Seite:Die Gartenlaube (1896) 0336.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Regelmäßigkeit vermissen läßt, die wir beim jungen Mann als selbstverständlich fordern. Es sind eben noch zu viel Pflichten gegen den Haushalt der Eltern, Sorgen für die Toilette zu berücksichtigen. So nimmt die junge Dame aus der Schule im besten Falle die Fähigkeit mit, Blumen und Stillleben zu malen und ein Muster für Flachornament zu entwerfen. Wie soll sie diese Fähigkeit nun praktisch verwerten? Sie bietet sich einem Quincailleriegeschäft zum Fächer-, Leder- oder Seidemalen an; der Inhaber sagt ihr, daß gemalte Fächer gerade voriges Jahr aus der Mode gekommen sind und für die nächsten Jahre nur Feder- oder Spitzenfächer gehen. Will sie sich entschließen, Sportbilder auf Cigarrentaschen zu malen, so bezahlt der Händler für das Dutzend vielleicht vier Mark, was einem Tagelohn von einer Mark gleichkommt. Denselben Bescheid erhält sie in dem Porzellangeschäft: die Bouquets auf den Desserttellern werden von Bauermädchen in thüringischen Dörfern gemalt, die zufrieden sind, wenn sie am Tag fünfzig Pfennige verdienen. Ueber das Musterzeichnen für Gewebe und Stickereien wurde schon oben gesprochen.

Es wäre traurig, wenn man nicht hoffen dürfte, daß es für solche Mißstände einmal eine Besserung gäbe. Unzweifelhaft sind weibliche Arbeitskräfte in einer Menge kunstgewerblicher Fächer zu verwerten. Wir greifen nur folgende heraus: die graphischen Fächer (Lithographie, Kupferstich, Holzschnitt, Federzeichnung für Lichtreproduktion); Anfertigung künstlicher Blumen, Buchbinderei in ihrem künstlerischen Teil (Lederdekoration und Vergoldung); Email- und Glasmalen; Kleinplastik für Metallguß und Porzellan; Ciselieren und Gravieren. So sicher ein begabtes und gut ausgebildetes Mädchen in diesen Berufsarten mit den Männern wetteifern könnte, so unmöglich ist es heute noch für sie, eine derselben fachgemäß zu erlernen und zu betreiben – unmöglich oder doch hinter solchen Schwierigkeiten verschanzt, daß die Willenskraft der meisten bei dem Versuch erlahmt. Die von uns als unbedingt nötig bezeichnete praktische Lehre versetzt sie in die häufig rohe Atmosphäre der Handwerksstube; schwer findet sich ein Meister, der die Verantwortung übernimmt, männliche und weibliche Lehrlinge zusammen arbeiten zu lassen. Wozu auch? heißt’s da. Ist doch das Angebot männlicher Arbeitskräfte groß genug – sollen die Frauen auch hier noch die Preise drücken? Und hätte selbst ein Mädchen es erreicht, unter denselben Bedingungen wie ein Mann seine Leistungen anzubieten – sie würde immer einer tiefgewurzelten Abneigung der Geschäftsleute, Händler, Kommissionäre begegnen, mit einer „Dame“ in Geschäftsverbindung zu treten. – Man muß wie gesagt hoffen, daß die zurückgedrängte Stellung der Frau auf diesem wie auf andern Gebieten sich durch die energischen Anstrengungen bessern wird, die von einzelnen Vorkämpferinnen wie von Frauenvereinen in so tapferer Weise gemacht werden: heute hat sich ein Mädchen, welches vom Kunstgewerbe eine Lebensstellung erhofft, leider noch auf die Kämpfe, Mühsale und Enttäuschungen gefaßt zu machen, die keinem Bahnbrecher erspart bleiben. F. Luthmer.     




Ein unbedachtes Wort.

Novelle von M. Misch.

Zur Freude vieler hatte der Musentempel in C. endlich wieder seine Pforten aufgethan. Die Wintercampagne konnte beginnen. Die Eröffnung hatte diesmal auf sich warten lassen, da es dem energischen, strebsamen Direktor gelungen war, eine gründliche Renovierung des Theaters bei den Vätern der Stadt durchzusetzen. Trotz aller Eile war es aber nicht möglich gewesen, zur rechten Zeit fertig zu werden, und so konnte zum Schmerze aller Theaterfreunde die Saison erst am 1. November, statt wie üblich am 1. Oktober, beginnen. Das Theater spielte in der mittelgroßen, aber sehr wohlhabenden und wegen der zahlreichen Pensionäre, die sie bewohnten, Pensionopolis genannten Stadt eine wichtige Rolle. Es war der Sammelpunkt der besseren Gesellschaft. Der Direktor mußte daher für gute Kräfte und ein gutes Repertoire sorgen, wenn er sich halten wollte, und vor allem dafür, daß die engagierten Künstlerinnen jung und schön waren – Anforderungen, die für den Leiter gar nicht so leicht zu erfüllen sind, da gerade Jugend und Schönheit sich erstaunlich selten mit Talent und Können vereinen. Trotzdem aber glaubte der Direktor, sein Personal auch dieses Jahr glücklich zusammengestellt zu haben, und sah, wenn auch etwas erregt, doch siegessicher dem ersten Abend entgegen.

