Mallner und verschwendete seine ganze Liebenswürdigkeit an sie, leider ohne Erfolg. Als Freund des Doktor Bertram war er gleichfalls verfemt und erhielt die unliebenswürdigsten Antworten.

Selma dagegen, die leicht und furchtlos im Sattel saß, war so heiter als es die Gegenwart der gestrengen Schwägerin nur zuließ. Sie trug noch immer schwarze Kleidung, weil ihr keine andere erlaubt wurde, aber der helle Strohhut mit dem weißen Schleier war doch ein Zugeständnis, das man dem Klima hatte machen müssen, und das Gesicht der jungen Frau blickte rosig und lieblich darunter hervor. Sie war vollends aufgeblüht in den letzten Wochen, und heute strahlte ihr ganzes Antlitz vor Freude über dies ungewohnte Vergnügen.

Fräulein Mallner bewachte sie und den Doktor wie ein Argus; die Ruhe des Feindes, der sich selbstverständlich auch im Nachtrab befand, täuschte sie durchaus nicht. Er hatte zwar keinen Versuch gemacht, Selma beim Aufsteigen zu helfen, und jetzt ritt er ganz friedlich neben dem Professor und unterhielt sich mit ihm, aber

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0119.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)