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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

dem Wagen Platz genommen, ging es die etwas holperige Straße nach Compiègne zu. Schon nach einer kurzen Strecke stieß der zweirädrige Karren heftig gegen einen Stein, was das Platzen eines morschen Gurtes, der die Gabel hielt, zur Folge hatte. Der Karren kippte nach hinten um und schleuderte die ganze Beute sowie den oben sitzenden Jäger zur Seite. Gelächter auf der einen und Schimpfen auf der anderen Seite war die Folge dieses unfreiwilligen Intermezzos. Inzwischen war ein französischer Forstmann, der sich bitter über die angebliche Verwüstung des Wildstandes beklagte, herangetreten, wurde aber freundlichst aufgefordert, beim Wiederaufladen des Wildes zu helfen. An jenem Jagdzug nahm auch ein Sergeant des sächsischen 1. Jägerbataillons „Kronprinz“ Nr. 12, Gustav Balzer, teil, der, gleichfalls gelernter Forstmann, die Malerei als Autodidakt betrieb. Er benutzte später den humoristischen Vorfall, dessen Augenzeuge er geworden, als Motiv zu einem großen Oelgemälde, das er am 16. Juni 1894 dem Gardejägerbataillon in Potsdam zum Jubiläum seines 150jährigen Bestehens stiftete. Unsere Illustration ist eine Wiedergabe dieses Gemäldes – zugleich eine Jagderinnerung aus der Zeit des großen Krieges.

Ein siebenbürgisch-sächsisches Brautpaar.
Nach einer Photographie von Wilh. Auerlich in Hermannstadt.

Auf dem Rialto. (Zu dem Bilde S. 129.)

„Fahr’ mich hinüber, junger Schiffer,
Nach dem Rialto fahre mich!“ ...

Das ist ein altes Lied, ein heimisches Volkslied, das schon von unseren Vätern und Müttern gesungen wurde. Was sie sich schwärmend bei dem „Rialto“ dachten, ist schwer erfindlich; uns Kindern war’s ein Klang wie ein anderer auch, wie etwa der von dem rätselhaften „Fridolin“. Vielleicht hätten wir in Großvaters schweinslederner Bibliothek eine alte Scharteke aufgestöbert: „Das Jetztlebende Italia, das ist kurtze doch gründliche Beschreibung des Welschlands. Gedruckt zu Lindau im Bodensee. In Verlegung Theodori Hechtens. 1681.“ In diesem wohl ältesten „Bädeker“ über Italien ist dann zu lesen, was fast wörtlich auch der jüngste schreibt: „Der große Canal ist sehr breit, aber er ist nicht gerad, sondern gehet Schlangen-weise durch die Statt Venedig, so eine Zierd der gantzen Christenheit ist. Die Bruck Realto, so über diesen Canal gehet, stehet in der Mitten und ist die kühnste Bruck, so man sehen kann, denn es ist nur ein Bogen, wunderbarlich lang, breit und hoch und seynd vier Reyen Läden darauff, biß an der Zahl acht und viertzig, sambt 3 schönen Gassen vor die fürübergehende. Und diese Bruck ist ein Wunder der Welt.“

Der Zweck dieser Brücke ist, die beiden durch den Großen Kanal geschiedenen Hauptteile Venedigs miteinander zu verbinden, und bis über die Mitte unseres Jahrhunderts hinaus war sie die einzige, solche Verbindung herstellende Brücke. Sie bestand schon – allerdings nur aus Holz – als das älteste Venedig begann, sich aus den Lagunen zu heben. Erst sehr spät von 1588–1591, unter dem Dogen Pasquale Cicogna, stellte Meister Antonio da Ponte sie aus weißem Stein von Istrien her. Sie ruht auf 12000 Pfählen, ist 48 m lang, 22 breit und spannt sich in einem einzigen, fast 28 m weiten Bogen über die Flut. Noch immer trägt sie ihre Budenreihen wie in alter Zeit, noch immer entwickelt auf ihr sich ein ameisenähnliches Leben vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein, denn sie führt zum Gemüse- und Früchte-, wie zum Fischmarkt, zu dem Tribunal, dem Assisenhof und zahlreichen anderen öffentlichen Anstalten; die bekannten Fabbriche Vecchie und Nuove, letztere von Sansovino 1555 erbaut, sind in der Nähe.

Und wenn wir hier nicht die interessanten Schillerschen Figuren wandeln sehen:

„Den düstern Räuber und den heitern Spielmann,
Den Säumer mit dem schwerbeladnen Roß –“

denn in diesen Gassen, auf diesen Brücken wandeln keine Rosse – so schieben sich hier tausend viel interessanterer Figuren wie in einem bunten Puppentheater durcheinander. Das ist ein Drängen und Treiben wie im Karneval, unten in den Gondeln, oben auf den Treppen; und wenn man nicht genau hinsieht, so möchte man meinen, die Alte sei zu neuem lustig-phantastischem Leben erwacht. Dies Leben ist aber im Grunde dasselbe kleine, beschränkte geblieben, das 1787 Goethe fand, als er das unglaubliche „Gehecke“ der engen, sehr schmutzigen Gäßchen durchwandelte, und das ihn zu dem Ausrufe bewegte: „Du lieber Gott, was doch der Mensch für ein armes gutes Tier ist!“

