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BLÄTTER UND BLÜTEN.


Das Schmücken der Havelkähne zu Pfingsten. (Zu dem Bilde S. 345.) Dem Frühling bleibt nirgendwo mehr zu thun übrig als in der sandigen Mark, die zur Winterszeit schmucklos wie kein anderer deutscher Gau daliegt. Aber dafür weiß man ihm hier auch lebhafteren Dank denn irgend sonstwo, und unzählig sind die hübschen, beziehungsreichen Gebräuche, mit denen sein Einzug und sein Triumph gefeiert werden. Die meisten verleugnen ihren wendischen Ursprung keinen Augenblick. Sleipnirs, des starken Gottes, geschmücktes, mit Blumen und Bändern umwundenes Roß spielt noch überall – wenn auch den Festteilnehmern unbewußt – seine Rolle; Wettrennen zu Pferde, feierliche Umzüge mit bunt herausstaffierten Puppen in Lebensgröße sind noch in vielen Ortschaften beliebt. Die christliche Kirche hat es verstanden, diese unausrottbaren Gebräuche in ihren Dienst zu stellen. Womit die Altvorderen den vollendeten Sieg des Frühlings begrüßten, damit erhöhten ihre zum Christenglauben bekehrten Enkel den Glanz des lieblichen Pfingstfestes. Einen dieser anmutvollen Bräuche zeigt uns heute der Künstler im Bilde. Wenn man in den Pfingsttagen an der seenreichen Havel entlang wandert und sich dem Dorfe Caputh, dem Schiffahrts- und Handelsemporium dieser Gegend, nähert, winken einem fröhlich hundert bunte Flaggen und Maienbüsche aus der Höhe ein Willkommen. Capuths „Hafen“ mit seinem starken Durchgangsverkehr – gewaltige Ziegeleien befinden sich in der Umgegend und versorgen die Hauptstadt – wimmelt um diese Zeit von den plumpen, aber solid gebauten und tragfähigen Steinkähnen, und darunter ist keiner, dessen Mastspitze nicht der Birkenbusch krönte. Der „kleine Hydriot“, der sich bereits werkeltags auf Vaters Fahrzeug nützlich zu machen weiß, hält es für seine Ehrenpflicht, durch den feiertägigen Schmuck des „Baumes“ alle Kameraden zu übertreffen. Und während die Kirchenglocken übers Gelände rufen und die frommen Alten zum Hause des Herrn ziehen, opfert die Jugend, ohne es zu wissen, der gestürzten, längst vergessenen Gottheit. Das Band, mit dem sie flatterndes Birkengrün an den Masten befestigt, und das farbige Fahnentuch verknüpfen mit der goldenklaren Gegenwart dieses Pfingstmorgens alte Wunder und Träume ferner grauer Vergangenheit. N.     

Die Stellenvermittlung des Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins. Unter den vielen durch thatkräftige Frauen bereits getroffenen Veranstaltungen zur Selbsthilfe nimmt die obengenannte Stellenvermittlung für Lehrerinnen jeder Art, deren Centralleitung sich in Leipzig, Pfaffendorfer Straße 17, befindet, einen ganz bedeutenden Rang ein. Erst 1890 gegründet, aber gleich vortrefflich organisiert, zählt der Allgemeine deutsche Lehrerinnenverein heute 10 000 Mitglieder und steht in engem Verband mit den Vereinen deutscher Lehrerinnen in England, Frankreich und Italien. Hierdurch ist es den von Lehrerinnen als Ehrenamt ausgeübten Agenturen ermöglicht, jede Stellesuchende an den richtigen Platz zu bringen, anderseits haben Familien und Schulleitungen die Garantie, nur wirklich Empfehlenswerte, deren Leistungen geprüft und genügend befunden sind, zu erhalten. Im Jahr 1895 besetzte der Verein 788 Stellen, 508 durch das Leipziger Centralbureau und seine Agenturen in Deutschland, 280 durch die verbundenen Vereine im Ausland, darunter allein 200 in England. Die Gehalte wachsen mit den nachzuweisenden Fähigkeiten, beginnen für ganz junge Erzieherinnen mit 440 Mark bei freier Station, für ebensolche Lehrerinnen mit 900 Mark ohne dieselbe. Das Durchschnittsgehalt der älteren ist 900, bez. 1240 Mark. Selbstverständlich werden sich künftig die Gehalte für akademisch gebildete Haupt- und Oberlehrerinnen bedeutend höher stellen. Es ist also jungen Mädchen, welche dieses Ziel anstreben, der baldige Eintritt in den Verein zu raten, damit ihnen nach abgelegten Prüfungen die gewichtige Empfehlung der Vereinsleiterinnen zur Seite steht. Anderseits sollten, wo nicht sichere, sachverständige Prüfung auf privatem Wege die Gewißheit einer guten Wahl giebt, Eltern und Schulvorsteher sich statt an unwissende, nur ihren eigenen Nutzen suchende Geschäftsagenturen an die gewissenhaft arbeitenden des Vereins wenden. Wo so hohe Güter in Frage kommen wie die geistige und sittliche Bildung unserer Mädchenjugend, da darf nur das Beste gut genug sein! – Wer Näheres über den deutschen Lehrerinnenverein und seine umfassende Thätigkeit zu erfahren wünscht, findet dies in dem interessanten Artikel von M. Loeper-Housselle „Die Lehrerin in Deutschland“, Jahrg. 1895 der „Gartenlaube“, S. 58. A.     

