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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

lauter Sorgen d’ Haar’ am Kopf auf wie Besenstiel’! Was mir ein einzig’s Jahr Verdruß und Aerger bringt, so viel is ja Dir Dein ganz’ Leben lang net über’n Hals kommen! So ein weitschichtigs Anwesen tragt freilich, aber es frißt auch! Und manches Jahr heißt’s draufzahlen, daß man schwarz werden könnt’! Und schau, unsereiner hat Verpflichtungen auf alle Seiten! Da heißt’s allweil: zahlen, zahlen und zahlen. Die Jagd is frei … wer muß s’ denn pachten? Der Herr Purtscheller! Schreiben s’ in der Stadt ein Trabrennen aus … wer muß mitlaufen lassen? Der Herr Purtscheller! Halten s’ ein Scheibenschießen ab … wer muß den Ehrenpreis stiften? Der Herr Purtscheller! Jeder Tag bringt was anders! Ich sag’ Dir’s, Michel, ich brauch’ meine g’schlagenen zwölf- bis fufzehntausend Markln im Jahr! So viel hat ja kein Minister in der Stadt! Das is ein g’höriger Brocken Geld! Und der muß herg’schafft werden! Geh’s, wie’s will!“

„Mar’ und Josef!“ Der Simmerauer schlug die Hände über den Kopf zusammen, und im Schreck über die Sorgen, die der arme Purtscheller zu tragen hatte, vergaß er für einige Sekunden seines eigenen Jammers.

„Und solche Sachen, weißt’, die packen ein’ und lassen ein’ gleich gar nimmer aus! Schau nur an: so notwendig hätt’ ich heut in der Früh ein bißl auf die Felder nachschauen sollen. Aber na! Da kommt der Jagdg’hilf’ und meld’t, der starke Hirsch wechselt über die Grenz’ aus, wenn er net bald g’schossen wird! Was will ich machen? Muß ich halt ’nauf!“

„So? So? Auf den starken Hirschen haben S’ g’jagt? Ja, der hat arg g’schrieen in die letzten Nächt’!“

„Hast ihn g’hört?“

„Freilich! Ich hab’ ja seit Wochen schier kein’ Schlaf nimmer! Jede Nacht fahr’ ich zwanzigmal auf und greif’ in der Finstern an d’ Wand hin, ob s’ noch da is! … Haben S’ ihn ’kriegt, den Hirschen?“

„Na! Rein umsonst bin ich droben g’wesen! … Aber was ich sagen will: im Hölzl drüben hab’ ich Deine Enkerln ’troffen! Solltest die Kinder in so einer Zeit doch net so umeinanderlaufen lassen. Wie leicht kann ihnen was passieren!“

Michel schüttelte den Kopf. „Kinder haben ein’ guten Schutzengel! Wir daheim müssen am Häusl arbeiten den ganzen Tag … und da springen s’ einem allweil zwischen die Füß’ umeinander. Ich hab’s auch net gern, wenn die armen Hascherln die ganze Zeit unseren Jammer mit anschauen müssen! So was macht ihnen ’s G’müt krank. Und Kinder sollen lustig sein … die harte Zeit kommt eh’ noch früh g’nug! Da laß ich s’ lieber umeinanderlaufen. Und ’s Hölzl drüben is noch am sichersten … da halten d’ Würzen fest. Mein’ gute Alte in ihrer Sorg’ freilich, die sagt allweil …“ Er verstummte. Die zitternden Hände auf den Rücken legend, blieb er stehen und blickte mit feuchten Augen zu einem nahen Bauernhäuschen hinüber, dessen verschobenes Dach auf schiefen und halb geborstenen Mauern saß.

Undeutlich hörte man die erregten Stimmen der Leute, von denen die einen das Thürgebälk und die Fensterstöcke aus der Mauer brachen, während andere das armselige Hausgerät auf einen Leiterwagen luden, vor welchem ein klapperdürres Rößlein mit einer schwerfälligen weißen Kuh zusammengekoppelt war.

„Der erbarmt mich aber! Der arme Gaßner!“ nickte Michel mit erloschener Stimme vor sich hin. „Jetzt muß er Auszug halten! Traut sich nimmer schlafen unter ’m Dach!“

„Der is g’scheit, Michel! Der bringt beizeiten in Sicherheit, was zum Forttragen is, und baut sich drunten im Ort ein neu’s Häusl auf festem Boden. Ich mein’, es wär’ am besten, Du thätst es ihm nachmachen! Sag’ Ja, Michel, und ich hilf Dir dazu!“

Wortlos, fast unwillig schüttelte der Alte den Kopf.

„Schau, Michel, nimm Vernunft an!“ sagte Purtscheller mit ehrlicher Herzlichkeit und legte dem Simmerauer den Arm um die Schulter. „Weißt, so ein Berg, wenn er einmal ’s Laufen anfangt, der giebt kein’ Fried nimmer, eh’ net alles drunten is! Sei g’scheit, Michel, fang’s Ausräumen an, und drunten baust Dir wieder. Von mir kriegst den Baugrund … für ein Vergeltsgott und ein’ Schoppen Tiroler … dem Purtscheller kommt’s auf so ein lumpigs Tagwerk net an! Und zum Bau gieb ich Dir tausend Mark auf ewige Hypothek! Geh her, Alter, und schlag’ ein!“

„Dank schön, Herr Purtscheller … Sie meinen ’s gut … aber der Michel muß bleiben! Ah na! Der Michel kann net fort!“

„Möcht’ wissen, warum net? Was der Gaßner da drüben fertig bringt, das wird bei Dir auch noch möglich sein!“

