Seite:Die Gartenlaube (1896) 0388.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Das Geheimnis der Bäume. Es geschieht nicht selten, daß man beim Fällen und Zerkleinern von Bäumen im Innern, manchmal einen Fuß und noch tiefer unter der Rinde, auf alte, wohlerhaltene Inschriften oder Zeichen stößt, von deren Vorhandensein die Außenseite des Baumes nicht die geringste Kunde gab. Vielleicht erinnert sich noch einer oder der andere jener Erscheinung eines „Eisernen Kreuzes“, welche 1868 oder 1869 im Stamm eines bei Oberlangenbielau gefällten Ahorns gefunden wurde und in weiteren Kreisen dadurch Aufsehen erregte, daß König Wilhelm von diesem Naturspiel mit Interesse erfuhr. Denn jener Fund ließ ausnahmsweise den Zufall als Erklärung zu, während bei vielen anderen im Innern von Bäumen aufgefundenen Zeichen, wie Totenköpfen, Herzen, ganzen Bildern, Inschriften oder Jahreszahlen, nichts anderes angenommen werden kann, als daß sie vor langer Zeit einmal äußerlich in die Rinde eingeschnitten und dann langsam ins Innere hineingewachsen sind. Diese Erklärung ist auch in der That die richtige, wenn man hinzufügt, daß eigentlich nicht die Inschrift in den Stamm hinein-, sondern letzterer über sie hinauswächst, indem die eingeschnittenen Zeichen eben dort stehen bleiben, wo das Messer sie einschnitt, sich durch Eiterung und Fäulnis schwärzen, aber ihre Form und Größe behalten, während der Stamm Jahr für Jahr einen neuen Holzring über sie deckt und die Rinde sich höher und höher erhebt. Natürlich kann das nur stattfinden, wenn der Einschnitt wirklich durch die Rinde hindurch bis aufs Holz gegangen war. So kann man denn z. B. bei alten Buchen, hundert Jahresringe unter einem großen vom Wachstum fast zur Unkenntlichkeit verzerrten Herzen in der Rinde, das ursprüngliche Bild dieses Herzens, das vor 100 Jahren eingeschnitten wurde, in aller Treue wiederfinden. Wenn anderseits der Baum von rissiger oder allherbstlich abfallender Rinde ist, so wird das Bild an der Oberfläche bald verwischt, und nur im Innern bewahrt der Baum die ihm einst anvertrauten Zeichen getreulich auf, bis sie ein Zufall ans Licht bringt oder Alter, Feuer oder Verrottung das meist recht unschuldige Geheimnis vernichten.

So fand man 1837 bei Kiel in einer der herrlichen Buchen von Düsternbrook, als sie gefällt und zerspalten wurde, die vor 110 Jahren gemachte Inschrift H. A. L. – 1726 vor. Sie wurde von 110 Jahresringen überdeckt, hat also mindestens einen bis anderthalb Fuß unter der Oberfläche gelegen. Im Spätsommer 1895 brachten Holzhacker in Dessau aus einem anderthalb Fuß dicken Rotbuchenstamm die deutliche Zeichnung eines Totenkopfes mit zwei gekreuzten Gebeinen darunter und der Jahreszahl 1850 zum Vorschein. Sie hatte also bereits 45 Jahre überdauert. Ebensoviele Ringe überdeckten die Inschrift, von welcher undeutliche Reste noch auf der Rinde zu erblicken waren. Professor Göppert hat in seinem Buche „Inschriften und Zeichen in lebenden Bäumen“ (Breslau, E. Morgenstern) eine Reihe solcher Funde zusammengestellt, zu denen auch der oben abgebildete von einer 130jährigen, im Jahre 1868 gefällten Buche aus Krummendorf in Schlesien gehört. Die beiden äußeren Figuren zeigen den im Jahre 1840 gemachten Einschnitt auf der äußeren und inneren Seite der Rinde, die mittlere die Zeichen im Holz unter 28 Jahresringen. Auch andere Funde ähnlicher Art, bis ins höchste Altertum zurück, sind gemacht und stets mit Erstaunen, oft als Wunder, betrachtet worden.

