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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Lothars Stirn umwölkte sich und er unterdrückte einen Seufzer.

„Jawohl und vor allem Du, mein armes Lieb! Es scheint oft, als wolle er sich förmlich dafür rächen, daß ich Dich größtenteils seiner Macht entziehe. Es ist ja eine schwere Pflicht, die Du noch zu leisten hast, und ich kann sie Dir nicht abnehmen; aber wenn die müden Augen da drinnen sich geschlossen haben, ihm und uns zur Erlösung, dann führe ich Dich in unser eigenes Heim und dann soll meine Liebe Dich für alles entschädigen, was Du jetzt noch zu tragen hast, meine Elsa, mein süßes, geliebtes Weib!“

Er zog sie an sich und drückte einen Kuß auf ihre Stirn; es lag etwas so unendlich Zartes in seiner Zärtlichkeit und seinen Liebkosungen, daß es selbst die scheue Zurückhaltung der jungen Frau überwand. Sie lehnte leise das Haupt an seine Schulter, doch plötzlich ging es wie ein Beben durch ihren ganzen Körper, und mit einer fast angstvollen Bewegung schmiegte sie sich fester an den Gatten, der sie befremdet ansah.

„Was hast Du? Was ist Dir?“

„O nichts! Ich meine nur – ich muß doch jetzt zum Großvater.“

„Freilich – nun so geh!“ sagte Lothar, indem er sie aus den Armen ließ und sich erhob. Dabei sah er auf und ließ dann einen Ausruf der Ueberraschung hören.

„Reinhart, Du bist da? Was stehst Du denn so fern und stumm wie ein Fremder?“

Es war in der That Ehrwald, der drüben aus den Tannen hervorgetreten war und wohl schon einige Minuten lang dort gestanden haben mochte, jetzt kam er langsam näher.

„Ich wollte nicht stören. Guten Tag, Lothar – ich habe Ihnen einige Zeilen von Lady Marwood zu bringen, gnädige Frau. Ich komme eben von ihr.“ Er reichte dem Freunde die Hand und übergab der jungen Frau ein Briefchen, sie nahm es mit einigen Dankesworten, sagte aber dann mit einer gewissen Hast: „Sie müssen mich entschuldigen, Herr Ehrwald, ich wollte eben zu meinem Großvater, er ist heut’ besonders angegriffen und da darf ich ihn nicht warten lassen.“

Damit wandte sie sich nach dem Hause, Sonnecks Augen folgten ihr mit einem leuchtenden glücklichen Ausdruck, während Reinhart halblaut fragte: „Steht es schlimmer mit dem Professor?“

„Nein, der Zustand ist so ziemlich unverändert, aber die Kräfte sinken immer mehr und seine Stimmung ist meist unerträglich für die Umgebung. – Doch was bringst Du mir?“

„Nicht viel, ich habe Nachrichten aus Berlin erhalten. Jetzt möchte man wieder anknüpfen und mir nachträglich die geforderte Selbständigkeit zugestehen, jetzt, wo es zu spät ist und ich mich hier gebunden habe.“

„Sie sehen also ein, was sie an Dir verlieren,“ meinte Lothar. „Ich riet Dir ja zum Abwarten, aber Du warst gleich Feuer und Flamme, als der Fürst hier den Plan faßte, die Expedition auszurüsten, und sagtest ihm sofort die Führerschaft zu.“

„Und ich bereue das keinen Augenblick. Ich tauge nicht für den Kolonialdienst, wenigstens jetzt noch nicht. Ich muß noch einmal die Freiheit kosten und mich als Herr und Herrscher fühlen bei meiner Truppe, wo ich niemand zu gehorchen habe. Ich muß wieder hinaus in Kampf und Gefahr und mich mit all den feindlichen Mächten herumschlagen, die ich so oft schon gezwungen habe. Ich muß, Lothar! Du ahnst nicht, wie notwendig mir das gerade jetzt ist.“

„Hast Du immer noch nicht ausgestürmt?“ fragte Sonneck mit leisem Kopfschütteln. „Gleichviel, für die nächsten Jahre ist die Entscheidung nun gefallen und der Kolonialdienst bleibt Dir immer noch für die Zukunft. Wann reisest Du?“

„In vier Wochen, eher wird es nicht möglich sein. Ich ginge freilich lieber heut’ als morgen.“

Die Worte klangen in äußerster Ungeduld, und mit einer beinahe ungestümen Bewegung warf sich Reinhart in einen der Gartenstühle und musterte flüchtig den Tisch mit den Papieren.

