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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Vater Kaiser Franz, ein anderes von Napoleon an Marie Luise; selbst das Reisebesteck Napoleons, das bei Waterloo in seinem Wagen erbeutet wurde und jetzt dem Baron Nathaniel Rothschild gehört, ist da zu sehen, ein mit Silber eingelegtes Holzkästchen, das 23 Gegenstände aus Gold, Stahl und Glas enthält.

Das Arbeitszimmer des Kaisers Franz (vergl. die Abbildung auf S. 364) ist eines der interessantesten Gemächer der Ausstellung. Es ist in der Hofburg genau so erhalten, wie er es bewohnt hat, und gehört zu den Gemächern der Kronprinzessin-Witwe Stephanie. Die Einrichtung wurde in die Ausstellung übertragen und das Zimmer genau nachgeahmt, samt den hellgrünen Tapeten und den gemalten Reliefidyllen über den Thüren; selbst die Aussicht in den Hof ist getreulich vor den Fenstern als gemalter Prospekt angebracht. Nichts kennzeichnet besser als dieser Raum die schlichte Natürlichkeit und den behaglichen Bürgersinn des mächtigen Monarchen, der doch den Wiener Kongreß zum Schauplatz der verschwenderischsten Gastfreundschaft gemacht hatte. Der Graf de Lagarde hat über die Kongreßfeste ein zweibändiges Werk geschrieben, aber das Haupt dieser Weltversammlung arbeitete in einem grünen Hofzimmerchen, unter braunen Möbeln, meist nur Nußholz, selten Mahagoni, mit gelben Bronzebeschlägen; die Sessel mit grünem Tuch gepolstert, der Papierkorb mit einer Straminstickerei geschmückt, der Schreibtisch ganz kanzleimäßig schmucklos mit vier geraden, dünnen Beinen, und darauf noch seine Kielfedern, seine Siegellackstange, sein dicker Zimmermannsbleistift, sein einfacher graumarmorner Briefbeschwerer mit einem weißen Ei als Griff und der Inschrift „Aus der Gegend von Aicha in Tyrol“ etc. etc. So wohnte der erste Bürger seines Reiches; man könnte fast sagen, der erste Beamte des Kaisertums, denn der damalige spätere Empirestil, mit seinem Verzicht auf alles künstlerische Element, hatte etwas entschieden Bureaumäßiges. Die zwei Blumentöpfe im Fenster und zwei reizende kleine Porträts der Kaiserin Karolina Augusta fallen allein aus der Amtlichkeit heraus. Dieses Kaiser Franz-Zimmer ist ein redendes geschichtliches Denkmal, das eine patriarchalische Zeit, mit einem buchstäblich zu nehmenden „Landesvater“ an der Spitze, widerspiegelt. So erscheint ja auch der Kaiser, von dem manches meisterhafte Bildnis ausgestellt ist, auf einem äußerst schlichtbürgerlich gehaltenen Brustbilde von unbekannter Hand, das der Fürst Karl Trauttmansdorff von seinem Vorfahr, dem Obersthofmeister zur Kongreßzeit, geerbt hat. Ein vergilbter Zettel von seiner Hand steckt daran und besagt: „Dieses Bild Kaisers Franz I., im 55. Jahresalter, und seiner alltägigen Kleidung, wie ich Ihn gewöhnlich zu sehen die gnade habe, soll – seiner ganz besonderen ähnlichkeit wegen, auf immerwährende zeit bey meiner familie verbleiben, und zu diesem ende, von jedem fideicomis Besitzer meiner Branche, bey ihm selbst, oder im Schlosse der Herrschaft Teinitz, sorgsamst aufbewahrt werden. Wien den letzten october 1823. Ferdinand Fürst Trauttmansdorff Sr. Majestät Erster Oberst Hofmeister.“ Unter den übrigen Bildnissen des Kaisers ist das sitzende, in Feldmarschallsuniform von Sir Thomas Lawrence, dem „Tizian seiner Zeit“, das beste, vor allem ein Meisterwerk der Farbe. Es gehört dem Fürsten Esterhazy. Wie gut es getroffen sein muß, beweist, daß die Erzherzogin Marie Clementine, Prinzessin von Salerno, es sich durch Lawrence in Aquarell kopieren ließ und sich von diesem Abbild ihres angebeteten Vaters zeitlebens keinen Augenblick getrennt hat. Diese Kopie befindet sich jetzt auf Schloß Chantilly bei dem Herzog von Aumale, der als Gatte der Tochter der Prinzessin von Salerno ein Enkel des Kaisers Franz ist.

Lawrence malte auf dem Kongreß in Aachen (1818) im Auftrage des Prinzregenten von Großbritannien, der als Georg IV. König ward, alle Größen des Wiener Kongresses, die der Regent im Waterloosaal zu Windsor vereinigte. Von Aachen reiste der unverwüstliche Lawrence Tag und Nacht eine Woche lang mit Extrapost nach Wien zum Kaiser, und dann in ebensolchem Tempo ohne Aufenthalt nach Rom, den Papst und den Kardinal Consalvi zu malen. In Aachen malte er auch den allmächtigen Haus-, Hof- und Staatskanzler Fürsten Clemens Metternich. Dieser schrieb darüber an seine Gemahlin: „Unsere Porträts werden wahre Meisterwerke. Meines ist eins der besten. Er wird es nach Wien bringen, wo ich es kopieren lasse, um mich dann nie wieder malen zu lassen.“ Und so that er auch; die Kopie hängt im Wiener Palais Metternich, das Lawrencesche Original auf Schloß Plaß in Böhmen. Gegenwärtig ist es das Hauptstück im „Metternichzimmer“ der Kongreßausstellung. Unsere Abbildung äuf S. 365 zeigt uns die Umgebung, in der der Leiter des Wiener Kongresses sein Leben beschloß.

