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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Ganz anders geartet ist Gerhard Hauptmann. Er ist mehr dramatischer Genremaler und im Durchführen naturalistischer Prinzipien pedantisch kleinlich; er steht ganz unter dem Einflüsse Ibsens; seine „Einsamen Menschen“ tragen das Gepräge der oft blutleeren skandinavischen Muse. „Vor Sonnenaufgang“ enthält neben brutalen Scenen und Wendungen auch einzelnes poetisch Anmutende. Die Verwüstungen der Trunksucht in den Familien der Bauern zu schildern, ist mehr die Aufgabe des Sittenmalers als die des dramatischen Dichters. In „Kollege Crampton“ ist es dasselbe Laster, an welchem ein begabter Künstler zu Grunde geht. „Die Weber“ lösen sich ganz in Tableaus auf, durch welche kein dramatischer Faden hindurch geht; es ist eine scenisch zersplitterte Tragödie des Elends mit einzelnen packenden Auftritten. Am meisten von sich sprechen machte „Hannele“, eine Traumdichtung, in welcher ein roher Realismus neben einer visionären Phantastik waltet und der Jammer der Erde von himmlischer Glorie eingerahmt wird; ein paar lyrische Prachtstücke sind hier in die allernüchternste Werktagsprosa verwebt. Hauptmanns neuestes Werk „Florian Geyer“, das bei seiner ersten Aufführung im Berliner „Deutschen Theater“ entschieden abgelehnt wurde, scheiterte an dem Versuch, die Prinzipien des einseitigen Naturalismus auf das Gebiet des historischen Trauerspiels zu übertragen.

Daß frühere Einflüsse auf die neueste Gestaltung der dramatischen Dichtung miteinwirken, ist unverkennbar. Das Traum- und Märchendrama ist keineswegs von der Bühne verschwunden: hier vor allem zeigt sich das Vorbild des sinnigen und oft tiefsinnigen Grillparzer noch in voller Geltung; denn nicht etwa mit den Zauberpossen haben diese neuen Dichtwerke Gemeinschaft, sondern mit hochpoetischen Werken wie Grillparzers „Der Traum ein Leben“. Daran erinnerten schon Wilbrandts Drama der Wiedergeburten „Der Meister von Palmyra“ und Heyses „Schlimme Brüder“, und auch die neueste so erfolgreiche Märchendichtung „Der Talisman“ von Ludwig Fulda verleugnet die Schule Grillparzers nicht; sie bewegt sich zwar nicht in der Traum- und Zaubersphäre, aber sie ist in die Gewandung des orientalischen Märchens gekleidet. Dieses dramatisierte Epigramm ist aus dem reichen Schatz von Epigrammen hervorgegangen, den Fulda in seinem schriftstellerischen Schrein verwahrt. In der That vereinigt er auf diesem Gebiete geistige Schärfe mit großer Formgewandtheit und diese Vorzüge verraten sich auch in seinen modernen Gesellschaftsdramen „Die Sklavin“, „Das verlorene Paradies“, noch mehr aber und mit größerer Frische in seinen Lustspielen, die wie „Die wilde Jagd“ auf den von Bauernfeld und Lindau eingebürgerten Salonton gestimmt sind. Dasselbe gilt von Ernst von Wolzogens Stücken „Die Kinder der Excellenz“ und „Lumpengesindel“, in denen es an launig ausgeführten Genrebildern nicht fehlt, aber auch gesellschaftliche Mißklänge scharf in die Capriccios des Humors hineintönen, den Einfluß Ibsens auf den Autor markierend.

Im übrigen herrscht auf unserer Bühne der Lustspielschwank, ein Gebiet, auf welchem auch G. von Mosers Lustspielmuse zuletzt immer mehr heimisch geworden ist. Oskar Blumenthal, in seinen ersten Lustspielen wie in seinem glücklichsten Wurf „Der Probepfeil“, in den Bahnen Paul Lindaus wandelnd, wenn auch im Dialog weniger feingeistig und mit derberem Nachdruck, hat jetzt mit seiner „Großstadtluft“ und ähnlichen Schwänken, in denen die Lustigkeit die Grundstimmung bildet und ein derber Schlagwitz herrscht, sich alle Bühnen erobert. Auch Franz von Schönthan mit seinen Mitarbeitern Paul von Schönthan und Gustav Kadelburg, welcher auch Blumenthal in der „Großstadtluft“ und anderen Erzeugnissen zur Seite stand, hat mit dem spaßhaften „Raub der Sabinerinnen“ und neuerdings mit dem drolligen „Der Herr Senator“ nachhaltige Lacherfolge errungen.

