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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

die von den Ländern um die Beringstraße und von den neusibirischen Inseln stammen mußten. An die Ostküste Grönlands wurden Trümmer des im Jahre 1881 in neusibirischem Eise zu Grunde gegangenen Expeditionsschiffes „Jeanette“, Wurfhölzer der Eingeborenen von Alaska, Auswürflinge nordamerikanischer Vulkane herangeschwemmt – aus diesen und anderen Beobachtungen schloß Nansen, daß es eine Meeresströmung geben müsse, die von der Beringstraße nach den neusibirischen Inseln und von da quer über den Nordpol zu Grönlands Gestaden führt. Dieser Strömung wollte er nun sein Schiff anvertrauen, sich von ihr von Neusibirien treiben lassen und hoffte, daß er mit ihr den Nordpol erreichen und dann an die Ostküste Grönlands gelangen würde. Er war darauf gefaßt, daß sein Schiff im Winter festfrieren würde, aber das beunruhigte ihn nicht; als Passagier der Eisscholle wollte er ja gerade das so viel umworbene Ziel erreichen.

Fridthjof Nansen.
Nach einer Aufnahme von L. Szacinski in Christiania.

Nansen hatte sich bereits, bevor er mit diesem Plane hervortrat, einen hohen Ruf als Polarforscher erworben. Geboren am 10. Oktober 1861 in der Nähe von Christiania, studierte er in den Jahren 1880 und 1881, wobei er sich eifrig allerlei Leibesübungen, namentlich dem Schneeschuhlaufen, widmete. Im Sommer 1882 machte er seine erste Reise ins Eismeer mit dem Seehundsfänger „Wiking“. Eine Zeit lang war er darauf Konservator am Zoologischen Museum in Bergen und vollbrachte im Jahre 1888 eine Großthat als Polarforscher: in Begleitung von nur fünf Mann durchquerte er auf Schneeschuhen Grönland. In etwa einem Monat legte er über die öden Flächen des vereisten Kontinents gegen 500 km zurück, ertrug dabei Fröste von –50° C und erreichte Höhen von 3000 m über dem Meeresspiegel!

Andrées Polarballon.

Kein Wunder, daß einem so entschlossenen und bewährten Manne Mittel zu einer Nordpolfahrt bereitwilligst zur Verfügung gestellt wurden! Nansen war bald in der Lage, ein vorzügliches Expeditionsschiff zu bauen, das er „Fram“, d. h, „Vorwärts“, taufte. Dieses Polarschiff ist nicht groß, denn bei 40 m Länge hat es 11 m Breite, und seine Besatzung besteht nur aus 12 Mann. Es ist ein dreimastiger Schooner mit einer Maschine von 160 Pferdekräften; es sollte aber nur 2 Monate nach der letzten Kohleneinnahme unter Dampf sein und sonst die Segel benutzen. Höchst eigenartig ist die Konstruktion des „Fram“. Um den gewaltigen Eispressungen des Polarmeeres stand zu halten, ist er möglichst stark und aus den besten Hölzern gebaut. Allein die 12 Zoll dicke „Eishaut“ kostete gegen 22000 Mark. Dabei hat das Schiff möglichst wenig vorspringende Ecken und Kanten. Glatt wie ein Aal soll es zwischen den Eisschollen hindurchschlüpfen. Wenn sich aber dennoch die Eismassen um das Schiff lagern und es in seinen Umarmungen festhalten würden, soll es dem mächtigen Drucke nach oben entweichen können. Seine Seiten sind nämlich nach unten zu abgeschrägt, so daß es von den zusammendrängendem Eismassen gehoben wird, und seine Unterseite ist so flach, daß es, auf eine Scholle gedrängt, nicht kentert.

