Seite:Die Gartenlaube (1896) 0149.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 10.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Fata Morgana.

Roman von E. Werner.

     (9. Fortsetzung.)

Während im Osmarschen Hause ein tiefer Zwiespalt zwischen Vater und Tochter ausgebrochen war, herrschte auch im Hotel, wo die deutschen Herren abgestiegen waren, seit zwei Tagen erbitterte Fehde.

Fräulein Ulrike Mallner hatte sich von ihrer anfänglichen Betäubung bei jener Ueberraschung in Karnak schnell genug erholt und that nun das Möglichste, um dem Brautpaar das Leben schwer zu machen. Unmittelbar nach der Rückkehr von dem Ausflüge, sobald die beiden Schwägerinnen allein waren, hatte es natürlich einen Sturm gegeben, das heißt, Ulrike stürmte und bot alles auf, die Witwe ihres Bruders zu überzeugen, daß ihre Wiedervermählung nicht viel weniger als ein Verbrechen sei. Selma ihrerseits weinte tapfer drauf los, ließ sich aber durchaus nicht zu dem erhofften Widerruf bewegen und flüchtete unmittelbar nach jener Scene in den Schutz ihres Bräutigams, der der feindlichen Dame denn auch in nachdrücklichster Weise klar machte, daß ihre Macht zu Ende sei. Das wußte Ulrike freilich selbst, aber sie baute auf die Unselbständigkeit ihrer Schwägerin, auf die Macht der langen Gewohnheit. In diesem Falle vergebens! Die junge Frau, die zum erstenmal in ihrem Leben Glück und Liebe kennenlernte, war doch nicht so schwach, sich beides wieder rauben zu lassen, nachdem sie es kaum gewonnen hatte, und blieb fest. Sie wußte zu gut, welch ein Leben ihrer wartete, wenn sie in die alte Sklaverei von Martinsfelde zurückkehrte.

In den Morgenstunden dieses sonnigen Weihnachtstages saß der glückliche Bräutigam auf der Terrasse des Hotels und neben ihm Herr Ellrich, der gleichfalls sehr vergnügt und zufrieden aussah. Er hatte auch alle Ursache, mit seinem Kurswechsel zufrieden zu sein, und brauchte sich nicht mehr über schlechte Behandlung zu beklagen. Der Doktor behandelte ihn sehr gut und nahm ihn bei jeder Gelegenheit in Schutz gegen Fräulein Mallner, die große Lust zeigte, sich an dem Ueberläufer zu rächen.

„Selma kommt noch immer nicht!“ sagte Bertram mit einem ungeduldigen Blick nach den Fenstern hinauf. Wahrscheinlich wird ihr wieder eine Predigt


Auf der Fahrt zur Schule.
Nach einer Originalzeichnung von F. Müller-Münster.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0149.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)