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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

verflossen; er ging mit spazieren, er hatte ein weiches Kissen, er bekam alle Koteletteknochen und man nahm ihm sofort vor der Stadt den Maulkorb ab – kurz, Männe hatte es ausgezeichnet!

Da, im zweiten Sommer seiner bewußten Existenz, trat ein Ereignis ein, oder warf doch seinen Schatten voraus, das Männe und seine Besitzer, den oben erwähnten Sekundaner Karl und dessen um sechs Jahre jüngeren Bruder Ludwig, in fieberhafte Aufregung versetzte.

Landgerichtsrats wollten nämlich die Ferien benutzen, um eine gemeinsame Reise zu machen. Der Ausführung derartiger Pläne pflegen ja immer mehr oder weniger stürmische Debatten im Familienkreise voranzugehen; das Ziegeltragen zum Luftschlösserbau setzt zunächst alle Hände in Bewegung; das Kunstwerk wächst, immer höher, immer schwindelnder; dann fängt es an zu wackeln, ein paar besonders kühne Türmchen und Erker fallen um, die oberste Etage wird abgetragen und aus Aladins Zauberpalast mit den vierundzwanzig Fenstern und dem Vogel Rock-Ei wird im günstigsten Falle – und das war der bei Landgerichtsrats eingetretene – eine Pension in einem Nordseebad.

Die letzte Zeit vor der Reise hatte naturgemäß den Stempel gestörten Behagens getragen, den die Ausrüstung für solchen Massenausflug unvermeidlich an sich trägt, und die Hausfrau versicherte bei jeder neuen, damit zusammenhängenden Schwierigkeit oder Ausgabe: „Na, an die Zeit vor der Reise werde ich denken!“ was sich der Mensch bekanntlich nur in Bezug auf unangenehme Zustände fest vorzunehmen pflegt.

Nachdem aber die Wasch- und Schneiderzeit glücklich überstanden, nachdem der stille, aber verzweifelte Kampf mit Karl um einen weißen Tennisanzug, den seine Seele stürmisch verlangte, ausgetobt hatte und durch das Wort „Unsinn!“ kurz und vernichtend entschieden worden war, begann die Vorfreude, die ja meist ebensoviel und mehr wert ist als die Freude selbst.

Die Eltern dachten an die Nordsee und an ihre Naturschönheiten; die Mutter wiegte sich noch mit besonderm Behagen in den Gedanken, daß sich die Inhaberin der „Pension Paula“ nun mal vier Wochen lang für sie den Kopf zerbrechen durfte, was auf den Mittagstisch kommen sollte, und daß der Schreckensruf: „Der Fleischer ist da!“, von dem die Hausfrau behauptete, er könnte einem Kalbe auch nicht viel fataler sein als ihr, für die nächste Zeit von erquicklichem Meeresrauschen übertönt werden sollte.

Die Jungen, oder vielmehr – wir bitten Karl sehr um Entschuldigung! – der Jüngling und der Junge, freuten sich auf Muschelsammeln, auf Segelfahrten und Seehundsjagden, die durch den Umstand, daß keiner von ihnen je ein Schießgewehr in die Hand nehmen durfte, noch den Reiz besonderer Schwierigkeit haben würden – kurz, alles befand sich in erwartungsfrohester Stimmung.

Alles – nur Einer nicht und dieser Eine war Männe. Die Frage: „Darf er mit?“, die noch nicht ganz verneinend entschieden und, wie erwähnt, für Karl zum Leitmotiv der täglichen Unterhaltungen geworden war, hatte sich in Männes braungeflecktem Busen zuerst als leises Unbehagen, dann als eine mit jeder Stunde wachsende Seelenangst eingenistet, die das Gegenteil von angenehm für ihn war. Wer denken konnte, daß Männe nichts von dem merkte, was im Hause vorging, wer ihn auch nur ansehen konnte, ohne zu gewahren, daß er von der Nase bis zur Schwanzspitze vor Unruhe und Besorgnis zitterte, der hatte eben kein Verständnis für Männe und that besser, sich gar nicht um ihn zu kümmern!

Männe ahnte Furchtbares. Ihm dämmerte es, daß er für die Zeit, wo die Familie – seine Familie – auf Sommerfrische an die See ging, zu Hause bleiben, und zwar – o verschärfter Jammer! – zu Portiers in Pension gegeben werden sollte! Portiers besaßen außer anderen unleugbaren Vorzügen einen Emil und einen Bruno, welche Männe nicht umsonst mit herzlichstem Abscheu betrachtete; denn diese Buben hatten ihm schon mal eine Kasserolle an den Schwanz gebunden, sie zeigten ihm die Zunge und gingen selten oder nie an ihm vorbei, ohne mit den Füßen in aufreizender Weise vor ihm herum zu trampeln oder sonst gesellige Scherze von zweifelhaftem Wert mit ihm zu treiben. Gar nicht zu erwähnen, daß sie ihn öfters durch den trügerischen Ruf: „Such Katz’!“ zu atem- und erfolglosen Treibjagden auf die kohlschwarze Erbfeindin seines Seelenfriedens ermunterten und unter höhnischem Gelächter beobachteten, wie Männe sich dann, angegriffen und blamiert, auf sein Kissen zu einer beleidigten Kugel zusammenrollte.

