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nicht ungestraft. Einer sechsfachen Auslese werden die Citronen unterworfen, und jede Auslese wird in besonderes Papier gepackt. Dies Papier wird gern aus alten Schiffstauresten fabriziert, es hat die Eigenschaft, die Citronen vor äußerer Feuchtigkeit zu hüten, sie vor dem Austrocknen durch Ausschwitzen zu bewahren.

Die aus Kastanienholz gefertigten Kisten sind 1,02 m lang, 0,36 m hoch, 0,38 in breit; benannt werden sie nach der Nummer „16“ oder „20“, je nachdem, den Boden der Kiste zu bedecken, es 16 oder 20 Früchte braucht. Wenn man nun in jede Kiste fünf Schichten packt, so enthält „16“ achtzig Früchte, „20“ deren hundert. Die grün geernteten Citronen reifen und färben sich auf der Reise; die im November, Dezember und Januar geernteten halten lange Reisen aus, die Februar- und Märzfrucht ist zu reif und verträgt kaum hundert Stunden Weges.

Die Tageslöhne der Agrumiindustrie sind furchtbar niedrig und können nie steigen, ebensowenig wie die der armen in feuchten Höhlen schaffenden Maccaroniarbeiter.

Wenn man die goldene, in einer Sauce von Paradiesäpfeln (Pomidoro) gebadete, mit flockigem Käse überstreute Nudel von napolitanischen Leckermäulern in sonnendurchleuchteten Trattorien „verspinnen“, d. h. in langen unzerschnittenen Fäden bündelweise verschlingen sieht, so gedenkt man, wie bei den Spitzen, den Perlen der festprangenden Dame, nicht der Urheber dieser Herrlichkeiten. Nur selten ist jemand eingedrungen in die dunklen Geheimnisse der Maccaronifabrik. Wir begnügen uns, die Nudeln an Stangen und Gestellen in Strähuen zum Trocknen ausgehängt zu sehen vor den Häusern der Ortschaften, die wir durchfahren. Wir wissen kaum, daß die große Terrasse vor dem Hotel de’ Cappuccini in Amalfi mit dem daneben fließenden Bächlein, allwo den ganzen Tag ein ameisenhaftes Treiben stattfindet, die Vorspielbühne zu der im Stadtinnern betriebenen Maccaronifabrikation ist. Hier wird der Weizen, das „grano duro“, harte Korn, oder „grano da paste“, Nudelkorn, gewaschen, getrocknet, wieder gewaschen, gegen den Meerwind geworfen, in Säcke gefüllt, zu den Mühlen getragen und zu verschiedenen Sorten Griesmehl vermahlen. Das Anmachen des Teiges ist danach das Wichtigste, das Schwerste das „Durchreiten“ der Teigmasse, wie wir es auf einem unserer an Ort und Stelle aufgenommenen Bilder (s. u.) im Hintergrunde der furchtbar primitiven Maccaronifabrik durch drei fast unbekleidete Männer ausgeführt sehen. Sie reiten kniewippend auf einem messerförmigen Ruderholze vorwärts, rückwärts, und durchschneiden damit tausendfach die mehlige Masse, um sie zu mengen. Die vier Mann am steuerruderähnlichen Preßbengel sodann besorgen das Durchtreiben des Teiges durch die verschiedenen ganz eigenartigen Metallformen, während ein Knabe fächernd am Ausfluß kauert, um die zu Tage tretenden Nudeln vor dem Zusammenpappen zu behüten. Sind die Maccaroni schon ihrer Farbe nach in viele Kategorien geteilt, so ist die Namensbezeichnung der in den Handel kommenden schier endlos. Was sind aber Namen, oder was kann der Nordländer sich denken bei Maccaroni della Regina, Zite, Lasagne, Tagliolini, Vermicelli, Canneroncini, Fidelini, Spaghetti, Stelletti, Semensi di Mellone, Occhi di Quaglio u. a. mehr? Die armen bleichen abgezehrten Männer jedoch, die sich für eine Lira den Tag in den Tod „reiten“, bekommen nichts davon zu essen, nur an Festtagen steht eine Schüssel schwarzer Pasta auf ihrem Tisch, von der das Kilo 40 Centimes kostet.

Doch sind die Männer in ihrer Schattennacht immer gutes Mutes: sie haben einen Dom, wie ihn nicht leicht eine andere Stadt hat, und in dem Dome wohnt der allmächtige Schutzpatron Sankt Andreas.

Wohl, dieser Dom ist ein „Märchen aus alten Zeiten“! Er predigt auf den armen schmutzigen Krautmarkt herab neun Jahrhunderte Geschichte. Anfangs war er nur zweischiffig und der heiligen Assunta geweiht. Der amalfitanische Doge Mansone III. weihte ihn 987 zur Episkopalkirche und fügte ein drittes Schiff hinzu. Zweihundert Jahre später, 1203, erneuerte ihn der Kardinal Capuano vollständig, ließ das Atrium im Spitzbogenstil errichten und brachte viel reichen Marmor- und Mosaikschmuck an. Das Atrium, eingedrückt durch die auf ihm lastende Attika, ist vor wenig Jahren endgültig restauriert worden.

Dem Dome treu zur Seite steht der prächtige Campanile, der Glockenturm im byzantinischen Stile, dessen Bau schon 1180 angefangen wurde. Wir schauen, von einer wehklagenden Bettlerschar umringt, im Geiste die vergangenen Herrlichkeiten ….


In einer Amalfitaner Maccaronifabrik.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0191.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)