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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


in halbstündiger Wanderung nach der Burg führt. Ein nebeliger Frühherbsttag war es, als ich diesen Weg ging. Im Selkethale lagerte dichter Nebel und wie bleifarbene Wettermantel hingen die Wolkenmassen an den Hängen der Berge. Von den Blättern der alten Buchen, welche den Burgberg vom Fuß bis zum Gipfel umschatten, rieselten große Tropfen und sammelten sich zu Rinnsalen, welche den Pfad zerklüfteten. Auf halbem Weg, zerborsten, dem Einsturze nahe, steht ein steinernes Muttergotteshäuschen. Seine Nische ist leer. Eine räuberische Hand hat das Madonnenbild entfernt und längst wird hier kein Kerzlein mehr geopfert, nur die ersterbende Natur hat wie alle Jahre, so auch heuer, einige falbe Blätter als Abschiedsgruß in die leere Nische gestreut. Bald war auch der letzte Anstieg überwunden und fast wider Vermuten sah ich mich vor der Burg.


Die Burg Falkenstein.


Der Graben ist längst ausgefüllt und von den Außenwerken stehen nur noch verwitterte Reste. Durch einen überbauten Gang gelangt man auf den Burghof, ein winzig Flecklein Erde, von den mehrstöckigen Burggebäuden im Dreieck umschlossen (vergl. Abbildung S. 140). Der Palas ist in Fachwerk aufgeführt wie die ältesten Teile der Wartburg und macht mit seinen überragenden Stockwerken und bleigefaßten Butzenscheibenfenstern einen fast düsteren Eindruck. Das Brunnenhäuschen in seiner Mitte, von Haselnußgesträuch anmutig umrahmt, nimmt sich aus wie ein grünumranktes Bildlein in breitem, dunklem Eichenrahmen und mildert gar trefflich den düsteren Eindruck des beschränkten Raumes. Still und tot ist es auf dem Hofe, wie in einem verwunschenen Schlosse. Die Zeiten, da draußen auf dem Zwinger die Sehne der Armbrust klang, wenn die Knappen Arm und Auge übten, und die Rüden anschlugen, wenn der Burgherr zum Pirschgang gerüstet unters Thor trat, sind vorüber. Im Stalle stampft kein Roß das Pflaster in brennender Ungeduld nach dem Herrn, um ihn zum fröhlichen Turnier oder zum bitteren Streit zu tragen. Roß und Reiter sind längst schlafen gegangen; nur ein greises Ehepaar bewohnt noch den Sitz des alten Dynastengeschlechtes, dem jetzigen Schloßherrn das Haus bewahrend und dem Wandersmann die Pforte öffnend.

An der Seite des Pförtners durchwanderte ich das Burginnere. Bis auf die kleine etwas düstere und unfreundliche Burgkapelle (vergl. Abbildung S. 140), in welcher Luther gepredigt haben soll, sind sämtliche Räume der Burg hell und licht und präsentieren sich in unberührter Ursprünglichkeit. Der jetzige Burgherr hat außerdem noch das Seine gethan, diesen Eindruck zu mehren. Hellebarden, Zweihänder und Kettenpanzer gemahnen an die Tage einstiger Ritterherrlichkeit und Saufedern nebst Fangzeug an die Zeit tiefsten Bauernelends. Schmale, halsbrecherische Vorräume vermitteln den Zugang in die Zimmer und enge, winklige Wendeltreppen den Aufstieg in die oberen Stockwerke. Es ist hier alles noch so, wie es zu der Urväter Zeiten gewesen ist.

Und von alten, längstvergangenen Tagen weiß auch mein Führer zu berichten. Er ist ein gelehriger Schüler der Frau Saga, dem sich gut zuhören läßt Gern hätte ich seinen interessanten Erzählungen noch länger gelauscht, doch die Zeit drängte; der Tag ging zur Rüste und ich konnte sie nicht alle hören, die Märlein und Sagen, die wie ein immergrüner Kranz des Falkensteins Mauerstirne umsäumen. Mit dem Wunsche, daß der Schicksalsbecher, an welchen nach des Alten Bericht das Geschick derer von Asseburg und des Falkensteins geknüpft sein soll, noch lange unzerbrochen bleiben möchte, schied ich von dem Braven und seinem Heim.

Draußen dunkelte es bereits, aber der Himmel hatte sich aufgeklärt und die Sterne leuchteten über dem Walde. Beim Abstieg mußte ich an Eyke von Repkow denken, der dort, daher ich eben kam, geweilt, gesonnen, geformt, gedichtet und gebetet hat. Größer als vorher erschien mir seine Person und sein Werk. Ein heller Schein leuchtete auf einer Sekunde Bruchteil durch das dichte Laubdach und das Wort kam mir in den Sinn, welches Goethe seinem Freunde Schiller ins Grab nachgerufen und das wohl jedem Manne, der seinem Volke in dunkler Zeit ein leuchtend Gestirn gewesen, als Grabschrift gesetzt werden könnte:

„Er glänzt uns vor, wie ein Komet entschwindend,
Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend.“




Die Röntgenschen Strahlen und die Reichenbachsche Od-Lehre.

Von Prof. Dr. Ludwig Büchner.

Es giebt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“ Dieser oft citierte Ausspruch des großen Briten hat in diesen Tagen eine abermalige Bestätigung erfahren durch die Röntgensche Entdeckung, welche jetzt so großes Aufsehen macht und an welche sich bereits die weitestgehenden Hoffnungen für die Zukunft knüpfen. Es wird der weiteren Forschung überlassen bleiben müssen, festzustellen, ob und in welchem Umfang diese Hoffnungen berechtigt sind oder nicht. Jedenfalls ist man einer neuen Naturkraft auf der Spur, deren Dasein bis jetzt nur vermutet, nicht bewiesen werden konnte. Was aber dieselbe eigentlich ist, ruht vorerst noch im Schoß eines tiefen Geheimnisses. Das Geheimnis wird auch dadurch nicht durchsichtiger, daß man dasselbe in Verbindung bringt mit einer in den fünfziger Jahren angeblich entdeckten, aber seitdem in völlige Vergessenheit geratenen Naturkraft, dem Od, welche allerdings auf den ersten Anblick eine gewisse Verwandtschaft mit den Röntgenschen Strahlen zu haben scheint. Dieser Anschein hat es denn auch veranlaßt, daß man sich gegenwärtig in den weitesten Kreisen wieder an die Reichenbachsche Od-Lehre zurückerinnert, welche ihrer Zeit eine kaum minder große Aufregung in gelehrten wie nichtgelehrten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0141.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)