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gesprochen. Es soll sich da um eine alte Jugendneigung handeln. Freilich, als Ehrwald vor drei Jahren Europa verließ, dachte er nicht an solche Dinge. Der Tod Sonnecks hatte ihn in einer Weise getroffen, die ich bei dem sonst so eisernen Manne gar nicht für möglich gehalten hätte.“

„Es war aber auch ein tragisches Geschick,“ sagte Doktor Walter ernst. „Sonneck hatte so viele Gefahren überstanden und noch im letzten Jahre eine schwere Krankheit glücklich überwunden, und nun erlag er einem bloßen Zufall, einer Unvorsichtigkeit, und die eigene Waffe gab ihm den Tod.“

„Ja, es war ein entsetzlicher Vorfall!“ stimmte Bertram bei, „und Ehrwalds Schmerz über den jähen Verlust war wohl zu begreifen. Aber er war förmlich zerschmettert dadurch, und sobald die Bestattung vorüber war, brach er auf, als jagte ihn etwas davon. Er war keinen Tag länger zu halten.“

„Die deutsche Kolonie plant einen großen Empfang bei seiner Rückkehr,“ erklärte Walter, „und wir haben auch alle Ursache, ihn zu feiern. Was hat der Mann wieder geleistet und errungen auf diesem Zuge! Welche Gebiete hat er uns erschlossen! Wenn Lady Marwood wirklich einen Entschluß faßt, wie Sie ihn andeuten, so wird das niemand überraschen. Der Name Reinhart Ehrwald hat jetzt einen Klang, der ihren Rang und Namen aufwiegt.“

Die kleine Gesellschaft begann jetzt ausführlich diese Frage zu erörtern, sie ahnte nicht, daß die Ueberraschung, die ihr allerdings in den nächsten Tagen bevorstand, eine ganz andere und ganz ungeahnte sein werde. –

Das Osmarsche Haus, das nach dem Tode des Konsuls jahrelang verschlossen und verlassen gestanden, hatte seine Pforten wieder geöffnet. Lady Marwood brachte jetzt stets den Winter in Kairo zu, während sie im Sommer regelmäßig einige Monate mit ihrem Sohne in England, auf den Marwoodschen Gütern verlebte. In die lange verödeten Räume war das einstige glanzvolle Leben wieder eingezogen und die Herrin dieses Hauses war in der That der strahlende Mittelpunkt der Gesellschaft, welche jetzt Lady Marwood nicht weniger feierte als einst Zenaide von Osmar. Jene Gerüchte und Klatschereien, die sich früher an ihren Ruf gewagt, hörten auf mit den peinlichen Verhältnissen, die sie hervorriefen. Die Gemahlin des englischen Lords, die getrennt von ihrem Gatten allein und unstet in der Welt umherreiste, hatte der Verleumdung nur zu sehr Stoff geboten, sich mit ihr zu beschäftigen. Die Witwe und Mutter, die ganz in der Zärtlichkeit für ihr Kind aufging, hatte das nicht zu befürchten. Freilich war auch ihre Art zu leben eine andere geworden.

Auf der Gartenterrasse des Osmarschen Hauses befanden sich Lady Marwood und Elsa von Sonneck. Zenaide hatte sich nur wenig verändert, sie war noch dieselbe blendende Schönheit wie vor drei Jahren in Kronsberg, aber das Fieberhafte, krankhaft Ueberreizte, das damals in ihrem ganzen Wesen lag, war verschwunden. Statt dessen umgab sie wieder etwas von jenem träumerischen, halb schwermütigen Reiz, der einst das junge Mädchen umschwebte.

Sie saß in einem Morgenkleide von kostbarem orientalischen Stoff im Schaukelstuhl, den Kopf nachlässig zurückgelehnt; wer diesen herrlichen Kopf mit dem bläulich schwarzen Haar und den tiefdunklen, feuchten Augen sah, der begriff es, daß Zenaide Marwood nicht nur ihres Reichtums wegen von allen Seiten noch umworben wurde, obgleich die Jugend bereits hinter ihr lag.

In der jungen Frau dagegen, die neben ihr stand und in den Garten hinausblickte, hätte niemand eine Frau oder gar eine Witwe vermutet, denn ihre ganze Erscheinung hatte noch etwas ungemein Zartes und Mädchenhaftes. Elsa war freilich kaum einundzwanzig Jahre alt, und so sieghaft sich ihre Schönheit auch entfaltet hatte, es lag darin noch immer etwas von der tauigen Frische einer eben erst erblühten Knospe.

Jetzt, wo der jahrelange Druck einer tyrannischen Erziehung geschwunden war, erinnerte wieder so vieles an das kleine, sonnige Wesen, das einst hier auf dieser Terrasse gespielt hatte. Das war wieder jener berückende Liebreiz, mit dem sich das schöne blonde Kind in alle Herzen stahl, und zugleich jener Zug leidenschaftlichen Trotzes, der sich selbst jetzt noch in leichter Andeutung verriet. Vielleicht war es gerade diese leise Beimischung von Herbheit, die der jungen Frau diesen eigenartigen Zauber gab, sie war und blieb nun einmal die Tochter Bernrieds.

