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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Weshalb?“ fragte sie nachlässig, sich in einen Sessel werfend.

„Weil es mißdeutet werden kann. Ich fürchte, da wird eben eine Klatscherei hinausgetragen, die vielleicht morgen die Runde durch ganz Kronsberg macht.“

„Haben Sie wirklich Zeit und Lust, sich um Klatschereien zu kümmern?“ fragte Zenaide mit einem verächtlichen Achselzucken.

„Wenn es Sie betrifft, allerdings.“

„Nun, ich thue es nicht. Was kommt’s darauf an, was solche Nullen denken oder schwatzen!“

„Und doch umgeben Sie sich täglich mit solchen Nullen?“

„Mein Gott, man braucht doch ein Gefolge, wenn man in der Welt auftritt. Zu Schleppenträgern sind diese Menschen gut genug. Wenn sie lästig werden, verabschiedet man sie einfach.“

„Und dann rächen sie sich durch die giftigsten Verleumdungen. Sie sollten doch nicht so gleichgültig sein gegen das Urteil der Welt, Mylady.“

„Das Urteil der Welt?“ Zenaide lachte laut auf, aber es war ein hartes, höhnisches Lachen. „Haben Sie etwa noch Respekt davor? Ich bin längst fertig damit. Ich kenne sie zur Genüge, die große Komödie, die wir uns da Tag für Tag vorspielen, und die im Grunde so kleinlich und erbärmlich ist. Wer es nur versteht, zu heucheln und sich hinter die sogenannten Anstandsregeln zu verschanzen, der darf sich alles erlauben, alles, und wird geehrt und gepriesen. Wer es wagt, sich frei und offen zu geben, wie er ist, der wird verhöhnt und verlästert, wird gehetzt und gequält. Da giebt es mir ein Mittel, man muß dieser Gesellschaft den Fuß auf den Nacken setzen und ihr zeigen, wie tief man sie verachtet – dann beugt sie sich!“

Es war ein Ausbruch furchtbarer Bitterkeit, den Ehrwald nur zu gut verstand. Er wußte ja, wie man in der englischen Gesellschaft über Lady Marwood urteilte, wußte, daß sie nahezu ausgestoßen war aus den Kreisen ihres Gemahls. Jetzt ließ sie auch ihm gegenüber die Maske fallen, die sie vor der Welt trug; aber was war aus dem zarten sanften Mädchen mit den großen sehnsüchtigen Augen geworden! Es traf ihn wie ein Vorwurf.

„Und doch leben Sie freiwillig in dieser Welt, die Sie so tief verachten?“ fragte er endlich. „Doch verzehren Sie sich darin! Bertram hat mir erst vorhin diese Befürchtung ausgesprochen.“

„Ah, mein Tyrann, der Doktor! Hat er mich auch bei Ihnen verklagt, wie bei Sonneck? Ja, dieser liebenswürdige, lustige Hofrat kann verzweifelt ernst sein, wenn er den Arzt herauskehrt. Er ängstigt mich oft grausam mit seinen düsteren Prophezeiungen.“

„Und erreicht trotzdem nichts damit, Sie folgen seinem Rate nie.“

„Ich kann nicht!“

„Mylady!“

„Ich kann nicht!“ wiederholte Zenaide mit voller Heftigkeit, indem sie aufsprang. „Er will mich zu einem Trappistendasein verdammen und das halte ich nicht aus. Ich habe es ja versucht, wochenlang, aber ich bin fast wahnsinnig dabei geworden! Kommen Sie binaus auf die Veranda! Es ist erstickend schwül hier, ich muß einmal im Freien aufatmen!“

Sie schritt nach der Balkonthür, die auf eine mit wildem Wein umrankte Veranda führte, es war in der That noch sehr heiß im Salon, trotz der weit geöffneten Fenster. Draußen umfing die Beiden die kühle weiche Nachtluft in ihrer köstlichen Frische, auch Reinhart atmete auf, als er ins Freie trat.

Kronsberg lag bereits still und finster da, nur hier und dort schimmerte noch Licht in einzelnen Fenstern, aber über der dunklen Erde leuchtete der Sternenhimmel in seiner funkelnden Pracht. Es war so ganz anders als damals auf der Terrasse des Osmarschen Hauses, wo die berauschenden Düfte aus dem Palmengarten emporstiegen und fernher der Straßenlärm Kairos brauste. Hier war alles so still, so ernst und feierlich. Dunkel und mächtig blickten die Riesengestalten der Berge in das Thal nieder, und im matten Sternenglanz schimmerten die Schneefelder dort oben. Es war eine nordische Sommernacht in ihrer ganzen ruhigen Schönheit.