„Da liegt ja ein angefangenes Manuskript. Bist Du schon bei der Arbeit?“

„Es ist nur die Einleitung, die Arbeit selbst werde ich wohl erst im Winter beginnen können. Ich habe das ganze überreiche Material noch zu sichten und zu ordnen und das kann Monate dauern.“

„Eine mühevolle Arbeit! Ich hätte kaum die Geduld dazu.“

„Für mich ist sie nicht mühevoll,“ sagte Lothar lächelnd. „Elsa hat sich zu meinem Sekretär gemacht und zeigt dabei einen Eifer und ein Interesse, wie ich es nicht für möglich gehalten habe. Ja, Reinhart, diesmal hast Du doch schärfer und tiefer gesehen als ich: Du behauptetest ja schon vor Monaten, ihr ganzes Wesen läge wie in einem Bann, aus dem man sie erwecken müsse. Du hattest recht! Und es war so süß, dies Erwachen, dies Sichlosringen von den Fesseln einer tyrannischen Erziehung, dies Aufblühen zu einem neuen Dasein – ich staune es oft wie ein Wunder an.“

Ehrwald hatte eins der Tagebücher ergriffen, die auf dem Tische lagen, und blätterte darin. Er sah nicht auf, als er jetzt langsam fragte: „Du bist sehr glücklich, Lothar?“

„Fragst Du das im Ernst?“ Lothars tiefe Augen leuchteten wieder wie vorhin in jener innigen Glückseligkeit. „Manchmal ist es mir, als müsse ich dem Schatten dankbar sein, den die Krankheit und die Verbitterung Helmreichs über uns wirft. Ich kenne ja den alten Spruch und fürchte die Götter, wenn sie allzu günstig sind, und mir haben sie fast zu viel, mir haben sie alles gegeben!“

„So preise sie dafür!“ sagte Ehrwald beinahe herb, indem er das Buch auf den Tisch warf und aufstand. Er lehnte sich mit verschränkten Armen an den Baum und merkte es gar nicht, daß eine minutenlange Pause eintrat und Sonneck ihn schweigend und forschend beobachtete, er sah stumm und düster in die Ferne hinaus.

„Reinhart!“

Der Gerufene schreckte empor wie aus einem Traume.

„Was sagtest Du? Verzeih’, ich habe es nicht gehört.“

„Ich sagte nichts, aber ich dachte soeben, daß es sehr egoistisch von mir ist, Dir hier von meinem Glücke vorzuschwärmen, während Du armer Junge, ich weiß ja längst, wie es um Dich steht!“

„Du weißt –?“ fuhr Reinhart auf, es lag etwas wie Entsetzen in dem Blick, mit dem er den Freund anschaute.

„Hast Du wirklich geglaubt, mir das verbergen zu können, mir, der Dich so genau kennt wie niemand auf der Welt? Ich habe es gesehen, wie es in Dir wühlt und kämpft. Leugne nicht, Reinhart, Du bist ein anderer geworden, seit Du in Kronsberg bist.“

Ehrwald machte keinen Versuch, zu leugnen, aber er war totenbleich geworden und seine Hand krampfte sich um die Lehne des Sessels, als wollte er sie zerbrechen. Wie ein Schuldbewußter stand er da, während Sonneck fortfuhr: „Ich wollte mich nicht in Dein Vertrauen drängen, aber es that mir wehe, daß Du es mir versagtest – zum erstenmal! Sind wir denn nicht mehr die alten Freunde?“

„Ja, wir sind es!“ sagte Reinhart tonlos aber fest.

„Nun denn, so fordere ich mein Freundesrecht. Sei endlich offen gegen mich – wie stehst Du mit Zenaide?“

„Mit – Zenaide?“ Es rang sich wie ein befreiender Atemzug aus der Brust des Mannes empor. „So – das meintest Du?“

„Was denn sonst? Du hast sie einst geliebt. Damals freilich standen Dein glühender Freiheitsdrang, Dein Ehrgeiz im Vordergrunde, und als nun vollends Dein Stolz ins Spiel kam, gabst Du sie auf. Jetzt ist das wieder aufgeflammt, jetzt bist Du ganz beherrscht von dieser Leidenschaft, die Dich förmlich verzehrt. Dies Wiedersehen ist verhängnisvoll geworden für Dich und auch für sie. Denkst Du, ich weiß es nicht, welche Macht Bertram zu Hilfe gerufen hat? Womit er es erreichte, daß Zenaide sich so vollständig aus der Gesellschaft zurückzog, daß sie jetzt mit einer beinahe rührenden Fügsamkeit jeder Verordnung folgt? Du bist eben allmächtig bei ihr, aber – was soll daraus werden?“

„Ich weiß nicht! Quäle mich nicht, Lothar!“ stieß Reinhart plötzlich mit wilder Heftigkeit hervor. „Laß dies Gespräch – frage mich nicht – ich kann Dir nichts sagen!“

Er sah in der That aus, als ob er eine Folter ausstehe, Sonneck legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm.

„Nun, so höre wenigstens, was ich Dir zu sagen habe, es geht Dich und Zenaide gleich nahe an. – Ihr Gemahl ist hier, nur wenige Stunden entfernt.“

„Lord Marwood?“

„Ja, mit seinem Sohne. Ich erfuhr es heute morgen, wo ich einen überraschenden Besuch erhielt. Du erinnerst Dich wohl noch des Lieutenants Hartley, der im Osmarschen Hause verkehrte?“

„Marwoods nächster Freund – gewiß!“

„Er nahm später den Abschied, kehrte nach England zurück und vermählte sich. Seine Frau stammt aus Deutschland und sie bringen gewöhnlich den Sommer in Malsburg zu, das Mistreß Hartley von ihrem Vater erbte. Dort ist jetzt auch Marwood als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0311.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)