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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Thal brausen. Das war in Luksor, unter den Palmen des Nils, das war in jener Stunde, wo uns die Fata Morgana erschien.“

„Fata Morgana?“ wiederholte das junge Mädchen leise und hob, wie einem geheimen Zwange folgend, die Augen zu dem Sprechenden empor. Das waren noch die großen blauen Kinderaugen und es dämmerte etwas darin wie erwachende Erinnerung. Ehrwald trat einen Schritt näher, er stand jetzt dicht an ihrer Seite und seine Stimme verschleierte sich, sie hatte einen seltsam weichen und doch leidenschaftlichen Klang, als er fortfuhr:

„Wir waren damals allein wie jetzt, über uns ragten die Palmen und um uns her lag das Schweigen der glühenden Mittagsstunde. Tief unten zogen die Fluten des Nils dahin, drüben am anderen Ufer standen die kahlen gelben Höhenzüge und in der Ferne schimmerte das Sandmeer der Wüste, und das alles flimmerte und brannte in den heißen sengenden Strahlen. Dort über dem Wüstensaum lagerte es wie eine Wolke von glühendem Dunst und da tauchte es empor, da entschleierte sich uns das Zauberreich der alten Wüstensage! Sie waren damals ein Kind, aber solch eine Stunde erlebt man nur einmal und die prägt sich auch der Erinnerung eines Kindes ein – Sie müssen sich besinnen!“

Das klang halb gebieterisch und halb in leidenschaftlicher Bitte. Elsa hörte zu, in atemlosem Lauschen, ihre Augen hingen wie gebannt an jenem heißen dunklen Blick, der den ihrigen festzuhalten schien, und als habe er wirklich die Macht, das längst Versunkene und Vergessene aus der Tiefe heraufzuzwingen, so dämmerte es langsam wieder auf, was das Kind einst geschaut hatte: die Glutwolke über der fernen Wüste, in der es leuchtete und zuckte wie von verborgenen Strahlen, in der die seltsamen Bilder auftauchten und zerflossen. Und es hob sich der Schleier von einer fremden, geheimnisvollen Welt, die hinter jenem glühenden Nebel lag.

Und das alles einte sich so seltsam mit der Wirklichkeit. Auch hier brandete ein weißes Nebelmeer in der Tiefe und seine Wogen schienen sich zu brechen an den Hochgipfeln, die jetzt aufflammten im Lichte der steigenden Sonne. Sie schwebte ohne Strahlen, wie ein roter glühender Ball in dem Gewölk, das den Osten umlagerte, und glutrot stieg auch der Morgen in das Thal nieder. Aus der wogenden, gärenden Nebelflut tauchte Bild an Bild empor, mächtige Felsenhäupter, mit schroffen Wänden und wilden Klüften, dunkle Wäldermassen und grüne Matten, und dazwischen blinkte der weiße Gischt der Wildbäche auf, die sich von der Höhe in das Thal niederstürzten.

Und an das Ohr des jungen Mädchens klang dieselbe Stimme wie damals unter den Palmen, im fernen Sonnenlande:

„Ich habe die Fata Morgana wohl seitdem öfter gesehen, wie die meisten sie erblicken, undeutlich, schleierhaft, ein bloßes Spiel der Wolken. So klar und leuchtend hat sie sich mir nur einmal entschleiert! Sie stand wie ein strahlendes, glückverheißendes Zeichen am Beginn meiner Laufbahn und wie eine Verheißung habe ich es mit mir hinausgenommen in das Leben. Sehen Sie, so dämmerte es auch damals hervor aus Glut und Nebel – will uns das Zeichen zum zweitenmal erscheinen?“

Tief unten im Thale wallten noch die weißen Schleier, schwebten hierhin und dorthin und zerflossen endlich in Duft und Licht. Jetzt tauchte das Schloß auf mit seinen Türmen und Zinnen, jetzt die alte Bergstadt mit ihren Mauern und Giebeln, aber das alles stand so seltsam fremdartig und unirdisch in dem glühenden Morgenlicht, als sei es losgelöst von seinem Boden, als sei es nur ein leuchtender Schemen, der zerrinnen mußte wie die roten Morgenwolken dort oben. Das war nicht mehr Kronsberg, das war eine Märchenstadt, von goldigem Duft umwoben, und zu ihren Füßen brandete es wie Meeresfluten, zu ihren Häupten ragten die Berge, deren Gipfel im schneeigen Glanz verschwammen. Da lag es fern in der Tiefe, nur dem Auge erreichbar, aber geisterhaft schön!

Das Gespräch auf der Matte war verstummt, wortlos standen die beiden nebeneinander. Elsa hatte sich erhoben; weit vorgebeugt, mit verhaltenem Atem blickte sie auf das Bild, das sich dort zu ihren Füßen entschleierte; aber in ihren Augen leuchtete es, als sei mit der Erinnerung auch ein Strahl des Sonnenlandes dort aufgegangen, und das Lächeln, das um die sonst so herb geschlossenen Lippen lag, hatte etwas von dem alten frohen Kinderlachen.