Lady Marwood war an die Brüstung getreten, und Ehrwald stand einige Schritte entfernt; aber in dem gedämpften Lichtschein, der durch die Glasthür auf die Veranda fiel, erschien die helle Gestalt in dem Atlasgewande, mit den Juwelen und Spitzen fast noch schöner als vorhin im blendenden Glanze des Kronleuchters. Sie stand zur Hälfte abgewendet und es vergingen Minuten, ohne daß ein Wort gesprochen wurde, endlich sagte Reinhart halblaut: „Zenaide – warum spielten Sie heute gerade diese Weise?“

War es ihr Name auf diesen Lippen oder der Ton, mit dem er ausgesprochen wurde, Zenaide zuckte leicht zusammen, sie wandte sich langsam um, aber ihre Antwort klang in bitterem Spott: „Kennen Sie die Melodie wirklich noch? Ich glaubte, Sie hätten sie längst vergessen.“

Er kam einige Schritte näher und stand jetzt neben ihr, sein Auge suchte das ihrige, als er, ohne auf den Spott zu achten, fortfuhr: „Zenaide – ich habe Ihnen damals wehe gethan –“

„Ja!“ sagte sie mit herber Aufrichtigkeit und es lag etwas wie verhaltener Groll in dem Worte.

„War das meine Schuld allein? Sie wissen es ja, was zwischen uns trat. Ihr Vater –“

„Mein Vater war zu gewinnen und ich war zu jedem Kampfe bereit, aber Sie wollten ja nicht um mich kämpfen, Reinhart. Sie wollten nur hinaus in die Freiheit, in die Weite und sich das Glück erjagen. Haben Sie es denn nun gefunden, dies unermeßliche Glück, Ihre lockende winkende Fata Morgana?“

„Nein!“ sagte Ehrwald schwer und dumpf.

„Also auch dort nicht, in Wüsten und Urwäldern! Ich habe es gesucht in der Welt, unter den Menschen, aber da ist’s auch nicht. Trösten Sie sich, wir teilen das gleiche Los.“

„Und Sie hatten längst schon das Los über Ihr Schicksal geworfen. Zenaide – wie konnten Sie sich einem Marwood zu eigen geben!“

Sie sah ihn nur an, aber in diesen großen düsteren Augen lag die Antwort, lag ein so schwerer Vorwurf, daß er wie ein Schuldbewußter das Haupt senkte.

Wieder trat eine lange Pause ein, dann richtete sich Lady Marwood empor, mit einer so heftigen, jähen Bewegung, als wollte sie irgend etwas von sich werfen.

„Da sind wir wieder mitten in den alten Erinnerungen und in der alten Sentimentalität!“ sagte sie mit jenem harten Lachen, das dem Ohre wehe that. „Und wir beide sollten doch längst darüber hinaus sein. Wir sind ja alt und vernünftig geworden, o, so sehr vernünftig! Und übrigens haben Sie mir immer noch nicht gesagt, weshalb Sie diese Unterredung wünschten. Wollten Sie mir etwas mitteilen?“

„Nein, ich wollte nur eine Bitte an Sie richten – Zenaide, um Gottes willen, was haben Sie, was ist Ihnen?“

Zenaide hatte plötzlich mit beiden Armen die Brüstung umklammert, als wollte sie sich daran festhalten. Sie schwankte und wäre zu Boden gesunken, wenn Reinhart sie nicht rasch umfaßt hätte. Halb bewußtlos, mit geschlossenen Augen lag sie in seinen Armen, ihr Antlitz war zur Totenfarbe erblaßt, die Brust rang schwer und angstvoll nach Atem und das Herz pochte in so wilden unregelmäßigen Schlägen, als wollte es jeden Augenblick stille stehen.

Das dauerte freilich nur Minuten. Als Ehrwald sie zu einem Sessel trug und darin niedergleiten ließ, schlug sie bereits wieder die Augen auf und ihr Blick traf den des Mannes, der sich angstvoll über sie beugte.

„Ich will Hilfe rufen,“ sagte er hastig. „Ich werde die Kammerfrau –“

Zenaide schüttelte den Kopf, und eine matte Bewegung ihrer Hand verbot ihm das Forteilen.

„Nein – niemand! Es geht vorüber – ich weiß es!“

Es ging in der That vorüber, der Anfall schwand fast so schnell, wie er gekommen war. Die Farbe kehrte in ihr Antlitz zurück und der Atem wurde ruhig. Ehrwald stand stumm und finster neben ihr. Wenn er wirklich noch an den Worten des Arztes gezweifelt hätte, hier sah er den Beweis.

„Habe ich Sie erschreckt?“ fragte Zenaide, jetzt wieder mit voller Selbstbeherrschung. „Es ist nicht von Bedeutung, ich mache solche Anfälle oft genug durch.“

„Und ein solcher Anfall wird Sie schließlich töten!“ fiel er stürmisch ein. „Sie vernichten sich ja mit diesem Leben, das Sie Tag für Tag führen, Sie hören auf keinen Rat, keine Warnung und machen es Ihrem Arzte unmöglich, Sie zu retten. Zenaide! Können Sie sich denn nicht schonen?“

„Für wen?“ fragte sie herb. „Vielleicht für Lord Marwood? Ich habe den Mann, der mein Gatte heißt, hassen gelernt, denn er hat mich nur gequält und gemartert. Mein Kind ist mir genommen, es kennt die Mutter nicht einmal mehr, mein Vater ist tot und die Menschen, die mich täglich umgeben, möchte ich am liebsten mit dem Fuße von mir stoßen. Einen Freund habe ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0294.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)