Auch sonst ist die Ausrüstuug mustergültig. Die Außenseiten der Mannschaftskojen, des Schiffsaals und der Kajüte sind mit verschiedenen Lagen von Filz, Kork, Tannenbrettern, Linoleum, Rentierhaardecken etc. verwahrt. Zur Erwärmung und zum Kochen wurden außer Kohlen Spiritus und Petroleum mitgenommen. Ja selbst elektrische Lampen wurden in das Polarmeer geschafft. Eine Windmühle, die auf dem Schiffe aufgestellt werden kann, liefert die Kraft zur Bewegung einer Dynamomaschine!

Doch was sind Pläne, was sind Entwürfe! Expeditionen verlaufen fast niemals programmmäßig, am allerwenigsten Nordpolexpeditionen. Fast scheint es, daß auch Nansen diese Kreuzung seiner Pläne erleben mußte. Am 20. August 1893 wurde der „Fram“ zuletzt im Karischen Meer gesehen. Er war mit Proviant auf fünf bis sechs Jahre versehen und sollte nach Jahr und Tag an der Ostküste Grönlands wieder auftauchen. Nun verbreitet, wie schon erwähnt, der sibirische Kaufmann Kuchnarow die Nachricht, daß Nansen Land am Nordpol entdeckt habe und zurückkehre. Bestätigt sich die Nachricht, dann haben Unglücksfälle oder unüberwindliche Schwierigkeiten die Polarfahrer genötigt, ihren Plan zu ändern und über Sibirien zurückzureisen. –

Gleichviel aber, ob es Nansen gelungen ist, seinen Fuß auf den Nordpol zu setzen, oder ob er, ohne den eisigen Bannkreis durchbrochen zu haben, heimkehrt, es rüsten sich andere, auf einem ganz neuen und ungewöhnlichen Wege nach dem Nordpol zu ziehen. Nicht auf Schiff und Schlitten setzen sie ihre Hoffnungen; im Luftballon durch die Lüfte wollen sie nach dem geheimnisvollen unerforschten Punkt der Erde fliegen! Der Gedanke, den Nordpol mit Hilfe des Luftballons zu erreichen, ist nicht neu. Schon vor Jahren (vgl. Jahrg. 1883, S. 346) hat die „Gartenlaube“ über solche Pläne ihren Lesern berichtet. Nunmehr soll aber der abenteuerliche Entschluß, als „Passagiere des Windes“ über den Nordpol hinwegzufliegen, von drei kühnen Schweden in die That umgesetzt werden. Der schwedische Ingenieur Andrée ist der Leiter dieses verwegenen Unternehmens und ihm wollen sich als Gefährten der Meteorologe Nils Ekholm und ein dritter noch ungenannter Mann anschließen. Andrée läßt, gestützt auf die neuesten Errungenschaften der Ballontechnik, einen Ballon aus möglichst undurchlässigem Stoff bauen, der bei 20,5 m Durchmesser etwa 4500 cbm Gas fassen soll. Um gegen Feuchtigkeit und vor Gasverlust geschützt zu werden, ist der Ballon oben mit einer Kappe von ölgetränktem Zeug und in seinem unteren Teile mit einem Gürtel versehen, wie dies auf unserer Abbildung angedeutet ist. Unter der Gondel befindet sich die Vorratskammer der Expedttion, und eine Strickleiter führt zu dem automatischen Ventil. Der Ballon wird 2100 kg Ballast mitführen, der hauptsächlich aus Nahrungsmitteln besteht. Der Proviant soll für 4½ Monate reichen. Auch Segel werden an dem Ballon angebracht, um eventuell eine Ablenkung des Kurses von der Windrichtung zu ermöglichen.

Nansens Polarschiff "Fram".

Das Luftschiff soll auf Spitzbergen gefüllt werden und dann gegen den Nordpol aufsteigen. Andrée will sich möglichst in einer Höhe von 200 bis 300 m über dem Meere halten und die Fahrgeschwindigkeit durch ausgeworfene Schlepptaue mäßigen. Jedes dieser Taue erhält am unteren Ende schwächere Stellen, damit, falls der Ballon bei schneller Bewegung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0216.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)