Seite:Die Gartenlaube (1896) 0123.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

der in nicht allzuweiter Entfernung lag. Das war nun allerdings eine verzweifelte Lage für Ehrwald, er konnte doch füglich nicht auf und davon reiten und das Opfer seiner Intrigue mutterseelenallein hier zurücklassen, und der unschuldige „Ramses“ war nun einmal für boshaft und gefährlich erklärt worden, man mußte notgedrungen dabei stehen bleiben. Reinhart machte noch einige Versuche, die energische Dame umzustimmen, aber vergebens, sie blieb sitzen, und so ergab er sich denn in das Unvermeidliche. Er sandte Ibrahim mit seinem Esel nach Luksor zurück und schalt ihn der Form wegen noch einmal aus. Der Junge trabte davon, immer noch ganz zerknirscht, mit gesenktem Kopfe, er war aber kaum hundert Schritte weit entfernt, da streichelte er seinen „Ramses“, als wollte er ihn für das ausgestandene Ungemach entschädigen, und lachte wie ein Kobold.

Reinhart überreichte inzwischen mit einer ritterlichen Verbeugung den zurückgebrachten Sonnenschirm, dann setzte er sich gleichfalls in den Wüstensand und sagte: „So, Fräulein Mallner, nun haben wir eine Stunde Zeit – nun wollen wir uns freundschaftlich unterhalten!“ –

Sonneck und seine Begleiter waren längst in Karnak eingetroffen, aber sie warteten auf den Professor, der versprochen hatte, den Führer zu machen, und der denn auch eine Viertelstunde später mit dem übrigen Nachtrab anlangte. Es wurde ihnen zuvörderst die Abwesenheit der beiden Zurückgebliebenen erklärt; sie kamen jedenfalls bald nach und konnten sich dann der Gesellschaft anschließen, die sofort die Wanderung durch die Tempelruinen begann. Aber schon nach wenigen Minuten waren Herr Doktor Bertram und Frau Selma Mallner verschwunden, was freilich nur Sonneck und Herr Ellrich bemerkten. Der erstere lächelte still vor sich hin und der letztere hielt gewissenhaft die versprochene Neutralität ein. Er wich nicht von der Seite des Professors und – ließ der Jugend ihr Recht.

So war mehr als eine Stunde vergangen, die Gesellschaft wanderte in den weit ausgedehnten Tempel- und Säulenhallen umher, staunte die Macht und Größe einer versunkenen Welt an und lauschte andächtig den Erklärungen des Professors. Aber zweie gab es, für die all diese Größe und Weisheit verloren war. Sie hatten weder Auge noch Ohr für die tote, mächtige Vergangenheit, sie hatten nur mit der lebendigen Gegenwart zu thun.

Fern am Rande des Tempels, wo eigentlich gar nichts zu sehen war und wohin sich nur selten der Fuß eines Besuchers verirrte, saß das junge Paar, vor sich die weite, sonnenbeglänzte Landschaft, über sich den tiefblauen Himmel, und auf den alten tausendjährigen Trümmern blühte ein junges neues Menschenglück empor.

Selma saß auf einer umgestürzten Säule und neben ihr Doktor Bertram, der den Arm zärtlich um sie gelegt hatte. Das blonde Köpfchen ruhte an seiner Schulter und die blauen Augen blickten zu ihm empor, aber es standen ein paar Thränen darin.

„Ja, ich bin Dir gut!“ sagte die junge Frau, einfach und innig. „Und ich bin Dir so dankbar für Deine Liebe. Mich hat ja niemand lieb gehabt seit meiner frühsten Kinderzeit, wo die Eltern starben, ich habe es immer nur hören müssen, daß man mir Gnade und Barmherzigkeit erwies, die ich eigentlich gar nicht verdiente, und ich bin so unglücklich gewesen in dem düsteren Hause von Martinsfelde – so grenzenlos unglücklich!“

Bertram streichelte leise das blonde Haar; man hätte nicht geglaubt, daß die Stimme des sonst so übermütigen jungen Mannes einen so ernsten, weichen Klang haben könne wie jetzt, als er antwortete: „Mein armes, süßes Kind! Ich weiß es ja, wie einsam und trostlos Dein Dasein gewesen ist, aber jetzt ist die schlimme Zeit vorbei, jetzt kommt der Sonnenschein. Ich werde es meiner Selma schon zeigen, daß das Leben auch Glück gewährt.“

Das glückselige Lächeln, mit dem Selma zu ihm aufschaute, verriet, wie unbedingt sie dieser Versicherung glaubte, und sich fester an ihn schmiegend, flüsterte sie: „Du sagst ja, ich sei gesund und würde es bleiben. Damals, als ich krank wurde, wäre ich gern gestorben, aber jetzt – jetzt möchte ich so gern leben!“

„Das wollte ich mir auch ausbitten!“ rief der Doktor. „Ich fange ja auch jetzt erst an zu leben. Ich bin allerdings frei gewesen und lustig durch die weite Welt gefahren, aber das Beste hat mir doch gefehlt, das halte ich erst jetzt in den Armen, und nun will ich es auch festhalten, mein Leben lang!“

Damit küßte er seine Braut, das heißt, er fing damit an und hörte vorläufig nicht auf, während er ab und zu ihr leise zärtliche Worte in das Ohr flüsterte, und Selma ließ sich das ohne Widerstreben gefallen, die beiden hatten die ganze Welt vergessen.

