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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Gast seines Freundes und dieser kam jedenfalls in seinem Auftrage, wenn er auch nur einen Besuch vorschützte. Es sollte vermutlich sondiert werden.“

„Und zu welchem Zwecke? Eine Versöhnung vielleicht?“

„Nein, im Gegenteil, Marwood will die Scheidung, die unter diesen Umständen freilich nur noch eine gesetzliche Form ist. Zenaide trägt noch den Namen ihres Gemahls, getrennt haben sie sich ja längst und ihr vom Vater ererbter Reichtum macht sie völlig unabhängig. Für sie wäre es ein Glück, wenn die Kette vollends gebrochen würde, aber Marwood stellt eine grausame Bedingung: sie soll jedem Anspruch auf das Kind entsagen, auch für die Zukunft – das ist der Preis ihrer Freiheit!“

„Und das wagt er, einer Mutter zuzumuten?“ rief Ehrwald empört.

„Er glaubt eben, ihr jetzt die Wahl stellen zu können,“ sagte Sonneck bedeutsam. „Ich fürchte, es hat drüben in Malsburg etwas von den Klatschereien verlautet, die hier im Umlauf sind. Zenaide ist sehr unvorsichtig der Welt gegenüber. Als sie sich aus dem Strudel des Gesellschaftslebens zurückzog, erfuhr man freilich, daß es auf strengen ärztlichen Befehl geschah. Bertram sorgte dafür; aber Du wurdest nach wie vor empfangen, wo man allen anderen die Thür verschloß, und das ist natürlich sehr bemerkt worden. Man spricht über Euch beide nur zu viel und ich hätte Dir schon längst einen Wink gegeben, wenn nicht – doch da kommt Elsa zurück! – Schon jetzt?“

Er hatte allerdings Grund zur Verwunderung. Helmreich pflegte sonst die junge Frau nicht so rasch freizugeben, diesmal aber kam sie mit einem Auftrage von ihm. Er wollte Lothar sprechen, es sei ein Brief von seinem Verleger gekommen, der erledigt werden müsse. Es lag ganz in der rücksichtslosen Art des Professors, auch über den Gatten seiner Enkelin ohne weiteres zu verfügen, obgleich er von Elsa erfahren, daß Lothar Besuch von seinem Freunde hatte. Aber man war es in Burgheim gewohnt, dem Leidenden in solchen Dingen stets nachzugeben, und Sonneck erhob sich sofort. „Es handelt sich um das letzte große Werk Helmreichs, das eben abgeschlossen ist,“ sagte er erklärend zu Ehrwald. „Das Schreiben ist ihm kaum mehr möglich, und da habe ich die Korrespondenz mit dem Verleger übernommen. – Nein, Reinhart, Du darfst noch nicht aufbrechen, Elsa bleibt ja hier und ich komme gewiß bald zurück.“

Ehrwald hatte in der That Miene gemacht, aufzubrechen, und fügte sich mit einigem Zögern der Bitte; er nahm seinen Platz wieder ein, während Lothar zu dem Professor ging. Elsa machte sich mit dem Ordnen der Bücher und Papiere zu schaffen und einige Minuten lang herrschte völliges Schweigen. Dann fragte die junge Frau: „Also Sie wollen uns nun doch bald verlassen?“

„In vier Wochen, gnädige Frau,“ lautete die einsilbige Antwort.

„Lothar wird Sie sehr vermissen. Ich sehe es schon jetzt, wie unendlich schwer ihm die Trennung wird.“

„Doch wohl nicht so schwer wie mir. Lothar hat vollen Ersatz, ich – ziehe allein hinaus in die Weite. Nun, ich habe sie ja jetzt wiedergesehen, die alte Heimat. Da wird mich das Heimweh wohl künftig in Ruhe lassen!“

„Die Heimat ist sehr stolz auf ihren berühmten Sohn,“ warf Elsa hin. „Sie erhalten oft genug Beweise davon!“

„O ja!“ Um Ehrwalds Lippen zuckte ein Ausdruck herber Verachtung. „Die guten Kronsberger geben mir meine Berühmtheit Tag für Tag zu kosten. Sie haben mir eine Deputation über den Hals geschickt, eine Adresse votiert, es fehlt nur noch, daß sie mir bei Lebzeiten ein Denkmal setzen. Einst galt ich ihnen als der ausgemachteste Taugenichts auf Gottes weitem Erdboden – so ändern sich die Zeiten!“

Die Worte sollten scherzhaft klingen, allein es lag eine tiefe Bitterkeit darin. Die Augen der jungen Frau streiften wie mit einer Frage sein Antlitz.