Das Wasserwerk von Chapareillan. Kraft aus Nichts zu erzeugen, ist bekanntlich ein unfruchtbares Problem, an dessen Lösung nur noch die „Erfinder des Perpetuum mobile“ sich die Köpfe zerbrechen. Wie weit es dagegen die Technik bereits in der Kunst gebracht hat, sehr große Kräfte aus unscheinbaren Quellen zu gewinnen, beweist das Wasserwerk zu Chapareillan. Weit oberhalb dieses im französischen Departement Isère gelegenen Gebirgsdorfes fließt ein Bach von ziemlich geringem Wassergehalt, dessen einziger Vorzug vor anderen darin besteht, einen so steilen Lauf zu haben, daß er nur wenige Kilometer gebraucht, um 600 m in die Tiefe zu gelangen. Wegen dieses Umstandes wurde er von der Elektrizitätsgesellschaft in Lyon ausersehen, ein großes elektrisches Werk zu treiben. Bedeutende Wassermengen sind nicht vorhanden, deshalb war an einem möglichst hohen Gefälle alles gelegen, und das ließ sich hier so günstig wie selten erreichen. 612 m über dem Dorfe, in welchem das Turbinenwerk errichtet wird, ist mittels eines künstlichen Reservoirs der ganze Bach abgefangen, und aus diesem Behälter, der bei einem so geringen Wasserzufluß sehr klein angelegt werden konnte, wird das Wasser in einem Fallrohr von 3200 m Länge nach Chapareillan geführt, wo es vermöge des großen Höhenunterschiedes unter einem gewaltigen Druck ankommt. Wenn man sich den Wasserdruck am Boden eines Sees von 600 m Tiefe vorstellt, so hat man denselben Druck, mit dem hier der Inhalt des Rohres sich in die Turbine ergießt: er beträgt rund 60 Atmosphären. Natürlich muß die Wandung des Rohres, um diesen Druck auszuhalten, eine gehörige Stärke haben; während sie oben, wo das Wasser einfließt, nur wenige Millimeter stark ist, wächst ihre Dicke unten, wo eine Spannung gleich der sechsfachen eines Lokomotivkessels herrscht, zur Stärke eines Fingers an. Im Innern ist das Rohr 35 cm weit. Und durch dieses einfache Mittel erreicht man es, etwa 1000 Pferdestärken aus einem Bach zu gewinnen, der oben, wo man ihn gefaßt hat, kaum 20 Pferdekräfte wert ist. Jedes Liter Wasser, welches durch dies Gefalle stürzt, liefert ungefähr fünf Pferdestärken. Bw.     