Es wurde ein neues Lustspiel gegeben, in welchem die ersten Kräfte hervorragend beschäftigt waren. Gefielen sie der Kritik, welche in C. weniger von berufenen Schriftstellern als von einigen Theaterenthusiasten gehandhabt wurde, so konnte er sie behalten; gefielen sie nicht, mußte er sie sofort entlassen, wozu ihm die abgeschlossenen Kontrakte das Recht gaben. Die engagierten Künstler fürchteten sich mit Recht vor dem Abend, und mancher begab sich beklommenen Herzens und Schlimmes ahnend in die Garderobe. Kurz vor sieben Uhr füllte sich langsam der Zuschauerraum. Es war Sitte in C., für das Theater Toilette zu machen, und so tauchten in den Logen und im ersten Parkett elegante Damen in knisternden Seidenkleidern, junge Mädchen in hellen Spitzenblusen auf, von einer Loge zur andern hinüber grüßend, mit den Nachbarn ein paar Worte plaudernd, während die Augen im ganzen Hause rasche Umschau hielten und bald ein Blick, bald ein Lächeln zu den Bekannten im Parkett hinunterflog. Die wohlthuende Wärme in dem hübschen, hellerleuchteten Raume rief bei allen Anwesenden eine heitere Behaglichkeit hervor. Sie ahnten ja nicht, die Glücklichen, die im Theater nur ein leichtes Vergnügen, eine schnell vorübergehende Unterhaltung suchten, daß Die hinter dem Vorhang zu gleicher Zeit für ihre Existenz bangten und sorgten.

Der erste Rang, das Parkett und Parterre sowie die Galerie waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Nur in den beiden linken Prosceniumslogen gähnte noch öde Leere. Schon spielte die Musik die Schlußaccorde der Ouvertüre, als die Thüren der beiden Logen endlich mit großem Geräusch geöffnet wurden. Säbelgeklirr und laute Stimmen sorgten dafür, daß das Publikum seine Aufmerksamkeit dorthin lenkte. Die Eintretenden, etwa zehn junge oder jung sein wollende, elegante und „schneidige“ Herren, nahmen mit möglichst viel Geräusch ihre Plätze ein und führten, ungeniert schwatzend, ihre mächtigen Operngläser an die Augen. Es waren die tonangebenden Lebemänner und zugleich einflußreichsten, bekanntesten Theaterfreunde der Stadt, die auf diese Weise die allgemeine Aufmerksamkeit erregten. Alle unverheiratet, reich, nicht mehr allzujung, der jüngste bereits über Dreißig, sämtlich Mitglieder eines Klubs, in welchem oft und hoch gespielt wurde. Die interessantesten Klatschereien von C. drehten sich fast ausschließlich um sie. In den wohlhabenden Familien, die größere Geselligkeit pflegten, waren sie gern gesehene Gäste.

Das Klingelzeichen ertönte. Langsam verstummte der Lärm; der Vorhang hob sich. Die Einleitungsscene verlor sich in dem Stühlerücken der Verspäteten und dem Räuspern, das den Anfang eines Stückes zu begleiten pflegt.

Es war ein feines und doch lustiges Stück, das bald herzliches Gelächter hervorrief. Die am ersten Akte beteiligten Schauspieler gaben ihre Rollen gut, besonders gefiel die muntere Liebhaberin, ein hübsches, noch sehr junges Persönchen, das seine Rolle durch kecke und temperamentvolle Darstellung zur besten Geltung brachte. In den linken Prosceniumslogen richteten sich die großen Operngucker aufmerksam auf sie, und bei ihrem Abgange wurde aus diesen Logen das Zeichen zum Applaus gegeben. Sie hatte gewonnenes Spiel beim Publikum; der Direktor selbst sagte es ihr mit zufriedenem Lächeln. So verlief der erste Akt mit bestem Erfolg, und nachdem am Schluß der Beifall verrauscht war, erhob sich ein Teil der Zuschauer, um Bekannte zu begrüßen und die Eindrücke auszutauschen.

Ein alter, dicker Gutsbesitzer, der seinen Platz im Parkett hatte, trat an den Rand einer der Prosceniumslogen und schüttelte lebhaft die ihm entgegengestreckten Hände. „Wie gefällt Ihnen die Kleine, Schindler?“ fragte er. „Nett, was?“

Der Gefragte strich sich über seinen langen, rotblonden Vollbart. „Weiß nicht, finde heute überhaupt alle Weiber unausstehlich!“

„Schindler hat zu viel Sekt getrunken,“ schnarrte ein Rittmeister, der neben ihm stand, „da ist er immer Weiberfeind!“

Ein scharfes Klingelzeichen erschallte jetzt und machte der Unterhaltung ein schnelles Ende. Der Vorhang hob sich zum

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0336.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)