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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Hibatschi (offenes Holzkohlenbecken) in der Mitte des Wohnzimmers, spielen Karten oder lassen sich von Großmama oder der Tante (O Ba San) die reizenden japanischen Märchen erzählen.

Steckenpferdreiten nach einem japanischen farbigen Originalbild.

Für die Jungen ist das größte Fest das Flaggenfest am fünften Tage des fünften Monats; in jeder Familie, welche Söhne besitzt, werden an diesem Tage papierne Fische von ungeheurer Größe auf Bambusstangen gebunden und diese am Hause aufgestellt. Der Wind bläst die Papierfische wie Luftballons auf, und dann sieht man über dem Häusermeer der Städte Zehntausende derartiger Fische schweben. Die Jungen aber ziehen, womöglich als Soldaten oder Samurai (Zweischwertermänner) gekleidet, bunte Flaggen in der Hand, umher und stopfen sich mit Süßigkeiten voll. –

Kinderscene nach einem japanischen
farbigen Originalbild.

Große Freudentage sind es jedesmal, wenn die Eltern ihre Kinder mit in das Theater nehmen – Freudentage im wahren Sinne des Wortes, denn die Familien pflegen morgens ins Theater zu gehen und es erst spät abends zu verlassen. Die Kinder hören andächtig den geschichtlichen Darstellungen zu, und was daran häßlich und gemein ist, thut ihrer Ehrfurcht vor den Eltern keinen Abbruch. Nichts dürfte dem europäischen Besucher japanischer Inlandstädte mehr auffallen als dieser schönste Zug des japanischen Charakters. Er wird so weit getrieben, daß sich alle Kinder und Diener eines Hauses jedesmal auf die Knie werfen und mit der Stirne den Boden berühren, wenn ihre Eltern ausgehen oder nach Hause kommen; nirgends ist Gehorsam so sehr die erste Kindespflicht wie in Japan, und in dieser Hinsicht könnten sich die Kinder in Ländern, die uns viel näher liegen, die Japaner zum Beispiel nehmen.



Blätter und Blüten.


Der junge Goethe auf dem Mühlberg bei Frankfurt a. M. (Zu dem Bilde S. 224 und 225.) Mit sechzehn Jahren verließ der junge Goethe sein Vaterhaus, um in Leipzig die Rechte zu studieren, mit sechsundzwanzig folgte er dem Rufe Karl Augusts nach Weimar. Das dazwischen liegende Jahrzehnt umfaßt die großartige Entwicklung des Dichters, die in dem harmlosen Schäferspiel „Die Laune des Verliebten“ und in dem Entwurf der gewaltigen Welttragödie „Faust“ ihren Anfang und Ausgang hat. In dieses Jahrzehnt von 1765 bis 1775 fallen die erschütternden Herzenserlebnisse, welche für seine Poesie wie für sein Schicksal von gleicher Bedeutung wurden, die Schwärmerei für Käthchen Schönkopf, die Idylle von Sesenheim, der „Wertherroman“ von Wetzlar, die Liebeswirren, welche die Lieder an Lili seinem Herzen entlockten; in dieser Zeit schuf er, beeinflußt von diesem Erleben, das Frischeste und Berauschendste seiner Lyrik, den „Götz“, den „Werther“, den „Clavigo“, die „Stella“, die Anfänge von „Egmont“ und „Faust“. Fast all dies schrieb er in Frankfurt; in Straßburg als Student, als Rechtspraktikant in Wetzlar, auf der Reise in die Schweiz erlebte er, was er dann in der Umfriedung des Vaterhauses zur Dichtung gestaltete. Die drei Jahre 1773 bis 1775, die er schließlich als Advokat in der Vaterstadt verbrachte und in denen sämtliche Hauptwerke seiner geniedurchglühten Jugendzeit zu Tage traten, sind die fruchtbarsten seines ganzen Lebens. Sie waren auch die glücklichsten für seine Eltern. Der gestrenge Herr Rat Goethe erlebte eine wohlthätige Verjüngung seines ganzen Wesens, nun er sein reiches Wissen als Jurist im Wetteifer und im Zusammenwirken mit dem so hochbegabten Sohn bethätigen konnte; sein Mißtrauen gegen dessen Charakter war überwunden; von dem Berufe Wolfgangs zum Dichter nach der Vollendung des „Götz“ voll überzeugt, nahm er den regsten, freudigsten Anteil an seinem Schaffen. Und erst „Frau Aja Wohlgemuth“, die nie an der hohen Bestimmung ihres Lieblings gezweifelt hatte – welche Welt des Glücks eröffnete ihr diese Zeit! Mit welchem freudigen Entzücken weidete sich ihr Blick an der verschwenderischen Blütenfülle seines Dichterlenzes! Mit welcher Gastlichkeit empfing sie die Freunde und Verehrer, die das meteorartige Aufleuchten seines Ruhms nach Frankfurt lockte, die genialischen Stürmer und Dränger, die in dem Dichter des „Götz“ ihren Führer erkannten, die Söhne gräflicher und fürstlicher Häuser, die um seine Freundschaft warben, bis einer derselben ihn ihr ganz entführte! Er aber, der jugendliche Feuergeist, hatte bei all der Liebe, die er mit den Seinen austauschte, bei all der „Fülle der Gesichte“, die er um seinen Schreibtisch zu bannen wußte, bei all dem Zuspruch von neuen Freunden und Bekanntschaften und all der Huldigung, die ihn von schwärmerisch gestimmten Frauen und Mädchen wurde, nicht Rast und Ruhe, um sich dem behaglichen Genusse seiner Erfolge hinzugeben. Diese Jahre in Frankfurt sahen ihn noch öfter als im Vaterhaus in der Umgebung der schönen Mainstadt.