Auf seinem Schreibtisch steht sogar noch sein Blockkalender mit seinem Sterbedatum (11. Juni 1859). Der Schreibtisch ist ein französisches Prunkstück aus dem 18. Jahrhundert; Mahagoni mit Goldbronze, aber im geschweiften und gebauchten Rokokostil. Er sieht aus wie der Vater des Schreibtisches Napoleons I. Unter den Merkwürdigkeiten dieses Gemachs befindet sich der großartige, aus 75 Stücken bestehende Tafelaufsatz aus vergoldeter Bronze, von Thomire gearbeitet, ein Geschenk Napoleons, heute wieder von größtem Kunstwert. Ueber einer verkleinerten Bronzekopie der Vendômesäule hängt das Bildnis Wellingtons, von John Lucas, 1829, in österreichischer Marschallsuniform, ein Geschenk des eisernen Herzogs. Auch Isabeys Kongreßbild, im Stich von Godefroy (1819), sehen wir an der Wand auf der andern Seite des Schreibtisches. In zwei Glasrahmen auf demselben befindet sich eine Sammlung kostbarer Kameen und Intaglien; ein Glaskasten enthält einige der kostbarsten Dosen, die Orden Metternichs u. s. f.

Aehnliche Zimmer sind aus Geräten und Andenken des Fürsten Karl Schwarzenberg und des Fürsten Johann Liechtenstein zusammengestellt. Im Schwarzenbergzimmer enthält u. a. ein Glaskasten die Großkreuze, Marschallstäbe und Ehrensäbel (z. B. der City von London), die der Sieger von Leipzig erhalten. Solche Serien kommen noch anderweitig vor; so hat der jetzige Herzog von Wellington die acht goldenen Marschallstäbe eingesandt, die der Sieger von Waterloo von acht Potentaten empfing. Es ist da überhaupt kein Ende an geschichtlichen und persönlichen Andenken. Das Bildnis des Fürsten Schwarzenberg ist vom Baron Gérard 1814 in Paris gemalt; in jenem Atelier der Rue Bonaparte, wo damals Kaiser und Könige und Weltbesieger sich die Thürklinke reichten, denn Gérard malte grundsätzlich niemand anders als nur Souveräne von Frankreich in deren eigenem Heim. Während Lawrence von Residenz zu Residenz reiste, saß Gérard in Paris, wie eine Spinne in ihrem Netz, und ließ die Goldfliegen an sich herankommen. Auch sein berühmtes Sitzbild Talleyrands aus dem Jahre 1810 ist ausgestellt; ein Meisterwerk ersten Ranges, in dem sich schon eine lebensvollere Zeit ankündigt; Goethe bewundert es ausführlich in seiner Kritik des gestochenen Porträtwerkes Gérards.

Ueberhaupt wird man in der Kongreßausstellung oft genug an Goethe erinnert. An Schiller nur hier und da, z. B. durch Danneckers Büste des Erzherzogs Karl, die einen ausgesprochenen Schillerkopf hat, nur schlanker und höher aufgebaut. Goethe aber war einer der größten Zeitgenossen des Wiener Kongresses und mit diesem durch manche Fäden verknüpft. War nicht die reizende, liebenswürdige und feingebildete „Kongreßkaiserin“ Maria Ludovica, Kaiser Franz’ dritte Gemahlin, dieselbe, die er in drei Karlsbader Festgedichten so innig gefeiert? Ihre Bildnisse auf der Ausstellung lassen es wohl ahnen, daß ein Goethe stundenlang mit ihr die tiefsten Gespräche führen konnte, daß Goethes Herzog von Weimar „mit Freuden sein Leben für diese göttliche Frau geben wollte“, daß Marschall Berthier, der in Wien Napoleons Ehe mit Maria Luise per procurationem zu schließen hatte, durch seine ganz verliebten Berichte Napoleon auf die Bekanntschaft der Kaiserin begierig machte. Selbst Talleyrand erwärmte sich für sie, fand aber freilich, daß sie gar schlank und schwach aussehe. Diese außerordentliche Frau, die, obgleich geborene Italienerin, auf ihrem Haustheater sogar Teile von Schillers „Wallenstein“ zur Aufführung brachte, starb 28 Jahre alt. Man lese alle die Dinge, die Goethe über sie schreibt.

Von der schönen Herzogin von Kurland, die man mit ihren zwei Schwestern, den Herzoginnen von Sagan und Acerenza, die drei Grazien des Kongresses nannte – selbst auf einer Berliner Porzellantasse sehen wir dieses reizende Kleeblatt abgebildet – von dieser international gefeierten Dorothea also bekam Goethe 1820 in Karlsbad „ein historisches Blatt, die versammelten Minister beim Wiener Kongresse darstellend“, das „in den Portefeuillen des größten Formats platznahm“. Es ist Godefroys Stich nach Isabeys Kongreßbild gemeint. Jean Baptiste Isabey war überhaupt der Kongreßmaler par excellence. Daß er es wurde, verdankte er Talleyrand, der in den schwierigsten Lagen zu raten wußte. Napoleon war gestürzt und sein Leibminiaturist Isabey hatte alle seine Stellen verloren. Er klagte dies Talleyrand, dieser sann einen Augenblick und wies dann auf einen Kupferstich an der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0366.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)