Und zu denen sollte Männe in Pension gegeben werden – es war hart!

Von dem Augenblick an, da die Koffer bei Landgerichtsrats vom Boden geholt und somit die Reisepläne in ein gewissermaßen greifbares Stadium getreten waren, hatte sich Männe aus einem springenden, flotten, scharf bellenden, vor Lebenslust und Gefräßigkeit strotzenden Teckel in ein tief unglückliches, sich vor beständiger Angst platt am Boden windendes, appetitloses Krokodil verwandelt, welches seine Anwesenheit nur durch ein sanftes, bescheidenes Schwanzklopfen auf den Boden zu verraten wagte.

Jeder ermutigende Zuruf der Seinigen von: „Na, Männe!“ bis zu der tröstlichen Versicherung der Kinder: „Wir bringen dir auch was Schönes mit!“ nahm der Angeredete mit dumpfer Ergebung und häufigem sich Verkriechen unter dem Sofa entgegen, wobei er noch öfter die beleidigende Frage: „Ob er wohl was davon versteht?“ in Kauf nehmen mußte. Kurz, Männe lebte nach dem Wahlspruch des bekannten Verses:

„O Isis und Osiris, o wüßtet Ihr, wie mir is!
Osiris und o Isis, ich bin in einer Krisis!“

Die Kinder erklärten schließlich, vom Jammer über diesen Seelenzustand ihres krummbeinigen Gefährten zerrissen, es dürfte überhaupt in Gegenwart des Männe nicht mehr von der Reise gesprochen werden, und suchten ihn durch die trügerische Versicherung: „Wir reisen ja gar nicht, Männe, wir bleiben alle bei dir!“ zu sanguinischen Hoffnungen zu verleiten. Die Gespräche bei Tisch, so oft sie sich um die Reisezukunft und die Wahl des Seebades bewegten, was naturgemäß fast täglich der Fall war, wurden daher beständig durch angstvolle Zwischenrufe „Der Männe ist hier!“ oder „Nicht vor dem Männe!“ unterbrochen und die Eltern nebenbei unaufhörlich auf besonders reizvolle und interessante Stellungen des Teckels aufmerksam gemacht: „Ach, wie er daliegt! Er sieht so traurig aus! Er seufzt – er legt sich das Pfötchen unter den Kopf“ – bis der Vater sich, zu Tode gelangweilt durch die ewigen Dachsunterhaltungen, zu dem drakonischen Ausspruch hinreißen ließ: „Wer Männe bemerkt, wird hinausgeworfen!“ und die darin enthaltene Verheißung sogar schon zweimal zur Ausführung gebracht hatte.

In dieser Gemütsverfassung war denn der Tag vor der Abreise herangekommen. Der Abend vorher hatte noch einen letzten Sturm erlebt, den die Söhne des Hauses, von einem guten Bekannten und Teckelgönner offen – von der Mutter heimlich unterstützt, Männes halber gewagt hatten, und der durch die Erkundigung eingeleitet worden war, ob Männe sich schon einen Lodenpaletot bestellt und schon Eisenbahnfieber habe.

Der Vater erwiderte kurz: „Nein, Männe bleibt hier! Er wird zu Portiers in Pension gegeben! Es wird mir ja selbst nicht leicht,“ setzte der brave Hausherr mit bewegter Stimme hinzu und klopfte das glänzende Fell des schmerzlich aufgeregten Männe.

„Eben!“ wagte die Mutter bei dieser unerwartet weichen Regung des Familienoberhauptes zu bemerken. „Nehmen wir ihn doch mit!“

„Ach ja, Vater – nehmen wir ihn mit!“ kreischte Ludwig in den höchsten Tönen, und auch Karl ließ ein flehendes Brummen seines „noch wie neuen“ Basses hören. – Der Vater schob den Stuhl zurück – ein gefürchtetes Symptom.

„Schön – nehmt ihn mit!“ sagte er mit unheimlicher Ruhe, „aber dann laßt mich hier! Ihr wißt, daß in der Pension Paula Hunden ebenso wie Kindern unter einem Jahr statutenmäßig der Zutritt verboten ist – wir haben da gemietet, also wollt Ihr für den Männe in einem andern Hotel die Beletage nehmen – meinetwegen! Bezahlt das Hundebillet – macht, was Ihr wollt – die Reise kostet ja so wie so nichts! Ich bleibe ganz gern zu Hause – dem Männe mag ja die Erholung nötiger sein als mir!“

Angesichts dieser mit tödlicher Bitterkeit hervorgestoßenen Erklärung, die nur dadurch etwas von ihrer ergreifenden Wirkung verlor, daß sich im Hause alles um den Vater drehte und nur in Kleinigkeiten, die man kaum mit der Lupe sah, etwas gegen seinen Willen geschah – wie gesagt, angesichts dieser Wendung schwieg alles beschämt.

Der gute Freund des Hauses empfahl sich, da ihm die allseitige Stimmung keinen Abend „zum Totlachen“ zu verheißen schien, die Eltern lehnten, mit Bädeker und Landkarten in den Händen, in zwei verschiedenen Sofaecken und Männe, in dessen umdüsterter Seele sich während der berichteten Unterhaltung ein leiser Hoffnungsschimmer geregt hatte, kroch als geistig und moralisch vernichtetes Geschöpf unters Sofa, wo er den Rest seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0288.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)