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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nordpol eines Magneten gestellt hat, schmeckt dem Sensitiven angenehm, kühl, säuerlich; ein solches aus gelbem Licht oder vom Südpol des Magneten oder von der Basis des Krystalls schmeckt lau, unangenehm, widrig und kann sogar Erbrechen erregen.

Die odischen Gesichtserscheinungen werden in einer absolut finsteren Kammer, der sogenannten Dunkelkammer, beobachtet, in welcher die Versuchspersonen stundenlang verweilen müssen, bis sich die lichten Scheine wahrnehmen lassen, welche von den Enden eines Magneten oder eines Krystalls (positiv gelbrot, negativ blau) ausströmen. Zuletzt erglüht der ganze odausstrahlende Körper selbst in einem gleichmäßigen weißlichen Lichte. Bei starken, aufrecht stehenden Magneten kann das übrigens nur dem Auge des Sensitiven bemerkbare Licht so stark werden, daß es flammenartig bis zur Decke des Zimmers emporstrahlt. Uebrigens fangen nach kürzerer oder längerer Dauer fast alle in der Dunkelkammer befindlichen Gegenstände, wie Blumenstöcke, Schmetterlinge, Tiere, Menschen, ja der Sensitive selbst an, leuchtendes Od auszustrahlen, letztere rechts in einem mehr blauen, links in einem mehr gelblichen Lichte. Schließlich ist der Sensitive imstande, fast alles zu erkennen, was im Zimmer befindlich ist. Er sieht den Atem der Anwesenden, wie seinen eigenen, sieht angeschlagene Metallstäbe oder Glocken, den Rauch flüchtiger Stoffe, geriebene oder elektrisch erregte Drähte, mit Flüssigkeit geschüttelte Flaschen u. s. w., weil bei allen diesen Gelegenheiten Od frei wird.

Die Erscheinungen des tierischen Magnetismus reduzieren sich nach Reichenbach einfach auf Odismus. Die sogenannten Metall- und Wasserfinder sind nichts anderes als Hochsensitive, welche das in der Tiefe der Erde entwickelte Od empfinden. Die Leute, welche bei Nacht Geister auf Gräbern oder Kirchhöfen gesehen haben wollen, sind von odischen Ausdünstungen getäuscht worden, die durch den Verwesungsprozeß erzeugt wurden.

Leider war Reichenbach trotz seiner Bemühungen nicht imstande, ein Odoskop oder einen Odometer zu erfinden, mittels dessen man die Anwesenheit von Od jederzeit physikalisch hätte nachweisen können – ein Umstand, der gegen die ganze Entdeckung von vornherein mißtrauisch machen mußte.

Dieses Mißtrauen mag es zum Teil verschuldet haben, daß nur sehr wenige ernste Nachprüfungen der Od-Lehre bekannt geworden sind. Auch der Umstand, daß nicht alle, sondern nur einige gewissermaßen bevorzugte Personen der Odwirkung zugänglich waren, konnte nicht für dieselbe einnehmen. Dennoch war eine solche Nachprüfung unerläßlich, wenn man in der Sache zu einem bestimmten Urteil kommen wollte. Dies der Anlaß zu den im Jahre 1853 von dem Verfasser dieses Aufsatzes in Gemeinschaft mit Prof. Rapp und Dr. Ranke auf der Tübinger medizinischen Klinik angestellten Versuchen.

Wir experimentierten anfangs mit starken, hufeisenförmigen Magneten, später auch mit einem mäßig großen Bergkrystall. Versuchspersonen waren teils wir selbst, teils Patienten und dienendes oder helfendes Personal der klinischen Anstalt, wobei außer uns niemand wußte, um was es sich eigentlich handelte, und wobei ängstlich vermieden wurde, die Versuchspersonen auf dasjenige aufmerksam zu machen, was sie empfinden sollten. Allerdings konnte nicht vermieden werden, daß sie sehr bald errieten, was gefühlt oder gesehen werden sollte. Unter den ungefähr hundert Personen, welche geprüft wurden und unter denen sich die ungefähr gleiche Zahl von Männern und Frauen befand, trafen bei etwas weniger als der Hälfte die Reichenbachschen Angaben in mehr oder weniger ausgesprochener Weise zu, während eine ungefähr gleiche Anzahl gar keine Empfindung hatte. Neun Personen empfanden umgekehrt, sechs an beiden Polen gleichmäßig. Die linke Hand, d. h. die odpositive Seite, war entschieden weit empfindlicher als die rechte. Fast alle, welche die Empfindung von kalt und warm gehabt hatten, gaben zugleich unaufgefordert an, daß von dem Pole aufwärts ein leiser Hauch oder Wind an ihre Hand ziehe, welcher sich mehreremal durch den ganzen Arm verbreitete und denselben angriff oder ermüdete. Das Geschlecht machte keinen Unterschied. Wir selbst, d. h. die Experimentatoren, empfanden gar nichts. Uebrigens waren die Angaben einiger der Versuchspersonen nicht an allen Tagen dieselben, sondern widersprachen sich insofern, als sie den an früheren Tagen gemachten gerade entgegengesetzt waren. Auch fehlte es nicht an Angaben verschiedener Empfindungen, wenn man bei verbundenen Augen die Hand in die Luft statt über den Magneten hielt!!

