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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Da bringe ich Dir meinen Reinhart, Elsa!“ sagte er mit vollster Innigkeit. „Laß ihn keinen Fremden für Dich sein, wenn Du Dich auch seiner nicht mehr erinnerst.“

Reinhart verneigte sich mit jener ritterlichen Artigkeit, die er den Frauen gegenüber stets zeigte.

„Ich bin nicht so kühn, einen Platz in Ihrer Erinnerung zu beanspruchen, mein gnädiges Fräulein, die Zeit liegt allzuweit zurück. Aber als Lothars Freund darf ich wohl hoffen, von Ihnen nicht als völlig fremd angesehen zu werden. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen meinen Glückwunsch auszusprechen?“

Seine blitzenden Augen streiften dabei mit einem halb fragenden Ausdruck das Antlitz des jungen Mädchens, als erwartete er irgend ein Zeichen des Wiedererkennens, irgend eine Bemerkung über jene nächtliche Begegnung. Aber Elsas Lippen waren fest zusammengepreßt, mit einem eigentümlich herben Ausdruck, und als sie sich endlich öffneten, geschah es nur zu jenen kühlen, förmlichen Worten, mit denen man den Glückwunsch eines Fremden erwidert.

„Ich danke Ihnen, Herr Ehrwald. Es ist wohl selbstverständlich, daß mir Lothars Freund willkommen ist.“

Sonneck sah etwas enttäuscht aus, er kannte ja die Schweigsamkeit und Zurückhaltung seiner jungen Braut andern gegenüber, hier aber hatte er doch eine wärmere Begrüßung erwartet. Elsa wußte es ja, was ihm Reinhart war, er hatte ihr oft genug davon gesprochen.

„Lady Marwood ist bei Dir?“ fragte er. „Wir sahen ihren Wagen und den Hassan draußen. Ich hatte es ihr geschrieben, weshalb wir unseren Besuch vorläufig noch aufschieben mußten. Komm, Reinhart, Du mußt sie doch auch begrüßen!“

Er bot Elsa den Arm und führte sie in das Haus. Reinhart stand noch unten im Garten und blickte auf die alten moosbewachsenen Stufen nieder, auf denen jetzt der helle Sonnenschein lag. Es sah fast aus, als scheute er sich, sie zu betreten, dann aber setzte er plötzlich wie in aufflammendem Trotz den Fuß auf die verwitterten Steine und stieg mit raschen, festen Schritten hinauf.

Lady Marwood begrüßte die Eintretenden oder vielmehr Sonneck mit der gewohnten Vertraulichkeit, denn die Begrüßung galt ihm allein. „Sie sehen, ich habe den Zugang gefunden zu Ihrem verborgenen Schatz, wenn Sie ihn auch hinter Gittern und Mauern verschließen,“ rief sie ihm entgegen. „Ja, lächeln Sie nur, ich kam in der schlimmen Absicht, Ihnen etwas davon zu rauben. Der künftige Herr und Gemahl wird freilich Alleinherrscher sein wollen in seinem Reiche, aber ich beanspruche auch einen Platz darin. Nicht wahr, meine süße Elsa?“

Sie zog das junge Mädchen schmeichelnd neben sich nieder und schien es dabei ganz zu übersehen, daß noch jemand eingetreten war, der hinter Sonneck stand. Dieser lächelte in der That, als er erwiderte: „Ich bin durchaus nicht so tyrannisch angelegt, wie Sie voraussetzen, ich beanspruche nur den ersten Platz bei meiner Elsa. Doch nun gestatten Sie mir, Zenaide, Ihnen einen alten Bekannten zuzuführen, der Sie jetzt auch auf deutschem Boden begrüßen möchte. Sie wußten ja, daß ich ihn erwartete.“

Er sprach im unbefangensten Tone, aber sein Blick ruhte dabei forschend auf den beiden, die sich jetzt zum erstenmal wiedersahen seit jener Trennung in Luksor. Sie waren freilich beide auf dies Wiedersehen vorbereitet.

„Ah, Herr Ehrwald!“ Zenaide streckte mit nachlässiger Grazie die Hand aus. „Das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen hier in Kronsberg! Ich glaube, wir haben uns sehr lange nicht gesehen.“

Sie sah in der That aus, als entsänne sie sich dieser Zeit kaum mehr. Reinhart kam ihrem Gedächtnis zu Hilfe.

„Volle zehn Jahre, Mylady,“ erwiderte er, seine Lippen auf die dargereichte Hand drückend. „Ich hatte bei meiner öfteren Anwesenheit in Kairo leider nie das Glück, Sie dort wieder zu treffen.“

„Ich bin auch seit drei Jahren nicht dort gewesen. Und Sie haben sich also herbeigelassen, einmal wieder nach Europa zu kommen? Sie hielten es wohl für notwendig, sich leibhaftig inmitten der Civilisation zu zeigen, damit Sie für das Publikum nicht ganz und gar zur Sage werden, zum Märchenhelden aus ‚Tausend und Eine Nacht‘.“

„Sie scherzen, Mylady,“ sagte Ehrwald, den Spott mit ruhiger Artigkeit parierend.