Wollen wir seinen Dichterspuren aus jener Zeit folgen, so müssen wir über die alte Brücke nach Sachsenhausen gehen, hinter dessen Gemüsegärten sich links der Mühlberg mit seinen Obstbaumhainen erhebt und am Maine entlang sich ein Wiesengelände nach der Gerbermühle und weiterhin nach Offenbach zieht, während rechts die Pfade zum Stadtwald abzweigen. Wir müssen von dem Ufergelände aus, das ihm für den Osterspaziergang im „Faust“ den Schauplatz geliefert, den Thälern, Höhen, Gefilden und Wäldern zuwandern, in denen er damals, wie „Wahrheit und Dichtung“ berichtet, Beruhigung für sein aufgeregtes Gemüt immer wieder suchte und fand, als er die Leidenschaft für Friederike Brion, dann für Lotte Buff in sich niederkämpfte, als Lili Schönemann mit ihren Reizen ihn in Lebenskreise zog, in die sich seine Natur nur mit Widerstreben fand. Es war die Zeit, in der er sich selbst den „Wanderer“ nannte, von der er rückerinnernd schrieb, daß mehr als jemals in ihr sein Sinn gegen offene Welt und freie Natur gerichtet gewesen sei, und die auf solchem Gange den Hymnus „Wanderers Sturmlied“ entstehen sah, den er „dem Regengewölk, dem Schloßensturm entgegensang wie die Lerche“.

In diese Frankfurter Sturm- und Drang- und Werdezeit des herrlichen Dichters versetzt uns das Bild von Frank Kirchbach. Der Maler hat seine mehrjährige Thätigkeit als Professor am Städelschen Kunstinstitut eifrig benutzt, um sein Talent durch ein inniges Hineinleben in die ruhmreiche Erinnerungswelt der altersstolzen Mainstadt zu befruchten. Auch unser Gemälde ist davon ein sprechender Beweis. Die Scene stellt einen terrassenartig angelegten Garten auf der Höhe des Mühlbergs dar, der einen entzückenden Ausblick auf das Mainthal, die alte Kaiserstadt und den malerischen Höhenzug des Taunus bietet. Ohne direkte Anlehnung an eine besondere Ueberlieferung hat der Künstler ein Zusammensein der Eltern Goethes mit dem Sohn auf diese Höhe verlegt, von der wir wissen, daß er sie in jener Jugendzeit auf dem Wege nach Offenbach zu Lili oft beschritten, gerade wie später, da seine Liebe für Marianne von Willemer die Umgebung der Gerbermühle ihm teuer machte. So zeigt uns das Bild den jungen Dichter gleichzeitig im Freien und im Verkehr mit den Seinen, inmitten der Gegend, deren „holde“ Anmut sich in seinen damals entstandenen Gedichten so treulich wiederspiegelt. Eines derselben trägt er, seiner gern geübten Neigung nach, der geliebten Mutter und den Gästen vor, die hingerissen seinen Worten lauschen, während der alte Herr Rat, erhitzt vom Emporstieg, gerade herzukommt. P.     

Zu dem Artikel „Friedrich Hessing“. Herr Prof. Th. v. Jürgensen in Tübingen ersucht uns, seinem Artikel über Friedrich Hessing in Nr. 10 der „Gartenlaube“ folgende Bemerkung hinzufügen zu dürfen: „Mein Ausdruck, daß Hessing sichere Erfolge bei der Behandlung chronischer Erkrankungen des Rückenmarks durch seine Korsettbehandlnng erzielt habe, könnte mißverstanden werden. Es soll damit nur gesagt sein, daß er in den Fällen, welche für die mechanische Behandlung zugängig sind, durch diese allein sichere Erfolge erzielt hat.“

Konfirmandinnen in einer holländischen Dorfkirche. (Zu dem Bilde S. 221.) Ostern ist da und mit ihm der weihevolle Zeitpunkt der Konfirmation. In allen evangelischen Gemeinden bereitet man die Jugend für diese ernste kirchliche Handlung vor und eine der letzten Stunden dieses Konfirmandenunterrichts wird uns auf dem trefflichen Bilde von Grust vorgeführt. Die schlichte und so ansprechende Tracht der holländischen Dorfmädchen paßt vorzüglich zu der Stimmung, welche in solchen Augenblicken die Schülerinnen verklärt. Wie andächtig und tiefergriffen lauschen sie den Worten des Predigers, wie spiegelt sich die Reinheit der jungen Seelen in den klaren Blicken! Selig sind die reinen Herzens sind … Möchte doch an ihnen allen auch in schweren Prüfungen des Menschenlebens dieser Spruch des Evangeliums in Erfüllung gehen! *      

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0239.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)