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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

allein geführt und ich sage es Ihnen ein für allemal, Martinsfelde behalte ich, die Wirtschaft lasse ich mir nicht nehmen.“

„Ganz einverstanden! Ich wüßte wirklich nicht, was ich als Arzt mit Martinsfelde anfangen sollte, und Selma hat gar keine Neigung für die Landwirtschaft.“

„Nein, sie hat in ihrer Zimperlichkeit und Schwächlichkeit nie dafür getaugt,“ sagte Ulrike verächtlich, aber etwas besänftigt durch die Antwort, die so ganz mit ihren Wünschen übereinstimmte.

„Und nun zu meinem Vorschlag! Sie wollen sich eine Praxis gründen – kommen Sie nach Martinsfelde!“

„Ich – nach Martinsfelde?“ wiederholte Bertram, der so erstaunt war, daß er nicht wußte, was er sagen sollte.

„Ja, wir brauchen dringend einen Arzt in der Umgegend. Die nächste Stadt ist zwei Stunden entfernt und der alte Doktor, der dort seinen Sitz hat, kann die Landpraxis nicht mehr bewältigen. Sie könnten in Martinsfelde wohnen –“

„Und alles bliebe beim Alten! Das würde allerdings ein liebevolles Zusammenleben werden, die reine Idylle. Ich bin tief gerührt von Ihrer Anhänglichkeit an meine Braut, die so groß ist, daß Sie sogar mich in Kauf nehmen wollen, und Selma wird gleichfalls gerührt sein, aber wir danken ergebenst.“

„Sie wollen nicht?“ rief das Fräulein und stampfte mit ihrem Sonnenschirm auf den Boden.

„Unter Ihrem Scepter leben? Nein, mein verehrtes Fräulein. Ich ziehe es denn doch vor, das Kommando in meinem Hause selbst zu führen.“

Ulrike sprang auf. Sie sah den letzten Versuch scheitern, die Oberherrschaft über ihre Schwägerin zu behaupten; mit diesem Menschen war nichts anzufangen!

„So sind wir fertig!“ sagte sie kurz. „Die Abrechnung über Seimas Vermögen und meine Verwaltung werden Sie erhalten, aber ich habe unter diesen Umständen keine Lust, hier zu bleiben und die Wirtschaft daheim drunter und drüber gehen zu lassen. Wenn Selma gesund genug ist, sich zu verloben und zu heiraten, so wird sie wohl auch unser Klima aushalten können. Ich bleibe nicht noch monatelang in diesem elenden Wüstenlande.“

„Dazu liegt auch gar keine Veranlassung vor,“ versicherte der Doktor mit dem liebenswürdigsten Lächeln, „denn wir reisen mit dem nächsten Dampfer ab.“

Fräulein Ulrike, die schon im Begriff war, zu gehen, blieb plötzlich wie an den Boden gewurzelt stehen.

Wer reist ab?“

„Meine Braut und ich. Selma ist allerdings so gut wie genesen, ich halte es aber für unbedingt notwendig, daß sie den ganzen Winter in Aegypten bleibt, damit ihre Gesundheit sich vollständig befestigt. Ich geleite sie nach Kairo zu meinem Kollegen Walter, dessen liebenswürdige Frau sich erboten hat, meine Braut in ihr Haus zu nehmen, bis zum Frühjahr, wo ich sie abhole, und dann heiraten wir ohne Zögern.“

Es war ein bitterer Augenblick für die bisher so unumschränkt regierende Dame, als ihr auf diese Weise ihre vollständige Ueberflüssigkeit klargemacht wurde. Sie hatte geglaubt, einen letzten, entscheidenden Trumpf auszuspielen, als sie mit ihrer Abreise drohte, und mußte es nun erleben, daß man von ihrem Bleiben oder Gehen überhaupt gar keine Notiz nahm.

„Nach Kairo? Zum Doktor Walter?“ wiederholte sie. „Woher wissen sie denn, ob er und seine Frau einverstanden sind? Ihr Brief kann ja noch nicht einmal abgegangen sein.“

„Das ist auch nicht nötig,“ war die ruhige Antwort. „Ich schicke nur ein Telegramm voraus, mit der Nachricht unserer Ankunft. Alles übrige wurde schon vorher abgemacht.“

„Vorher – was soll das heißen? Vielleicht ehe Sie –“

„Ehe ich nach Luksor kam – ganz recht! Ich kam ja mit der ausgesprochenen Absicht, Selmas Hand zu erringen, und glaubte auf Gegenliebe hoffen zu dürfen. Da habe ich beizeiten vorgesorgt.“

Ulrike rang nach Atem. Das war zu viel. „Das ist ja unerhört!“ brach sie los. „Das ist – Sie sind ja ein – ein –“

„O bitte, machen Sie mir keine Komplimente, ich verdiene sie wirklich nicht,“ lehnte der Doktor bescheiden ab. „Sie sehen, es liegt gar kein Grund vor, daß Sie sich noch länger Ihrem Martinsfelde entziehen, reisen Sie in Gottes Namen. Und nun gestatten Sie wohl, daß ich meine Braut aufsuche und ihr mitteile, daß wir alles freundschaftlich geordnet haben.“

Damit verneigte er sich und ging, während Fräulein Ulrike Mallner wie erstarrt stehen blieb.