Das Geheimnis der Bäume: Inschriften im Buchenstamm.

Aber auch massivere Geheimnisse als bloße Zeichen und Inschriften vermögen die Bäume tief in sich zu verschließen. Ueber Kugeln, Steinen, Ketten und ähnlichen Gegenständen hat sich in unzähligen Fällen Holz und Rinde von Bäumen geschlossen. In der Gegend von Charlottenbrunn wird noch der Stumpf einer Linde, der jetzt längst vom Sturm bezwungenen Friedrichslinde, gezeigt, an welcher mittels einer eingeschlagenen Eisenkrampe das Pferd des Alten Fritz, der 1762 von Leutmannsdorf hier vorbeikam, angebunden war. Der Baum wuchs und wuchs und ließ allmählich die historische Krampe in sich verschwinden, so daß man einen Ring in dieselbe einfügen ließ, um ein sichtbares Zeichen an der Oberfläche zu behalten. Der Baum wuchs weiter und man mußte im Laufe der Jahrzehnte einen Ring dem andern anfügen, da der Stamm sie immer wieder zu überwuchern drohte. So hat diese Linde im Laufe eines Jahrhunderts eine ganze Kette in sich verschwinden lassen. – Zu den verhältnismäßig oft vorkommenden Fällen gehört es auch, daß Pferdeschädel, Hirschgeweihe, welche früher einmal an junge Bäume angenagelt worden sind, mit der Zeit teilweise oder ganz darin verschwinden. John Clarke fand, nach den Akten der Londoner Royal Society vom vorigen Jahrhundert, in Cumberland eine uralte Eiche, deren Holz ein altes Hirschgeweih vollkommen umschlossen hielt. Aehnliche Fälle werden aus den verschiedensten Ländern und Zeiten berichtet. B.     

Am Feierabend. (Zu dem Bilde S. 373.) Tiefe Abendstille liegt über der weiten bayrischen Hochebene. Wo die Sonne hinabsank, steht noch ein dunkles Abendrot, aber die blau-violetten Schatten senken sich schon über den weltabgeschiedenen Hof, der hier inmitten seiner Felder liegt. Friedlich steigt die blaue Rauchsäule über die alten Nußbäume hinauf, als Zeichen, daß die Bäuerin drinnen „zur Nacht kocht“, sonst regt sich nichts ringsum. Nur das Dängeln einer Sense klingt durch die große Stille: das ist der Knecht, der für morgen zur Heuernte sein Gerät herrichtet. – Der Künstler zeigt uns in dem einfachen Stimmungsbildchen getreu den Charakter der scheinbar so reizlosen Landschaft, die, wie die Heide, ihren geheimen Zauber hat und ihn auf jeden ausübt, der es der Mühe wert findet, die feine Abwechslung ihrer Linien und die wechselnden Beleuchtungen künstlerisch ins Auge zu fassen. Bn.     

Bergsteiger auf der „Weißen Frau“. (Zu dem Bilde S. 377.) Wenn wir vom Schänzli in Bern in das weiße Geflimmer der Berner Oberländer Berge hineinschauen, so fesseln uns zur Rechten vor allem die riesigen Schneewände der Blümlisalpgruppe. Sieben gewaltige Gipfel streben aus ihr empor, von denen der mächtigste, das Blümlisalphorn, die Höhe von 3670 m erreicht. Die interessanteste dieser Spitzen ist aber zweifellos die „Weiße Frau“, 3661 m hoch und von einem Hofstaat anderer „Frauen“ umgeben; ihr zu Füßen liegen die „Wilde Frau“ (3259 m) und die „Witwe“ (3219 m), auch Blümlisalpstock genannt. Alle diese Gipfel sind von der Nordseite her zugänglich. Das „Blümlisalphorn“ wurde zum erstenmal im Jahre 1860 und die „Weiße Frau“ im Jahre 1862 bestiegen. Auf dem Wege zur letzteren errichtete man im Jahre 1875 am Hochthürlipaß in einer Höhe von 2706 m eine Klubhütte, die den Namen Frauenbalmhütte erhielt, da sie zum Teil in die Frauenbalm (Balm bedeutet Höhle) eingebaut ist. Die Bergsteiger pflegen hier zu übernachten und brechen in den ersten Tagesstunden zum Gipfel auf. Denn es ist nötig, die steilen Schneehänge noch vor ihrer Erweichung durch die Sonne zu passieren, da man sonst leicht in Lawinengefahr geraten würde. Die Bergsteiger auf unserem Bilde haben keinen günstigen Tag getroffen. Der eisige Wind fegt ihnen nadelscharf um die Ohren. Dabei müssen sie sich hüten, zu weit an den Absturz hinauszutreten, da die Schneedecke trügerisch über den Abgrund überhängt. Nachdem sie sich jetzt aber an ihrem Proviant für den Rückweg gestärkt, werden sie, von Mut und Besonnenheit geleitet, gewiß auch heil wieder zur Hütte gelangen. *     

