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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

gehalten. Wenn sie in fünf Minuten nicht hier ist, gehe ich hinauf und hole sie!“

„Ja, Fräulein Mallner intrigiert noch immer gegen die Verlobung, die sie nicht hindern konnte,“ bemerkte Herr Ellrich. Der Doktor lachte.

„Nun, ich meinesteils würde ihr dies Vergnügen gönnen, helfen thut es ihr nichts. Aber meine Braut wird in unverantwortlicher Weise damit gequält und das leide ich nicht länger. Ich werde der Sache ein Ende machen.“

„Wie wollen Sie denn das anfangen?“ fragte neugierig der kleine Herr.

„Ganz einfach, wir reisen ab.“

„Mit Fräulein Mallner?“

„Bewahre, wir packen sie auf einen Dampfer und schicken sie direkt nach Martinsfelde, dann haben wir Ruhe vor ihr.“

Herr Ellrich sah mit Bewunderung auf den Mann, der sich ein solches Heldenstück nicht bloß vornahm, sondern zweifellos auch ausführen würde, doch er schüttelte bedenklich den Kopf.

„Aber das geht doch nicht, Sie können doch unmöglich –“

„Es geht alles, wenn man nur ernstlich will!“ unterbrach ihn der junge Arzt. „Aber die fünf Minuten sind jetzt um, nun hole ich meine Braut.“

Die Ausführung dieses Entschlusses blieb ihm erspart, denn in diesem Augenblick erschien Selma in Begleitung ihrer Schwägerin.

Das Gesicht der letzteren zeigte wieder die Gewitterstimmung, in der sie sich jetzt immer befand, sie nahm kaum Notiz von Herrn Ellrich, der sich nur einen scheuen Gruß aus gemessener Entfernung erlaubte, und schritt geradeswegs auf den Doktor zu, aber dieser eilte an ihr vorüber seiner Braut entgegen.

„Guten Morgen, mein Lieb! Und ein frohes, glückliches Weihnachtsfest!“ sagte er zärtlich, indem er sie umfaßte und küßte.

Die junge Frau nahm das mit tiefem Erröten und glücklicher Verwirrung hin, Ulrike aber hob ihre Nasenspitze hoch in die Luft und rief entrüstet: „Herr Doktor – das ist unschicklich!“

„Was ist unschicklich?“ fragte er ruhig.

„Daß Sie Selma hier im offenen Garten und vor Zeugen küssen.“

„Ja, in Martinsfelde würde sich das allerdings nicht schicken,“ versetzte Bertram mit unerschütterlichem Ernst. „Aber wir sind hier am Nil, und bei den alten Aegyptern war es Sitte, daß ein Bräutigam nach öffentlich proklamierter Verlobung seine Braut auch öffentlich küßte. Wir fügen uns nur der Landessitte.“

Fräulein Mallner hielt es unter ihrer Würde, eine Antwort zu geben, sie spannte nur ihren großen Sonnenschirm mit einem so heftigen Ruck auf, daß es krachte.

„Ich habe mit Ihnen zu sprechen,“ begann sie. „Selma weiß bereits, um was es sich handelt.“

„Ja, lieber Adolf, Ulrike möchte Dir einen Vorschlag machen,“ sagte die junge Frau, aber sie sah dabei so ängstlich aus, als fürchtete sie diesen Vorschlag. Der Doktor verbeugte sich.

„Ich stehe ganz zur Verfügung, Sie wissen ja, es macht mir stets außerordentliches Vergnügen, Ihren Wünschen nachzukommen.“

„Ich will nicht stören,“ sagte Herr Ellrich, indem er Miene machte, sich zu entfernen, Ulrike dagegen befahl in ihrem gewohnten Tone: „Du gehst mit ihm, Selma, ich will den Doktor allein sprechen.“

„Bitte, meine Braut steht nicht unter militärischem Kommando,“ sagte Bertram sehr ruhig, aber sehr bestimmt. „Wenn Du zu bleiben wünschest, liebe Selma –“

„Nein, nein, es ist mir lieber, wenn Du die Sache allein mit Ulrike besprichst,“ fiel die junge Frau hastig ein. „Ich plaudere inzwischen mit Herrn Ellrich.“

„Das ist etwas anderes. Herr Ellrich, ich übergebe meinen Schatz feierlichst Ihrer Obhut. Hüten Sie ihn gut, ich rate es Ihnen!“

Er trat wie im Scherze an den kleinen Herrn heran und fuhr dabei leise fort: „Das wird wieder eine hübsche Katzbalgerei werden! Bitte, halten Sie Selma möglichst fern, sie ängstigt sich immer so dabei.“

Ellrich nickte. Er hatte gegen diese Art der Bewachung gar nichts einzuwenden und empfand eine geheime Schadenfreude darüber, daß seine Tyrannin nun endlich auch ihren Meister gefunden hatte. Er schlug der jungen Frau vor, nach dem Dampfer auszuschauen, der heute von Kairo kommen sollte, und führte sie plaudernd nach dem Garten hinunter.