„Nun, was die Zeitungen von Ihnen berichten, grenzt doch oft genug an das Märchenhafte, zumal der letzte Zug, den Sie allein gegen den rebellischen Wüstenstamm unternahmen. Herr Sonneck war ja wohl damals schon in Deutschland.“

„Ja, da war er so recht in seinem Elemente,“ nahm Lothar das Wort. „Keine Verhandlungen und Rücksichten wie sonst, wo man immer erst den gütlichen Weg versuchen muß! Da hieß es, nur vorwärtsgehen und niederwerfen, was sich nicht ergab. Das ist von jeher der Gegensatz zwischen uns beiden gewesen. Ich war immer nur der Forscher, der Entdecker, der die Kämpfe und Gefahren beim Vorwärtsbringen als eine harte Notwendigkeit ansah. Reinhart ist der Eroberer, der alles mit stürmender Hand nehmen möchte und dem das auch meistenteils glückt. Ob es nun gegen feindliche Stämme geht, gegen die Elemente oder die Schrecken der Wüsten und Urwälder, das gilt ihm gleich, wenn er nur kämpfen und siegen kann. Wie oft habe ich ihm den Zügel anlegen müssen und wie ungeduldig hat er das stets ertragen!“

„Aber doch nur im Anfange,“ warf Reinhart ein. „An Deiner Seite habe ich bald genug Ruhe und Besonnenheit gelernt.“

„Mußten Sie das wirklich erst lernen, Herr Ehrwald?“ fragte Zenaide. „Ich glaube, Sie waren immer sehr – besonnen, sobald Sie nur wollten.“

„Sobald ich mußte, Mylady. Es giebt Fälle, wo die Besonnenheit zur Pflicht wird.“

Die Augen der beiden begegneten sich und ruhten einige Sekunden lang ineinander. Sie dachten wohl beide an die Stunde, in der sie sich zum letztenmal gesehen hatten, in den Tempelhallen von Luksor, wo das geisterhafte Licht des Mondes hinflutete über die alte Opferstätte und die steinernen Riesenbilder niederblickten auf die beiden jungen Menschenkinder, die damals voneinander gingen. Der eine hinaus in die Wüste, in die glühende Tropenwelt, die andere wenige Monate später in die kalten Nebel des Nordens! Eine endlose Ferne hatte sich zwischen sie gelegt und jetzt saßen sie sich wieder gegenüber, so nahe und so fremd!

Sonneck mochte wohl die geheime Bedeutung der letzten Worte ahnen, denn er lenkte rasch ab und sprach von anderen Dingen. Das Gespräch wurde allgemein, doch Lady Marwood beherrschte es vollständig. Sie sprühte jetzt wieder von Feuer und Leben und riß die beiden Herren zu der gleichen Lebhaftigkeit fort. Sie schilderte das Leben in Rom, wo sie den Winter zugebracht und, wie es schien, in der Gesellschaft den Ton angegeben hatte; sie spottete über die Verbannung in Schnee und Eis, zu der man sie verurteilte, und über die biederen Kronsberger, die sich bei jeder Gelegenheit auf ihren Weltkurort beriefen und dabei so unendlich spießbürgerlich seien. Sie neckte Elsa wegen ihrer Schweigsamkeit und erklärte lachend, sie werde das „Trappistengesetz“ von Burgheim ein für allemal durchbrechen. Das ging wie in atemloser Hast von einem Gegenstande zum andern, streifte jeden und hielt keinen einzigen fest: ihr Geplauder blitzte nur so von übermütigem Spott und geistreichen Bemerkungen.

Endlich brach sie auf und reichte zum Abschiede Sonneck die Hand. „Nun aber lasse ich keine Entschuldigung mehr gelten. Professor Helmreich ist außer Gefahr, wie ich höre, jetzt verlange ich den versprochenen Besuch.“

„Wir kommen morgen,“ versicherte Lothar, sie lächelte und wandte sich zu Reinhart.

„Und Sie, Herr Ehrwald? Werde ich das Vergnügen haben, auch Sie bei mir zu sehen?“

Er verneigte sich mit vollendeter Artigkeit.

„Sie haben nur zu befehlen, Mylady. Ich werde es als eine Gunst betrachten, wenn Sie mir erlauben, Ihnen meine Aufwartung zu machen.“

„Also auf Wiedersehen, meine Herren!“ Lady Marwood neigte das Haupt gegen beide und ging dann, von Elsa geleitet. Draußen in der Flurhalle aber blieb sie stehen und sah mit einem seltsam dunklen Blick auf die geschlossene Thür des Wohnzimmers.

„Noch ganz der alte!“ sagte sie halblaut. „So ritterlich und so eisig, trotz all’ des Feuers, das da zu flammen scheint. Wie findest Du diesen Ehrwald eigentlich, Elsa? Gefällt er Dir?“

„Nein!“ Das Wort kam ohne jedes Zögern, aber mit so herber Entschiedenheit von den Lippen des jungen Mädchens, daß Zenaide sie betroffen ansah.

„Sieh, wie energisch! Da blitzte endlich wieder etwas auf von meiner kleinen Elsa. Aber nimm Dich in acht, Kind, das wird den ersten Streit mit Deinem Verlobten geben, er vergöttert seinen Freund.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0262.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)