Diese „armen guten Tiere“, diese nichts mehr zu nagen habenden Biber leben noch heute, noch heute leben auch die von Goethe so reizend besungenen Lacerten oder Eidechsen:

„Wer Lacerten gesehn, der kann sich die zierlichen Mädchen
Denken, die über den Platz fahren dahin und daher.
Schnell und beweglich sind sie, und gleiten, stehen und schwatzen,
Und es rauscht das Gewand hinter den eilenden drein.“

Damals mochte das Gewand noch rauschen, sagt doch auch der obengenannte „Bädeker“ von den Frauen und Mädchen der Lagunenstadt: „Das Weibsbild tritt herein in stoltzem Habit; es ist gesunden Leibes, frewdig und bei Leuthen Redsprächig.“ Das letztere darf heute noch gelten, denn die Tochter Venedigs ist lustig-gesund, aber Seide und Brokate und Gold und Ambraschmuck sind mit der alten republikanischen Herrlichkeit dahingegangen! Das ist heute alles Baumwolle und mit dem Rauschen ist’s aus. Aber in den Augen und von den blühenden Lippen liest der Fremdling die alte königliche Geschichte der Stadt und wenn des Südens Abendsonne ihr Gold über das bißchen Kram auf der Rialtobrücke gießt, dann verwandeln die Kürbisse, Krautköpfe und Melonen sich in köstliche orientalische Warenballen und der argverschossene Prachtmantel der Königin von der Adria flammt wieder wie neuer Purpur.Woldemar Kaden.     

Die neue Statue der „Berolina“. (Zu dem Bilde S. 125.) Im Jahre 1889 suchte König Humbert seinen kaiserlichen Verbündeten in der Reichshauptstadt auf, der Fürst des italienischen Südens den jungen Herrscher an der nordischen Spree, und groß war allenthalben die Begeisterung, die ihn grüßte. Die Stadt wurde u. a. auch durch gewaltige gipserne Bildwerke geschmückt; eins davon, Hundriesers „Berolina“, die dem Monarchen Blumen streut, gefiel in seiner glücklichen Improvisation so sehr, daß man nach verrauschter Festwoche beschloß, es dauernd der Stadt zu erhalten. Fast sieben Jahre sind seitdem vergangen – aber nun steht auch die stolze Schönheit in Metall getrieben, nun winkt sie nicht mehr allein Königen ein Willkommen zu, sondern allen, die mit der Bahn in das sausende Geschwirr der Weltstadt einfahren, hier ihr Glück zu versuchen. Sie hat ihren Platz auf dem Alexanderplatze erhalten, da wo die Altstadt, das „Centrum“ beginnt.

Das günstige Urteil, das die Berolina bei ihrem ersten Debut zu verzeichnen hatte, wird auch heute fast uneingeschränkt aufrechterhalten bleiben dürfen. Auf eckigem Porphyrsockel, der machtvoll aus dem Gewühl des Alltags aufstrebt, erhebt sich die gewaltige und doch wahrhaft anmutige Gestalt. Die eichenlaubumkränzte Mauerkrone schmückt ein stolzes Haupt, dessen vornehmes Profil Schönheit und Klugheit zu gleicher Zeit verrät. Ein Schuppenpanzer umschmiegt den Leib, über ihn hin flutet der um die Schulter gezogene prächtige Mantel; ungemein glücklich, ohne alle Theaterpose ist die lebhafte Geste der grüßenden Hand, und die Bewegung der Rechten, die sich auf den mit dem Berliner Bären verzierten, hohen Schild stützt, verdient nicht minder reiches Lob. Das Kunstwerk in seiner Gesamtheit muß jedenfalls zu den gelungensten gezählt werden, die sich Berlin in den letzten Jahren aufbaute; trotz der kolossalen Maße – die Gestalt ist 61/2, das Postament 71/2 m hoch – und bei aller Schlichtheit ist es von gewinnender Grazie. Neben dem schaffenden Künstler verdient Meister Peters, der die Berolina in Kupfer getrieben hat, Dank und Anerkennung.



Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (7. Fortsetzung). S. 117. – Preußische Gardejäger auf einem Jagdzug im Wildpark von Compiègne im Februar 1871. Bild. S. 117. – Ulrich von Hutten im Kampf mit französischen Edelleuten in der Schenke zu Viterbo. Bild S. 120 und 121. – Hutten in Rom. Gedicht von Johannes Proelß. S. 124. (Zu dem Bilde S. 120 und 121. – Kaiser Friedrich – ein Freund des Turnens. Erinnerungen von Dr. C. Euler. S. 124. – Die Statue der Berolina auf dem Alexanderplatz zu Berlin. Bild. S. 125. – Geschichten des Herrn Direktors. Nacherzählt von Ernst Lenbach. 2. Der Amerikaner. S. 127. 3. Liktor Kallmeyer. S. 130. – Auf dem Rialto zu Venedig. Bild. S. 129. – Blätter und Blüten: Ein Ehrentag deutscher Arbeit in Siebenbürgen. S. 131. (Mit Abbildung S. 132.) – Preußische Gardejäger auf einem Jagdzug im Wildpark von Compiègne. S. 131. (Zu dem Bilde S. 117.) – Auf dem Rialto. Von Woldemar Kaden. S. 132. (Zu dem Bilde S. 129.) – Die neue Statue der „Berolina“. S. 132. (Zu dem Bilde S. 125.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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