Die beiden Damen sprachen von dem, was jetzt so ziemlich alle Kreise in Kairo beschäftigte, von der bevorstehenden Rückkehr Reinhart Ehrwalds, und Lady Marwood erörterte das im Tone ruhiger, freundschaftlicher Teilnahme.

„Also auch Hofrat Bertram und seine Frau wissen noch nichts?“ fragte sie. „Ihnen hättest Du doch bei der Abreise die Wahrheit eingestehen können.“

„Ich bin mit Reinhart übereingekommen, daß unsere Verlobung bis zu seiner Ankunft Geheimnis bleibt,“ entgegnete Elsa. „Dir freilich konnte ich es nicht ableugnen, Du hattest es ja längst erraten.“

„Erraten – jawohl!“ Zenaide mochte an die Stunde denken, wo sie von Ehrwalds eigenen Lippen das Geständnis gehört hatte, aber sie fuhr ruhig fort: „Seit Du Witwe bist, wußte ich, daß eure Verbindung nur eine Frage der Zeit war. Ihr wollt also hier in Kairo eure Vermählung feiern?“

„Ja, sobald als möglich, und dann kehren wir vorläufig nach Europa zurück. Reinhart will ja mit diesem Zuge seine Entdeckungsfahrten abschließen.“

„Um sich nicht immer wieder von Dir trennen zu müssen,“ ergänzte Zenaide. „Ich begreife das.“

„Ich glaube auch, daß ihn das hauptsächlich bestimmt hat,“ sagte die junge Frau, „aber es wurden schon vor drei Jahren Verhandlungen von anderer Seite angeknüpft, die sich damals zerschlugen. Jetzt hat man ihm in Berlin neue und glänzende Anträge gemacht, die er vermutlich annehmen wird.“

„Das war vorauszusehen. Nach den großartigen Erfolgen, die er jetzt wieder errungen hat, wird man alles mögliche aufbieten, um ihn zu gewinnen und sich seine Kraft zu sichern. Wann erwartest Du ihn?“

„Der Nildampfer soll morgen eintreffen, Reinhart hat mich gebeten, ihn in Giseh zu erwarten, damit wir wenigstens die erste Zeit des Wiedersehens für uns allein haben.“

„Er hat ganz recht, hier in Kairo würde man euch keine ruhige Stunde lassen. Sobald er da ist, drängt sich alles an ihn, um ihn zu feiern und zu beglückwünschen. Ihr werdet noch später genug davon aushalten müssen – und Ihr müßt euch ja doch eigentlich erst kennenlernen.“

„Kennenlernen?“ Die junge Frau lächelte. „Wir lieben uns ja.“

„Meinst Du, daß das genug ist für die ganze Zukunft?“

„Ich denke doch!“

„Du hast Reinhart drei Jahre lang nicht gesehen, nur brieflich mit ihm verkehrt, und denkst es Dir so leicht, an seiner Seite zu leben? Ich fürchte, Du wirst noch bisweilen mit ihm kämpfen müssen, trotz seiner Leidenschaft für Dich. Lerne erst diesen Mann ergründen, der mit seiner stürmischen gewaltsamen Natur alles in seinen Bannkreis reißen will, der in seinem Wesen so manche dunkle Tiefe hat, die Du noch nicht kennst. Hast Du keine Furcht davor?“

Elsa hob den blonden Kopf mit einer beinahe trotzigen Bewegung.

„Nein, vor dem Manne, den ich liebe, habe ich keine Furcht. Es mag ja sein, daß mir noch manches in ihm dunkel und fremd ist, aber er kennt mein innerstes Wesen vielleicht auch noch nicht, er muß das auch erst kennenlernen.“

„Das klingt sehr stolz,“ sagte Zenaide mit leisem Spott. „Nimm Dich in acht, Elsa, und fordere nicht zu viel von ihm! Da draußen auf seinen Zügen ist er jahrelang der unumschränkte Gebieter gewesen, der Herr über Leben und Tod, und die Herrschsucht liegt überhaupt in seinem Charakter. Glaubst Du, daß er da ein fügsamer Gatte sein wird?“

„Nein, und das fordere ich auch nicht, aber was ich ihm gebe, das muß er mir zurückgeben in demselben Maße. Wenn er bei anderen der Herr und Gebieter ist, bei seinem Weibe muß er um Liebe werben und sie sich erhalten – wer weiß, ob ich ihm das so leicht mache!“

Die letzten Worte klangen wie Scherz, und doch, als die junge Frau so dastand und die blauen Augen aufsprühten, lag in ihrer Haltung wieder jene herbe Sprödigkeit, die bisweilen durch all die sonnige Liebenswürdigkeit ihres Wesens brach. Zenaide hatte sich emporgerichtet und streifte sie mit einem seltsam düsteren Blick. Sie, die gefeierte Schönheit, die reiche Erbin hatte nur hingebende Liebe gekannt für den Reinhart, der damals doch noch ein unbekannter Fremdling war, und dies junge Wesen stellte sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0402.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)