Wir haben in großen Zügen den Entwicklungsgang der neuesten dramatischen Litteratur und damit auch des Theaters in Deutschland gezeichnet. Wie sich auch die älteren und neueren Richtungen befehden mögen: die Mannigfaltigkeit und der Reichtum des deutschen Geisteslebens zeigt sich auch auf diesem Gebiete. Auch ist zu hoffen, daß die Gegensätze sich immer mehr ausgleichen werden; in wohlthuender Neuerung wird man dann keine Vermessenheit, in der Pflege des wohlverdienten Alten keine geistige Beschränktheit sehen. Der biblische Spruch: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, gilt auch mit Bezug auf das geistige Leben und unsere Litteratur; wo aber heftiger Streit entbrennt über Richtungen und Programme des dramatischen Schaffens, da ertöne der Friedensruf: „Habt nur Talent und Genie, so wird euch alles übrige von selbst zufallen!“ Rudolf Hermann.     




Mein Roman.

Novelle von Eva Treu.
(Schluß.)


Du hast wohl vergessen, daß wir heute Wäsche haben?“ sagte Mutter ein bißchen scharf, als ich am andern Morgen in die Eßstube trat. Ja, ich hatte es vergessen!

„Lene, meine französische Uebersetzung solltest Du doch noch mit mir durchnehmen,“ sagte Lolli, unsere Töchterschülerin. Richtig, ja, ich entsann mich nun. Jetzt war es zu spät!

„Wenn ich Dir aber das In-Ordnung-Halten meiner Handschuhe übertrage, so kümmere Dich auch gefälligst darum; hier fehlt wieder ein Knopf,“ bemerkte Vater verdrießlich. Ich nähte den Knopf, der, nur noch an einem Faden hängend, sein unsicheres Leben fristete, hastig und wahrscheinlich sehr mangelhaft fest und eilte dann hinaus, um die Waschfrau mit Frühstück zu versorgen. Sie machte bereits einen ganz überflüssigen Lärm in der Waschküche, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Ja, so war es nun, mein Schicksal – nicht einmal ein bißchen träumen durfte ich von meiner Liebe, immer stand Mutter oder sonst jemand bereit, mir die Prosa des Lebens wie einen Besen in die Hand zu drücken!

Nachmittags mußte ich Male helfen, die Wäsche aufhängen. Das mochte ich gar nicht gern, denn der Bleichplatz war nur durch einen Zaun von der Straße getrennt, und es kam immer jemand vorbei, wenn ich solche Arbeit verrichtete, die ich nach meiner leider ja unmaßgeblichen Meinung ungeeignet für eine Dame fand. Auch diesmal mußte es natürlich geschehen. Ein Schatten fiel über den Zaun, gerade auf das große weiße Laken, welches ich aufhing, und es war, als zwänge mich eine unsichtbare Gewalt, mich umzuwenden.

„Herr Doktor,“ stotterte ich, indem ich heiß errötend grüßte. Er zog den Hut sehr tief, und ich glaube, er hatte brennende Lust, stillzustehen und etwas zu sagen, aber er wurde bloß ebenso rot wie ich – wirklich wie ein junges Mädchen, und wie gut es ihm stand! – und ging sehr langsam weiter.

„Der arme Mensch!“ sagte Male mitleidig, ein Paar Strümpfe aufklammernd.

Ich fuhr ein bißchen plötzlich mit dem Kopf zu ihr herum. „Wieso?“

„Gott, Fräulein, ich glaube, Patschenten hat der nich! Immer liegt er auf die Straße. Wie manchmal der hier in die letzte Zeit vorbeigegangen is, da mag ich gar nich über sein zu zählen! Er weiß sein Zeit ja woll nich tot zu kriegen. Heute is er hier nu dreimal vorbeigestappt, – ümmer langsam, alleben, alleben! Wo lebt er von, Fräulein, wenn er so’n Berg Zeit hat?“

Ich schwieg. Die Wahrheit zu sagen, glaube ich jetzt selbst nicht, daß Doktor Forst damals schon eine nicht zu bewältigende Zahl von Patienten gehabt haben kann, denn er fand in der That Zeit für viele und oft wiederholte Spaziergänge in der Nähe unseres Hauses; aber es ist natürlich über jeden Zweifel erhaben, daß dies einzig und allein seinen Grund in dem gesunden Klima unseres Städtchens und der allen Krankheiten überhaupt abholden Sommerszeit hatte. Jetzt, das darf ich mit gutem Gewissen versichern, würde er die Zeit für Fensterpromenaden schwerlich auftreiben können. Doch das sei nur nebenbei gesagt. Mir klopfte jedenfalls damals das Herz vor Freude, als ich von ihnen hörte.

Ja, er hatte viel Zeit, und er faßte auf einmal eine ganz wunderbare Freundschaft für Vater, bei dem er täglich wenigstens einmal irgend eine Besorgung zu machen hatte. Bald war ein Buch oder eine Zeitung zu bringen, bald dergleichen zu holen oder eine Verabredung für den Klub zu treffen. Ich glaube nicht, daß er Vater gerade immer sehr gelegen kam, aber Vater ist gutmütig und ließ es ihn nie empfinden. Mitunter begegneten wir uns auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0172.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)