Durchschossene Luftballons. Mit der zunehmenden Verwendung des Ballons im Militärdienste gewinnt die Frage an Interesse, wie sich ein den Feind beobachtender Fesselballon – freischwebende werden selten angewandt und sind fast unerreichbar – gegen ein starkes feindliches Feuer halten kann. Man stellte deshalb im letzten Sommer auf dem österreichischen Schießplatz zu Steinfeld Versuche an. Ein großer, 10 bis 14 m breiter Fesselballon wurde, in 800 m Höhe und 5 km Entfernung aufgestellt, aus einer Batterie von 8 Geschützen mit Schrapnells beschossen. Um dem beschießenden „Feind“ die Sache nicht zu leicht zu machen, wurde der Ballon, sobald es den Anschein gewann, als ob die Batterie sich eingeschossen hätte, ein wenig in der Lage verändert. Das Resultat war, daß bald 80 Schrapnells verfeuert waren, der Ballon aber so ruhig wie zuvor schwebte. Von 10 000 Kugeln und Sprengstücken hatten drei ihn ein wenig verletzt, was seinen Auftrieb nicht im geringsten störte. – Wie viel Löcher in der That ein Luftballon vertragen kann, haben Schießversuche aus nächster Nähe gelehrt. Ein 400 m hoch schwebender stillstehender Fesselballon sank langsam nach 16 Schüssen, von denen 10 getroffen hatten. Ein anderes Mal aber sank er nicht, obwohl ihn schon 18 Sprengstücke zerrissen hatten. Bei sehr glücklichen Treffern kann es freilich auch schneller gehen: einmal hielt der Ballon 40 Schuß aus, der vierzigste war der erste, der traf, aber so wirksam, daß der Ballon sofort und schnell sank. Als man den Geflickten 800 m hoch schweben ließ, brauchte er 65 Schüsse aus weniger als 4 km Entfernung, der letzte brachte ihm zwei lange Risse bei und machte ihn schnell sinken. Es müssen eben schon immer unglückliche Streifschüsse sein, die die Hülle mehr schlitzen als löchern, wenn sie dem Ballon ernstlichen Schaden zufügen sollen; an gewöhnlichen Löchern kann er eine ganze Portion vertragen, und in der Hand geschickter Aeronauten, die den Feind nicht erst zum Einschießen gelangen lassen, ist der Kriegsballon fast unüberwindlich. Bw.     

Ein Scheidegruß. (Zu unserer Kunstbeilage.) Der schwere Abschied ist genommen, im Beisein von Mutter und Schwestern; denn noch kann der Liebende nicht um sein Mädchen werben, er muß erst eine Zeit lang in die Welt hinaus. Sie hat, um sich ungestört ausweinen zu können, die Bank am Gartenende aufgesucht, und des Geliebten gedenkend, ist sie hier mit geschlossenen Augen tief ins Träumen geraten, das Buch, das sie zum Vorwand mitgenommen, ist längst ihrer Hand entfallen. Plötzlich – ein Geräusch: über den Zaun her greift eine Hand, reicht ihr schnell eine blühende Rose, sie hört ein paar geflüsterte Worte, und ehe sie das Unerwartete fassen und von ihrem Sitze in die Höhe fahren kann, klingen draußen Hufschläge und die Stelle am Zaun ist leer … Die ganze Erscheinung ist wie ein Schatten verschwunden. Aber die Rose bleibt und mit ihr die Hoffnung auf ein glückseliges Wiedersehen! Bn.     


KLEINER BRIEFKASTEN.


(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

P. in K. Sie wünschen von uns eine Erklärung der seltsamen Erscheinung, daß man die Bewegung seiner eigenen Augen im Spiegel nicht sehen kann. Blickt man in einen Spiegel und fixiert mit beiden Augen bald das Bild des rechten, bald das des linken Auges, so bewegt man die Augen; man fühlt die Bewegungen selbst und Zeugen, die uns ansehen, können es bestätigen; aber die Augen erscheinen im Spiegel unbeweglich. Diese Erscheinung ist schon wiederholt der Gegenstand genauer Nachforschungen gewesen, aber eine einwandfreie Erklärung konnte bis jetzt nicht gegeben werden. Die neuesten Erklärungsversuche finden Sie im „Archiv für Ophthalmologie“, Band XLI, 3 und in der Revue scientifique, Jahrg. 1896, Nr. 15.


manicula Hierzu die Kunstbeilage VI: „Ein Scheidegruß.“0 Von H. Vogler.

Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge und Illustrationen. Z. Zt. nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

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