Da kam es endlich, das Erwachen! Reinhart sah es mit einer beinahe wilden Freude, jetzt wollte er den Bann brechen, um jeden Preis, er wollte das schöne trotzige Kind wiedersehen, das „böse, süße, kleine Ding“, das er damals in den Armen gehalten und geküßt hatte, als er das Osmarsche Haus verließ, um es nicht wieder zu betreten.

„Fata Morgana!“ sagte er, seine Stimme hatte noch immer jenen seltsam berückenden Klang, aber sie steigerte sich bis zur vollsten Leidenschaftlichkeit. „Sie kennen sie ja wohl auch, die alte Wüstensage von dem Wunderland, dem Lande voll Glanz und Licht, wo das Glück wohnt in unerreichbarer Ferne. Noch hat keines Sterblichen Fuß es je betreten und alle, die ihm nachjagten, sind verdorben, verschmachtet im glühenden Sande, im Todesschweigen jener furchtbaren Oede. Mich hat das nie geschreckt. Auch die lockende, dämonische Djinn der Wüste neigt sich zuletzt dem einen, der sie erreicht. Ich würde mich nicht bedenken, Leben und Heil einzusetzen – könnte ich es nur einmal in meine Arme schließen, das große, das grenzenlose Glück, von dem ich so oft geträumt – und dann vergehen!“

Das war wieder der alte stürmische Reinhart, der da glaubte, er könnte mit seinem trotzigen Wagemut die ganze Welt erobern, für den es keine Schranken, keine Fesseln gab. So hatte er damals unter den Palmen gestanden, als er der Fata Morgana sein jubelndes „Ich komme!“ zurief, und so stand er jetzt vor dem jungen Mädchen, das stumm, aber mit glühenden Wangen diesen phantastischen, diesen gefährlichen Träumereien lauschte.

Ein großes, ein grenzenloses Glück! Der Gedanke war noch nie in Elsas Leben getreten. In dem Dasein, das sie bisher geführt, war kein Raum dafür gewesen, und was ihr mit Lothars Werbung, mit seiner Liebe nahte, das war doch etwas anderes, etwas ganz anderes. Sie hatte nie dies leidenschaftliche Sehnen und Ringen gekannt, und doch verstand sie es in diesem Augenblick wie durch Offenbarung. Es war, als ob ein Echo antwortete in ihrer Brust.

„Sie wollten ihm ja damals nachjagen und es erreichen, das Wunderland,“ sagte sie leise. „O, ich weiß es noch!“

„Wirklich? Erinnern Sie sich daran?“ rief Reinhart aufflammend. „Ja, ich erzählte dem Kinde ein Märchen. Ich wollte die kleine Elsa vor mich nehmen auf das Roß und mit ihr hineinjagen in die Wüste, Tag und Nacht, ohne Rast und Ruhe, bis wir es erreichten, das Land der Fata Morgana. Das Kind hörte mir gläubig zu und jubelte auf dabei, und da hob ich es empor in meine Arme, hoch empor und küßte es!“

Es klang wie stürmisch ausbrechender Jubel in den Worten. War es dieser Ausbruch oder der heiße versengende Strahl, der aus den dunklen Augen blitzte – Elsa wich plötzlich zurück, als flüchtete sie vor einer Gefahr. Das sonnige Leuchten in ihren Zügen erlosch, und sich hoch aufrichtend, sagte sie kalt und ernst: „Das Kind ist jetzt die Braut Ihres Freundes – das haben Sie wohl vergessen, Herr Ehrwald.“

Er zuckte zusammen. Jawohl, er hatte alles vergessen in den letzten Minuten, alles, sogar den Freund und dessen eben erst geknüpftes Band!

„Ich bitte um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein,“ sagte er, sich rasch fassend. „Ich glaube nicht, daß es Lothar beleidigen kann, wenn ich seiner Braut von Erinnerungen spreche, die in ihrer frühesten Kinderzeit liegen.“

Elsa schwieg, es waren ja nicht die Worte, es war der Blick, der Ton gewesen, die sie mit so rätselhafter Angst durchschauerten. Noch verstand sie ihn nicht, es war nur die dunkle Ahnung von etwas Schwerem, Unheilvollem, das da drohte, sie floh instinktmäßig davor.

„Es ist wohl Zeit, daß ich gehe,“ sagte sie gepreßt. „Guten Morgen, Herr Ehrwald!“

Sie neigte leicht das Haupt und wandte sich dem Hause zu. Reinhart stand unbeweglich und sah ihr nach; sein dunkles Antlitz war fahl geworden bei der Erkenntnis, die wie ein Blitz mit blendender, betäubender Gewalt in seinem Innern aufgezuckt war. Sie hatte ihm den Abgrund gezeigt, an dem er stand – mit der Braut seines Freundes!

Das Morgenrot verblaßte und mit ihm schwand auch der goldige Duft, der ganze traumhafte Märchenschimmer. Dort in der Tiefe verschwebten die letzten Nebel, und mit der Sonne, die sich jetzt durch die Wolken kämpfte, erwachte überall das Leben. Hoch über den Bergesgipfeln kreiste ein Adlerpaar und im Thal schossen die Schwalben hin und her. Der Morgenwind, der über die Matte hinstrich, schüttelte die Zweige der Tanne und ein Regen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0267.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)