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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Adagio. (Zu dem Bilde S. 312 und 313.) Ein Lied aus alter Zeit! … Sachte streicht der Bogen über die Saiten und mit dem Erklingen der einfachen Melodie steigt vor des Hörers Seele die Erinnerung auf an ferne glückliche Tage. Wie war dort die Welt so schön! Wie froh wanderte er an der Seite seines jungen Weibes durch den Frühlingswald und horchte zu, wenn sie so recht aus voller Brust ins Weite hinaussang, Lied um Lied, wie es ihr aus der Seele quoll, jubelnd und sehnsüchtig, aber alle von dem Zauber ihrer süßen Stimme erfüllt, unvergeßlich für alle Zeit! Ihr Leben war ein kurzes, hohes Glück, nun liegt sie schon lange unter Blumen draußen in dem stillen Grund, und dem Einsamen blieb die Erinnerung zurück. Er hat sich aus der herben Trauer aufgerafft und in angestrengter Arbeit ein wertvolles Leben geführt, an seiner Seite erwuchs das Vermächtnis der Dahingegangenen, ein ernstes seelenvolles Mädchen, die den Vater mit zärtlicher Liebe umfaßt. Sein Tageslauf läßt ihm keine Zeit zum Wünschen und Sehnen. Aber wenn die Dämmerung hereinbricht und er still in seiner Ecke sitzend dem Violinspiel der Tochter zuhört, da kommt die Erinnerung mit Macht über ihn, und er träumt sich beim Klang der alten Lieder in die alte Zeit zurück …

So erzählt uns der Maler des stimmungsvollen Bildes, dessen schlichte Wahrheit den Beschauer eigentümlich ergreift und fesselt.

Deutschlands merkwürdige Bäume: die Priorlinde an der Kluse bei Dahl a. d. Volme. Der südliche Teil Westfalens, unter dem Namen Sauerland (Süderland) bekannt, war bis vor wenig Jahren weiteren Kreisen ziemlich fremd. Dem verdienstvollen Vorgehen des Herrn Dr. Kneebusch in Dortmund, nämlich durch Herausgabe seines Buches „Führer durchs Sauerland“, ist es in erster Linie zu verdanken, daß den Touristen eine Gegend aufgeschlossen wurde, die sowohl reich an landschaftlichen Schönheiten als an historischen Erinnerungen ist und von einem biederen und intelligenten Menschenschlag bewohnt wird. Zu den Sehenswürdigkeiten der Gegend gehört auch ein uralter Baum. Wenige Kilometer oberhalb des im Volmethale idyllisch gelegenen Dörfchens Dahl, an der Station Priorei-Breckerfeld (Strecke Hagen-Brügge) steht an einem Bergabhange vor einem Bauernhaus, „die Kluse“ genannt, eine alte Linde, deren eigenartiges Wachstum beistehende Abbildung zum Teil erkennen läßt. Der Stamm, der einen Umfang von fast 6 m hat, streckt in einer Höhe von nahezu 2 m seine 11 Hauptäste fast wagerecht, teilweise nach unten gebogen rund 4 m aus und biegt sie dann senkrecht aufwärts, wie ein riesiger Kandelaber. Der Stamm ist nicht rund, sondern es scheint, als seien die Wurzeln über der Erde zu einem Stamm verwachsen und die Aeste gleichsam aus den einzelnen Wurzeln weitergebildet. Die Aeste sind ebenfalls nicht rund, sondern seitlich ganz platt, so daß sie bei einem Umfange von etwa 3 m nur einen Durchmesser von 0,30 m haben. In der Mitte dieses Kandelabers, gleichsam als Fortsetzung des alten Stammes, erhebt sich ein neuer Stamm, dessen Schaft am unteren Ende 1,50 m Umfang hat, sich schlank an 20 m bis zur Spitze erhebt und den höchsten Gipfel der Baumkrone bildet.

Deutschlands merkwürdige Bäume: die Priorlinde an der Kluse bei Dahl
im Sauerland.

Wir haben es hier unstreitig mit einer Klosterlinde zu thun, die, von der Hand sachkundiger Mönche aufgezogen, von diesen als Laube in ihren Mußestunden benutzt worden ist. Die Namen „Priorei“ und „Kluse“ sprechen dafür, daß hier in früheren Zeiten Ordensniederlassungen waren, von deren Gebäuden freilich keine Spur mehr vorhanden ist. In Chroniken wird die Kirche im nahen Dahl schon um 1314 erwähnt; es ist anzunehmen, daß um diese Zeit die Mönche ihren Sitz von der Kluse nach Dahl, als einer günstigeren Lage, verlegt haben. Das Alter der Linde ist daher schwer festzustellen; doch darf man annehmen, daß diese Niederlassung zu einer Zeit gegründet worden ist, als die alten Germanen noch ihren Göttern opferten. An dem Bergabhang nicht weit oberhalb der Linde in einer früher mit Hochwald bewachsenen Schlucht, dem „düstern Dahle“, hat man, in dem Bett eines Baches versenkt, einen Porphyrblock gefunden, auf dem deutlich drei Zeichen eingegraben sind, die man für Runen hält. Der Block hat wahrscheinlich als Opferstein gedient und ist von den Bekehrern in die Schlucht hinabgestürzt worden, wo ihn allmählich das Bett des Baches angeschwemmt hat. Nur dem Zufall, daß man den Stein für den Teil eines Porphyrfelsens hielt, der weitere Ausbeute versprach, ist es zu verdanken, daß dieser stumme Zeuge einer grauen Vorzeit ans Licht des Tages befördert worden ist. Hugo Kruskopf.     