„Sie verschwiegen es so lange, daß Burgheim Ihre Heimat ist,“ sagte sie. „Ich hatte keine Ahnung davon –“

„Als ich jenen nächtlichen Einbruch unternahm,“ ergänzte Reinhart, da sie innehielt. „Ich wurde freilich dabei ertappt, Wotan empfing mich äußerst grimmig und seine Herrin – o bitte, gnädige Frau, keine Entschuldigung! Sie waren nur in Ihrem Recht. Wer nachts wie ein Dieb über die Mauern in fremde Gärten steigt, darf sich nicht wundern, wenn er als Verdächtiger behandelt wird. Aber Sie wissen ja jetzt, was mich herzog. Es war doch immer mein Vaterhaus, von dem ich mich freilich losgerissen hatte. Lothar wird Ihnen das wohl längst erzählt haben.“

„Lothar hat mir nur einiges angedeutet, er glaubte wohl, zum Schweigen verpflichtet zu sein.“

„Da giebt es nicht viel zu verschweigen,“ sagte Ehrwald mit einem Achselzucken, „die Sache war ja Stadtgespräch. Sie haben nie viel in Kronsberg verkehrt, gnädige Frau, sonst hätten Sie wohl früher schon verschiedene Schauergeschichten von dem ‚tollen Reinhart‘ gehört. Ich galt meinen lieben Landsleuten, wenn nicht für den Satan selbst, so doch für seinen nahen Verwandten und sie ließen mich das entgelten. Sie haben mich so lange gehetzt und gequält, verleumdet und verlästert, bis ich schließlich auf und davon ging. Doch das wird Sie schwerlich interessieren.“

„Doch, es interessiert mich.“

„Wirklich?“ Sein Auge traf aufflammend das ihrige, das sich senkte vor diesem Blick, während sie leise hinzufügte: „Sie sind ja Lothars nächster Freund.“

„Ja so, um Lothars willen!“ Er fiel wieder in den kühlen, beinahe spöttischen Ton zurück, in dem er bisher gesprochen. „Nun, die Geschichte ist bald erzählt, sie handelt von einem wilden, unbändigen Knaben, der keinem Zügel gehorchen wollte. Wenn man in voller Freiheit aufwächst, bei einem Vater, der den einzigen Jungen vergöttert, bei einer schwachen, zärtlichen Mutter, da wird man nicht zahm und ich hatte überhaupt nie Anlage dazu, aber glücklich bin ich gewesen in jener goldenen Knabenzeit! Doch die Herrlichkeit nahm bald ein Ende! Als ich zwölf Jahr alt war, starb mein Vater und ich kam unter die Zuchtrute meines Herrn Vormundes, eines Verwandten, der in Kronsberg lebte, und dem bald noch eine andere Autorität zur Seite stand. Meine Mutter reichte ihm die Hand und so wurde er mein Stiefvater. Er hatte es sich nun leider in den Kopf gesetzt, mich zu ‚bändigen‘, und da gab es denn natürlich Kämpfe ohne Ende.“

Elsa hatte den Kopf in die Hand gestützt und hörte schweigend zu, das klang so seltsam an ihre eigenen Kindheitserinnerungen an. Auch sie war ja im Sonnenschein der Liebe aufgewachsen und dann unter die ‚Zuchtrute‘ des alten Mannes geraten, der ihre ganze Jugend vernichtet hatte mit seiner lieblosen Strenge und Härte. Das hatte also schon einmal hier in Burgheim gespielt, freilich mit anderem Ausgange!

„Zwischen mir und meinem Stiefvater war von Anfang an offener Krieg,“ fuhr Ehrwald fort. „Waffenstillstand gab es nur, wenn ich fern vom Hause war, denn ich ließ mich eben nicht bändigen. Meine Mutter hatte nie einen eigenen Willen gehabt und stand gänzlich unter dem Einfluß ihres zweiten Gatten; sie hielt mich auch nur für den Zügellosen, den schon halb Verlornen. Der Mann, der die Stelle meines Vaters eingenommen, hatte mir auch ihre Liebe geraubt. Als ich von der Universität zurückkehrte, kam die Katastrophe. Ich hatte eingesehen, daß ich für den Aktenstaub der Juristenlaufbahn nicht tauge, und erklärte, ich wolle zur See gehen, nur um hinauszukommen in die weite Welt, die mich nun einmal unwiderstehlich lockte; und da gab es eine Scene auf Leben und Tod. Ich war einundzwanzig Jahre alt und wurde behandelt wie ein ungezogener Schulbube, wurde gescholten, bedroht, und schließlich vergaß sich mein Stiefvater so weit, die Hand gegen mich zu erheben. Da war es aus – ich schlug ihn zu Boden! Wie es eigentlich geschah, das weiß ich nicht, ich sah nur, daß er blutend dalag, daß meine Mutter sich über ihn warf und mir das Wort zuschleuderte, ich sei das Unglück und das Unheil ihres Lebens. Mit dem Segenswunsch ging ich hinaus in die Welt, und als ich die alten Stufen dort damals hinabschritt, da wußte ich, wie einem Mörder zu Mute war!“

„War er – tot?“ fragte Elsa mit stockendem Atem.

„Nein, das hat mir das Schicksal gnädig erspart. Er kam mit einer mehrwöchigen Krankheit davon. Ich hatte mir auf Umwegen Nachricht verschafft, und als ich erst wußte, daß er lebte, da fühlte ich mich auch wieder im Recht, da hatte ich auch wieder die alte Kraft und den alten Mut; sie waren freilich das Einzige, was ich jetzt besaß, aber es war genug.“

Die junge Frau blickte in das dunkle, energische Antlitz des Mannes, wo jeder Zug eiserne Willenskraft verriet.

„Dann folgten ein paar schlimme Jahre,“ hob er wieder an. „Ich mußte den Kampf ums Dasein aufnehmen, und ich habe ihn ja auch durchgefochten, aber ich fühlte doch, daß ich mehr und mehr den festen Boden unter den Füßen verlor bei diesem wilden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0314.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)