Der Simmerauer fuhr sich mit langsamer Hand über das weiße Haar und atmete tief. „Der Gaßner! O mein! Der Gaßner! Der kann leicht ausräumen! Der kann sich leicht ein anderes Heimatl suchen! Aus der Fremd’ is er her’zogen und hat das Häusl ’kauft … aber das müssen S’ ja wissen! Es is ja ’s Häusl, in dem Ihr Frauerl auf d’ Welt kommen is! Vor vierzehn Jahr’ erst hat er’s ’kauft, der Gaßner! Vierzehn Jahr’! O mein! Der hat sich noch gar net eing’lebt d’rein! Aber ich? Na! Ich kann net fort! Ich bin ang’wachsen! Mein Vater, mein Ahnl und Urahnl is schon g’sessen an dem Tisch, wo ich heut’ noch sitz’! Da bin ich Kind g’wesen, da hab’ ich mein Katherl heimg’führt, da hab’ ich Glück und Sorgen übertaucht, bis aus ’m lustigen Micherl schön langsam der alte Michel ’worden is mit seine weißen Haar! Und ich soll fortkönnen? Na, lieber Herr! Jeder Stein am Häusl is ein Stückl von mir, jeder Span an der Thür, an Tisch und Bank und an die Fensterkreuz is lebendigs Holz und hat Würzen in meiner Seel’. Mein Häusl bin ich! Und mein Häusl is alles, was ich hab’! Sonst hab’ ich nix! Und wenn sich der Mensch auf ’n Schragen legt und macht seine Augen zu … ein bißl was muß doch bleiben von ihm! Ein bißl was muß er doch übrig lassen für seine Kinder … sonst is ja sein Leben für gar nix g’wesen! Na! Na, Herr Purtscheller! Ich kann net fort! Noch allweil glaub’ ich net d’ran … aber wenn’s schon so sein muß, daß der Berg mein Häusl schluckt … in Gottes Namen, so muß ich mit ’nunter. Soll er mich halt mitschlucken! Ueberleben thät ich’s eh net! Mein Häusl und ich, wir zwei halten z’samm’!“

Ein Knirschen quoll aus der Erde, und neben den beiden öffnete sich eine braune Spalte, während der Rasen unter ihren Füßen sich senkte und in langsames Gleiten geriet.

„Da! Er lauft schon wieder!“ sagte der Simmerauer ruhig und wischte sich mit den Fäusten die Thränen von den Backen, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Purtscheller war bleich geworden und hatte im ersten Schreck einen langen Sprung gemacht – wie eine Katze, der man kaltes Wasser über den Pelz gegossen; doch während er umherstarrte und nach einem sicheren Flecklein suchte, käm die laufende Erde schon wieder in Stillstand.

„Ich dank’ schön!“ stammelte er. „Da is ein unguts Bleiben!“

„Sind S’ erschrocken, gelt? Ja, im Anfang is mir’s auch so ’gangen, aber jetzt bin ich schon g’wöhnt dran!“ Michel hob den Kopf und lauschte – von einem nahen Gehänge, das hinter verwüsteten Haselnußstauden verborgen lag, klang der dumpfe Hall schwerer Schläge. „Hören S’ ihn, wie er drauf los arbeit’! Das is mein Bub’!“

„Is denn der Mathes daheim?“

„Ja! Den hat mir der liebe Herrgott g’schickt zur Hilf! Gestern haben s’ ihn auslassen von die Manöver; am Abend is er dag’wesen! Und ich sag’ Ihnen: ’s blaue Röckl, ja, aber d’ Uniformhosen hat er nimmer ’runter bracht! Gleich hat er ’s Arbeiten ang’fangt, und die ganze Nacht durch hat er g’schafft … und ’s Madl hat ihm g’holfen, ja!“ Ein Schimmer müder Freude huschte über das verhärmte Gesicht des Alten. „Mein Vronerl! Ja! An der is ein richtigs Mannsbild verloren ’gangen! Die ander’ … freilich die ander’ … Gott gieb ihr die ewige Ruh’ … die hat mir viel Sorgen g’macht!“ Er wischte mit dem Arm über die Stirne, wie einer, der sich den Schweiß abtrocknet, und nickte in schmerzlichem Sinnen vor sich hin.

Drüben über dem Thal hatte die steigende Sonne nun auch den Weg in die schattigen Felswände gefunden, und einzelne Zacken und Schrofen tauchten gleich funkelnden Erzgebilden aus dem bläulichen Dunkel hervor. Immer lustiger flogen die silbernen Fäden, frischer zog der Wind aus der Tiefe empor über die zerrissenen Wiesengehänge, man hörte das dumpfe Rauschen des Wassers, das in der Thalsohle mit wildem Ungestüm aus dem Innern des unterhöhlten Berges hervorströmte, und immer lauter klang vom Häuschen des Simmerauer das Dröhnen der schweren Schläge, untermischt mit dem verschwommenen Klang erregter Stimmen.

Da fuhr der Alte aus seinen Gedanken auf. „Na! Na! Bin ich aber einer! Da steh’ ich und plausch’ und flenn’ ein Stückl ums ander’ … und meine armen Leut’daheim, die müssen schaffen, daß ihnen die heißen Tropfen über d’ Nasen kugeln!“ Hastig warf er noch einen suchenden Blick über das Gehäng empor – doch die Herren der Kommission waren schon längst über den Wiesengrat hinweggestiegen. „Ich bin einer! Na! Na! Ich bin aber

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0392.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)