Als der junge Arzt seine Braut antraf, fand er sie im Gespräch mit Herrn Ellrich und Ehrwald, der sich zu ihnen gesellt hatte. Der letztere gab sich offenbar Mühe, heiter zu erscheinen, aber auf seiner Stirn ruhte eine Wolke und sein Uebermut hatte heute etwas Erzwungenes. Selma dagegen blickte ihrem Bräutigam mit einer gewissen Unruhe entgegen.

„Hast Du mit Ulrike gesprochen?“ fragte sie schüchtern. Der Doktor lächelte und zog ihren Arm in den seinigen.

„Jawohl. Denken Sie sich, meine Herren, Fräulein Mallner machte mir die liebenswürdige Zumutung, mit meiner Frau künftig in Martinsfelde zu wohnen und uns dort gemeinschaftlich mit ihr des Daseins zu erfreuen. Was sagen Sie dazu?“

„Gott bewahre Sie in Gnaden davor!“ rief Herr Ellrich, mit einem solchen Ausdruck des Entsetzens, daß die beiden anderen Herren in lautes Lachen ausbrachen.

„Ich habe gerührt und dankend abgelehnt,“ fuhr Bertram fort, „und dabei zugleich von unserer bevorstehenden Abreise Mitteilung gemacht. Es bleibt also dabei, wir gehen in drei Tagen nach Kairo. Aber wo bleibt der Dampfer, ist er noch nicht in Sicht?“

„Nein, noch immer nicht,“ sagte Reinhart ungeduldig. „Er hätte schon in den Morgenstunden hier sein müssen und gerade heute, wo er unsere Leute bringen soll, verspätet er sich – Verzögerungen bis zum letzten Augenblick!“

„Können Sie es denn gar nicht erwarten, der schnöden Kultur den Rücken zu kehren und sich da draußen in der Wildnis mit Löwen und Tigern herumzuschlagen?“ fragte der Doktor lachend. „Wir haben gar nichts dagegen, wieder in die Kultur zurückzukehren, nicht wahr, Selma?“

In diesem Augenblick erschien eine alte Negerin, die jemand zu suchen schien. Sie hatte Ehrwald kaum erblickt, als sie sich ihm in unterwürfiger Haltung näherte; er sah sie etwas überrascht an.

„Was willst Du, Fatme?“ fragte er auf arabisch.

Fatme antwortete in derselben Sprache und zog einen Brief aus ihrem Gewande hervor, den sie dem jungen Manne übergab. Er trat rasch mit ihr seitwärts, öffnete das Schreiben und durchflog es. Die Antwort darauf schien mündlich erteilt zu werden, denn nach einem kurzen leisen Gespräche verabschiedete sich Fatme mit dem üblichen orientalischen Gruße und Reinhart kehrte zu den anderen zurück.

„Was sind denn das für geheimnisvolle Botschaften?“ neckte der Doktor. „Ehrwald, Ehrwald! Ich fürchte wirklich, mein Beispiel wirkt ansteckend.“

Reinhart lachte, aber es lag eine gewisse Gereiztheit in seinem Tone, als er antwortete: „Warum nicht gar! Dazu wäre auch gerade jetzt Zeit, da wir morgen aufbrechen. Es war eine Nachricht für Herrn Sonneck, ich habe einstweilen in seinem Namen die Antwort gegeben.“

„Da kommt der Dampfer!“ sagte Ellrich und richtete sein Fernglas auf das Schiff, das jetzt in der That sichtbar wurde.

„Endlich!“ rief Reinhart, „und da kommt auch Herr Sonneck!“

Er eilte nach der Terrasse, zu Sonneck, der eben aus dem Osmarschen Hause zurückgekommen war. Wenige Worte genügten zur Verständigung und die beiden Herren schritten nach dem Nil hinunter, um das Schiff zu erwarten, das langsam und ruhig heranzog.




Es war Abend geworden und das Leben und Treiben, mit dem die fremden Gäste aus allen Weltgegenden Luksor zu erfüllen pflegen, war allmählich verstummt. Die Hotels lagen still da, mit geschlossenen Thoren, und auch in der nahen Araberstadt regte sich nichts mehr zu dieser späten Stunde. Durch den schlummernden Ort schritt eine hohe dunkle Gestalt, mit raschem festen Tritt, und schlug den Weg nach den Tempelruinen von Luksor ein, die kaum eine Viertelstunde entfernt lagen. Jetzt trat sie aus dem Schatten einer Mauer hervor in das helle Mondlicht und man sah die Züge Reinhart Ehrwalds.

An dem hohen Uferrande des Nil blieb er wie unwillkürlich stehen, gefesselt von dem Anblick, der sich ihm bot. Der Abend war schon weit vorgerückt, jetzt nahte auf leisen Schwingen die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0151.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)