Drüben nahm inzwischen die „Katzbalgerei“, wie Bertram es in seiner drastischen Weise nannte, ihren Anfang. Fräulein Mallner hatte volle zwei Tage gebraucht, um einzusehen, daß sie die Wiedervermählung ihrer Schwägerin in der That nicht hindern konnte.

Für sie war es schon eine unglaubliche Selbstüberwindung, daß sie das als Thatsache anerkannte und sich bequemte, damit zu rechnen. Ihre Einleitung klang denn auch demgemäß.

„Sie bestehen also noch immer auf dieser Verlobung, wie es scheint?“ begann sie im Tone eines Richters, der den Angeklagten zum Geständnisse veranlassen will.

„Ja, es scheint in der That so,“ bestätigte der Doktor, indem er ihr verbindlich einen Stuhl hinschob, auf dem sie denn auch Platz nahm.

„So werden wir wohl das Nötige besprechen müssen. Es giebt da noch vielerlei Bedenken.“

„Gar keine Bedenken giebt es, mein verehrtes Fräulein. Ich heirate Selma, und zwar sobald als möglich, das ist die einfachste Sache von der Welt.“

„Wollen Sie vielleicht als Schiffsarzt heiraten?“ fragte Ulrike höhnisch.

„Warum denn nicht? Wenn in der kleinsten Hütte Raum für ein glückliches Paar ist, weshalb nicht auch in einer Schiffskabine? Ich kann mir eigentlich gar nichts Idealeres denken! Es ist eine Hochzeitsreise in Permanenz, um die Wirtschaft brauchen wir uns nicht zu kümmern und können ganz unserem Glücke leben.“

„Was?“ rief die Dame, indem sie entrüstet vom Stuhle aufsprang. „In einer Schiffskabine wollen Sie wohnen und mit Ihrer Frau fortwährend zwischen zwei Weltteilen hin- und herfahren? Wenn das Ihr Ernst ist –“

„Beruhigen Sie sich, es ist nicht mein Ernst“, unterbrach sie Bertram lachend. „Dergleichen möchte ich meiner Frau denn doch nicht zumuten. Ich werde natürlich meinen Abschied nehmen und mir irgendwo in Deutschland eine Praxis gründen. Wir werden uns für den Anfang freilich einrichten müssen, denn ich habe kein Vermögen und bin ganz auf meinen Beruf angewiesen, aber Selma ist eine anspruchslose Natur und wird sich auch in bescheidenen Verhältnissen glücklich fühlen.“

Das Fräulein sah ihn einige Sekunden lang ganz verblüfft an, brach dann aber mit gewohnter Rücksichtslosigkeit los: „Stellen Sie sich doch nicht so an! Sie müssen es ja doch längst wissen, daß Selma Vermögen hat.“

„Nein, das weiß ich nicht,“ erklärte der junge Arzt. „Ich habe bei unserer Verlobung wirklich vergessen, mich danach zu erkundigen, aber ein Hindernis ist das in meinen Augen nicht. Fürchten Sie nichts, die Partie geht deshalb nicht zurück. Ich bin entschlossen, Selma trotzdem zu nehmen.“

„Ich bitte mir aus, daß Sie ernsthaft sind!“ rief Ulrike scharf. „Wir haben von ernsten Dingen zu sprechen und da brauchen Sie nicht so empörend vergnügt auszusehen.“

„Warum denn nicht, ich bin ja Bräutigam!“ sagte der Doktor mit einem so seelenvergnügten Gesicht, daß seine Gegnerin hätte aus der Haut fahren mögen.

„Es handelt sich um die Vermögensangelegenheit,“ betonte sie. „Selma versteht nicht das mindeste von solchen Dingen, also muß ich mich mit Ihnen auseinandersetzen.“

„Gut, setzen wir uns auseinander. Die Sache ist hoffentlich nicht verwickelter Natur.“

Ulrike hatte sich wieder niedergesetzt und sah ihn mit einem vernichtenden Blick an.

„Nein, leider ist sie das nicht, denn mein seliger Bruder hat es natürlich nicht für möglich gehalten, daß seine Witwe sich wieder verheiraten könnte, sonst hätte er Maßregeln dagegen ergriffen.“

„In welcher Weise?“ fragte Bertram mit unzerstörbarer Ruhe. „Unsere Gesetze gestatten unbedenklich die Wiedervermählung.“

„Das weiß ich, das brauchen Sie mir nicht erst zu sagen!“ grollte das Fräulein. „Aber mein Bruder würde in solchem Falle testiert und seine Frau von der Erbschaft ausgeschlossen haben. Jetzt ist er ohne Testament gestorben und das Vermögen fiel zu gleichen Teilen an uns beide. Die Verwaltung habe ich natürlich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0150.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)