Das Abholen der Standarten vom Königlichen Schloß in Berlin zur Frühjahrsparade. (Zu dem Bilde S. 381.) Mit der großen Frühjahrsparade, die Ende Mai stattfindet, schließt in Berlin offiziell die „Saison“ und die Badezeit beginnt. Dem militärisch veranlagten Berliner gilt diese Parade als der schönste Tag des Lenzes. Der Soldat selber sieht der großen Truppenschau mit einigermaßen gemischten Gefühlen entgegen, es wird hart gearbeitet bis dahin; aber wenn alles klappt, bleibt auch der Lohn nicht aus, und nachher winkt die köstliche Manöverzeit. So ist für Militär und Civil der Tag der Frühlingsparade in Berlin ein Gegenstand gespannter Erwartung, und sein weihevollster Augenblick – die Abholung der Fahnen und Standarten vom Königsschloß – ist immer wieder der allgemeinen Teilnahme sicher. Die einzelnen Bataillone und Kavallerieregimenter entsenden zu dieser Handlung zum Anschluß an die Fahnencompagnie, bezw. -Eskadron, Kommandos von Offizieren und Unteroffizieren; in feierlichem Zuge werden nach der Abholung die Standarten der Reiter, wie unser Bild zeigt, und die Fahnen der Fußsoldaten zum Paradeplatze geleitet. Die Bevölkerung ist zeitig auf den Beinen, und wer sich als rechten Soldatenfreund fühlt, der läßt die wehenden Banner nun nicht mehr aus den Augen. Sie flattern auch gar so stolz im lauen Morgenwinde, die ruhmreichen Zeugen blutiger Schlachten! Preußens ganze Geschichte, mit all ihren Triumphen und Niederlagen, ihren Demütigungen und Sonnenflügen, zieht an dem vorbei, der diese zerschossenen und zerrissenen, oft nur noch Fetzen darstellenden Banner betrachtet. Mögen derlei Erwägungen auch nicht allen Neugierigen kommen, die den Zug begleiten – eine festliche, eine gehobene Stimmung liegt doch auf den meisten Gesichtern, soldatische Strammheit und das Gefühl der Zugehörigkeit zum Volke in Waffen drückt sich unverkennbar in den taktgemäßen, festen Schritten der „Paradebummler“ aus. N.     

Amsterdamer Fischermädchen. (Zu dem Bilde S. 385.) Ein herrlicher Morgen bricht über dem alten Amsterdam an. Die junge Sonne zerteilt siegreich die wallenden Nebel und hinter dem zerrissenen Schleier taucht in leichten Duft gehüllt ein prachtvolles Städtebild auf. Silbern schimmert die weite Wasserflut; märchenhaft ragen zu ihren Seiten die hohen Kirchtürme und die alten Häusergiebel empor, umringt von grünendem Busch und Baum. Das ist der stimmungsvolle Rahmen zu dem Bilde der frischen Dirne, welche, den Korb mit Schollen im Arm, über die Brücke schreitet und einem Vorübergehenden einen lustigen schelmischen Blick zuwirft. Ein reizendes Bild, aus dem Leben herausgegriffen und mit malerischer Auffassung wiedergegeben! *     



Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge und Illustrationen. Z. Zt. nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0388.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)