Ganz ähnliche Resultate ergaben die Versuche mit dem in Berührung mit den Magnetpolen gebrachten Glase Wasser.

In der Dunkelkammer hielten wir mit verschiedenen Personen beiderlei Geschlechts elf Sitzungen von je ein bis drei Stunden Dauer. Die Herstellung einer solchen Dunkelkammer, in welcher absolute Finsternis herrschen soll, ist nicht leicht. Anfangs glaubt man allerdings sich in vollkommener Finsternis zu befinden. Aber nachdem man eine Viertel- oder halbe Stunde darin zugebracht hat, sieht man bald da, bald dort einen leisen Lichtschimmer von außen hereindringen, welcher durch abermaliges Verkleben beseitigt werden muß. Die Mehrzahl der Versuchspersonen sah von den Reichenbachschen Lichterscheinungen nichts; eine Minderzahl dagegen wollte sehr intensive Lichterscheinungen verschiedener Art bemerkt haben. Der Hufeisenmagnet wurde in einem weißlichen Lichte erglühend erblickt, während von seinem Nordpol ein blauer, von seinem Südpol ein gelbroter Schein ausstrahlte. Auch andere Gegenstände oder Personen wurden von den Sensitiven gesehen und die Stellen bezeichnet, wo sie standen. Einige Angaben von Hochsensitiven nehme ich Anstand, wiederzugeben, teils ihrer Unbestimmtheit wegen, teils weil die Phantasie dabei eine übermäßige Rolle zu spielen schien. Uebrigens waren die Hochsensitiven in der Regel solche Personen, welche auch den Einwirkungen des tierischen Magnetismus zugänglich waren. Daß aber den Angaben solcher Personen nur mit größter Vorsicht zu begegnen ist, ist bekannt.

Ein abschließendes Urteil über die Od-Lehre konnte bei der Unbestimmtheit und Zweifelhaftigkeit der von uns erlangten Resultate nicht erreicht werden. Auch anderen Experimentatoren scheint es nicht besser ergangen zu sein, da man im Laufe der Jahre nichts darüber vernommen hat, und da die Lehre, wie gesagt, in Vergessenheit geriet. Ueber die Frage, ob dieselbe nunmehr in irgend welche Verbindung mit der Röntgenschen Entdeckung gebracht werden kann, mag die Zukunft entscheiden. Doch spricht sehr der Umstand dagegen, daß die Röntgenschen Strahlen eine physikalische Erscheinung sind, welche unter Herstellung bekannter Bedingungen jederzeit mit Sicherheit hervorgerufen und von jedermann beobachtet werden kann, während das Dasein der odischen Ausstrahlungen nur aus den subjektiven Empfindungen einzelner, besonders disponierter Personen und aus deren darüber gemachten Aussagen gefolgert wird. Welche reiche Quelle von Täuschungen dabei fließen kann, weiß jeder, der sich mit dem Studium tierisch-magnetischer oder ähnlicher Erscheinungen beschäftigt hat. Die menschliche Phantasie ist bis zu einem fast unglaublichen Grade befähigt, solche Täuschungen hervorzurufen oder Dinge wahrzunehmen, die nicht da sind, wofür ja Geschichte und tägliche Erfahrung zahllose sprechende Beispiele liefern. Hat es doch im Mittelalter Leute gegeben, z. B. Luther, welche den Teufel in leibhaftiger Gestalt zu erblicken glaubten oder welche einen Eid darauf ablegten, daß sie eine Hexe auf einem Besenstiel durch die Luft hätten reiten sehen! Und giebt es doch auch heute noch Leute in Menge, welche Geister, Gespenster u. s. w. zu erblicken glauben, ohne daß irgend etwas da ist. Warum sollte es also nicht möglich sein, daß phantasievolle Personen Empfindungen zu verspüren oder Dinge zu sehen glauben, denen die Wirklichkeit nicht entspricht? Wie viele Personen geraten bei Tischrückungs- oder tierisch-magnetischen Versuchen in die größte Aufregung, wenn man einen Stahlmagneten in ihre unmittelbare Nähe bringt, während sie vollkommen ruhig bleiben, wenn diese Annäherung in einer ihnen unbemerkbaren Weise geschieht!

So mag die Phantasie auch bei den odischen Erscheinungen eine ausschlaggebende Rolle spielen. Dieselben können wegen des schon erwähnten Mangels eines physikalischen Hilfsmittels zur Erkennung odischer Anwesenheit wissenschaftlich nicht kontrolliert werden. Sollte vielleicht ein solches Hilfsmittel mit der Zeit gefunden werden, so wäre die Frage, ob eine Verwandtschaft mit der Erscheinung der Röntgenschen Strahlen anzunehmen sei, berechtigter als gegenwärtig. Vorerst aber ist dazu wenig oder gar keine Aussicht vorhanden. Die Spiritisten oder Geister- und Gespenstergläubigen werden freilich dabei bleiben, daß die Erscheinungen des Odismus, des tierischen Magnetismus, des Hypnotismus, der Suggestion, der Telepathie, des Gedankenlesens, der Seelenriecherei u. s. w. alle aus der nämlichen Quelle fließen, und werden auch nicht versäumen, die Entdeckung der Röntgenschen Strahlen für ihre Sache in Anspruch zu nehmen. Erfolg oder Beweis bleibt abzuwarten.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0143.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)