Das umfangreichste Litteraturwerk der Erde dürfte eine Encyklopädie des buddhistischen Gesamtwissens, „Tangym“ genannt, sein, welche seit alten Zeiten in einigen großen Klöstern der Hauptländer des Buddhismus aufbewahrt wird. Dieses riesenhafteste aller Konversationslexika, gegen welches äußerlich unsere großen Encyklopädien höchstens als „Taschenlexika“ zu bezeichnen sind, enthält 225 Bände, von denen ein jeder zwei Fuß hoch und einen halben Fuß dick ist. Nebeneinandergereiht, würden diese Bände einen Raum von etwa 35 Metern zur Aufstellung bedürfen, und da ein jeder mindestens, seinem Format nach, 10 bis 15 Pfund wiegen muß, so kann das ganze Werk wohl ein Gewicht von 30 Centnern erreichen. In den unwegsamen Gebirgsgegenden Tibets sind also, wenn ein Exemplar dieser unschätzbaren Encyklopädie von Ausländern erworben wird, 70 bis 100 Träger zu seinem Transport erforderlich. Bisher ist dieser Fall erst dreimal vorgekommen: eins der veräußerten Exemplare befindet sich im Indischen Amt zu London, das zweite soll die russische Regierung besitzen, und das dritte hat dem Vernehmen nach die Asiatische Gesellschaft von Bengalen vor einigen Jahren in einem tibetanischen Kloster gekauft. Der Erwerbspreis soll sich auf 3000 Rupien (6000 Mark) belaufen haben, ein erstaunlich billiger Preis für ein Werk, welches die Weisheit einer der ältesten Kulturen in sich vereinigt und nur in wenigen Exemplaren auf dem Erdenrund existiert. Die außer den drei erwähnten noch vorhandenen Exemplare des „Tangym“ sind im Besitz einiger alter Klöster von Tibet. Es läßt sich freilich denken, daß ein Werk dieses Umfangs in einer des Buchdrucks unkundigen Kultur nicht in vielen Exemplaren vorhanden sein kann. Bw.     

Nordseelotse, an Bord eines einkommenden Klippers gehend. (Zu dem Bilde S. 321.) Weit draußen in der Nordsee, auf der Höhe von Borkum und Helgoland kreuzt der weiße Lotsenschuner, um auf einkommende Schiffe zu fahnden. Die rote Hamburger Flagge mit Wimpel sowie das auf dem Schunersegel gemalte Wort „Elbe“ kennzeichnen das Fahrzeug als im Dienste für die Elbeinseglung bestimmt. Ein großes Klipper-Vollschiff taucht über dem Horizont empor. Bald zeigt es die Lotsenflagge, woraufhin der Schoner in fliegender Fahrt dem Segler entgegeneilt. Einige hundert Meter voneinander entfernt, drehen beide Fahrzeuge bei. Der Lotse besteigt mit den Bootsleuten die Jolle, und in kurzer Zeit befindet sich letztere, wie es unser Bild zeigt, längseits des schwer in der See stampfenden Vollschiffes. Ein Tau wird vom Bord geworfen und an den Poller der Jolle belegt. Auf der herniedergelassenen Strickleiter steigt der Lotse an Deck, während das Boot zum Schuner zurückrudert. Der Lotse übernimmt das Kommando; die Segel werden vollgebraßt, und, nach beiden Seiten weißen Gischt aufwerfend, eilt der Weltfahrer der Elbmündung zu.


Kleiner Briefkasten.

„Auskunftsbureau“ Johannesburg (Transvaal). Wir bedauern, auf Ihren Vorschlag nicht eingehen zu können.

C. C. in Iowa. Besten Dank für die freundliche Mitteilung. Wir bringen aus derselben zur Kenntnis unserer Leser, daß der alte Patriarch Christian Conrad in Delaware, dessen Bildnis die „Gartenlaube“ in Nr. 50 des vorigen Jahrgangs gebracht hat, im März dieses Jahres im Alter von 116 Jahren sanft entschlafen ist. Gern tragen wir ferner nach, daß die Witwe des Verstorbenen, die ihm vor 63 Jahren angetraut wurde, nunmehr 80 Jahre alt ist und sich einer so guten Gesundheit erfreut, daß sie wie eine Vierzigerin aussieht. Die elf Kinder, die sie ihrem Gatten geschenkt, sind alle noch am Leben. Die Familie Conrad zählt also anscheinend zu den immer seltener werdenden „eisernen Geschlechtern“, in denen die Langlebigkeit als glückliches Erbe sich fortplanzt.


Inhalt: Zum Jubelfest des Friedens. Gedicht von Gustav Herold. Mit Randzeichnung. S. 309. – Fata Morgana. Roman von E. Werner (18. Fortsetzung). S. 310. – Adagio. Bild. S. 312 und 313. – Aus dem Arsenal der Tierwelt. S. 315. – Anton von Werner. Von Ludwig Pietsch. S. 316. Mit einem Selbstporträt A. von Werners und Abbildungen S. 316, 317, 318 und 319. – Die Frau Collega. Novelle von Ernst Lenbach. S. 320. – Nordseelotse, an Bord eines einkommenden Klippers gehend. Bild. S. 321. – Blätter und Blüten: Der Verein Frauenheim. S. 323. – Adagio. S. 324. (Zu dem Bilde S. 312 und 313.) – Deutschlands merkwürdige Bäume: die Priorlinde an der Kluse bei Dahl a. d. Volme. Von Hugo Kruskopf. Mit Abbildung. S. 324. – Das umfangreichste Litteraturwerk der Erde. S. 324. – Nordseelotse, an Bord eines einkommenden Klippers gehend. S. 324. (Zu dem Bilde S. 321.) – Kleiner Briefkasten. S. 324.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0324.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2023)