„Ich gratuliere von ganzem Herzen!“ ertönte plötzlich Ehrwalds Stimme, der hinter einer Säule auftauchte. „Bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich störe, aber ich muß das Sturmsignal geben – sie ist im Anzuge!“

„Hat nichts mehr zu sagen, wir sind einig!“ rief der Doktor, indem er freudestrahlend aufsprang. „Ehrwald – hier meine Braut!“

Selma hatte sich gleichfalls erhoben und empfing errötend den wiederholten Glückwunsch Reinharts, der jetzt zum Aufbruch drängte. „Und nun hin zu der Gesellschaft und die Verlobung bekannt gemacht! Sie haben noch zehn Minuten Zeit und es ist am besten, die Sache wird gleich veröffentlicht.“

Bertram war durchaus einverstanden mit diesem Vorschlag, ihm war es nicht entgangen, daß Selma bei der Nachricht von der Ankunft ihrer Schwägerin erschrocken zusammenfuhr. Wenn die Verlobung öffentlich verkündet war, gab es keinen Widerspruch mehr. Sie kehrten alle drei zu der Gesellschaft zurück.

Inzwischen hielt Ulrike Mallner ihren Einzug durch das Thor des Tempels. Der zweite Ritt war ohne Hindernis verlaufen, aber der Ritter, der bisher getreulich bei ihr ausgehalten, hatte sie kurz vor dem Ziele verlassen, um das „Sturmsignal“ zu geben. Er überließ es Ibrahim, ihr aus dem Sattel zu helfen.

Sie brauchte die Gesellschaft nicht erst zu suchen, ein lautes, fröhliches Stimmengewirr zeigte ihr den Weg, aber beim Eintritt in die große Säulenhalle blieb sie stehen, als sei sie, wie die Frau des seligen Loth, in eine Salzsäule verwandelt. Die ganze Gesellschaft drängte sich um einen einzigen Mittelpunkt, das war er, der Doktor, mit Selma an seinem Arme! Alles gratulierte und schüttelte ihnen die Hände und Herr Ellrich, dieser Verräter, war mitten darunter! Ulrike sah es mit einem einzigen Blick, die Schlacht war verloren, der Feind hatte gesiegt!

Er zögerte auch nicht, diesen Sieg zu benutzen. Kaum gewahrte er seine Gegnerin, so ging er mit seiner Braut auf sie zu und sagte mit einer wahrhaft vernichtenden Artigkeit: „Sie finden hier ein Brautpaar, Fräulein Mallner. Selma hat mich durch ihr Jawort sehr glücklich gemacht, wir erlauben uns, auch um Ihren Glückwunsch zu bitten.“

Und Selma, die schüchterne willenlose Selma, schien im Bewußtsein des Schutzes, den sie genoß, auf einmal mutig geworden zu sein. Sie zitterte nicht und sank nicht in den Boden, als sie der Blick ihrer Schwägerin traf, sie bestätigte vielmehr das Unglaubliche, leise aber doch mit ziemlich fester Stimme:

„Ja, liebe Ulrike, ich habe mich soeben verlobt.“

Der selige Martin hatte sich nach der Versicherung seiner Schwester im Laufe der letzten Monate sehr oft in seinem Grabe umgedreht, und zwar pflegte er dies nach derselben Quelle gewöhnlich dreimal hintereinander zu thun. Jetzt hatte das keinen Zweck mehr, er blieb ganz ruhig liegen, seine Rolle als Gespenst war ausgespielt. Sprachlos nahm Ulrike die Erklärung Selmas entgegen.

Glücklicherweise beugte der Professor der peinlichen Scene vor, die kommen mußte, wenn jetzt Ulrike das Wort für ihre Erregung fand. Er machte der jungen Frau scherzhafte Vorwürfe, daß seine altägytischen Erklärungen durch ihre Verlobung einen ganz modernen Schluß erhalten hätten und daß er sich das nicht gefallen lassen könne. Währenddessen fand der Doktor endlich Zeit, Ehrwald heimlich die Hand zu drücken.

„Ich danke Ihnen,“ sagte er leise, „das war ein Freundschaftsstück.“

„Aber das heißeste, das ich je geleistet habe!“ gab Reinhart lachend zurück. „Eine volle Stunde habe ich im Wüstensande gesessen mit dieser liebenswürdigen Dame und mich schlecht behandeln lassen wie Herr Ellrich – die Schuld von damals ist mit Zinsen heimgezahlt.“

Ulrike hatte sich inzwischen einigermaßen gefaßt. Sie wäre am liebsten wie ein Racheengel zwischen die beiden getreten, aber soviel Besinnung besaß sie doch, sich zu sagen, daß, wenn Selma überhaupt den Mut hatte, sich ihrer Bevormundung zu entziehen, sie machtlos war. Doch ein Opfer wenigstens mußte sie haben und so stürzte sie sich auf den armen Ellrich und schleppte ihn bis an den Fuß einer fernen Säule.

„Auf Sie habe ich mich verlassen!“ raunte sie ihm mit halberstickter Stimme zu. „Aber Sie haben mein Vertrauen schmählich getäuscht. Sie haben dabei gestanden und ohne Einsprache alles mit angesehen!“

„Nein, dabeigestanden habe ich nicht,“ erklärte Herr Ellrich, der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0123.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)