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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

schaute prüfend nach allen Seiten, bis seine Augen an Vroni haften blieben. Je länger er sie betrachtete, desto wärmer schien sein Wohlgefallen an ihrer schmucken Gestalt zu werden. Er spitzte die Lippen, wiegte den Kopf zwischen den Schultern und sagte: „Sapperlott, Michel! Dein Madl! … Alle Achtung!“

Vroni überhörte das Lob, und der Simmerauer nickte hinter dem Sägebock: „Ja! Gelt?“

„Und Ihr lieb’s Frauerl, Herr Purtscheller?“ fragte Mutter Katherl, die den Milchkrug in den Hausflur gestellt hatte. „Wie geht’s denn?“

„Dank’ der Nachfrag’! Den Sommer über hat man z’frieden sein können. Sie hat sich ordentlich wieder ’rausgemacht. Aber so viel still geht s’ allweil umeinander. Da muß ich mich oft drüber ärgern, daß ich’s gar net sagen kann! Ich hab’ halt gern lustige Leut’ um mich. Freilich muß ich mir nachher wieder denken: sie is halt net völlig g’sund. Der Doktor sagt wohl, es fehlt ihr nix. Ein bißl nervios halt, und ein schattig’s G’müt, meint er. Zum Lachen! Schatten! Im Purtschellerhof! Der Doktor is ein Esel und versteht nix! … Ich fürcht’ allweil, sie hat’s ein bißl auf der Brust.“

Mathes taumelte – beim Rammen eines Pfahles hatte er mit der schweren Holzkeule daneben geschlagen und die Wucht des Schwunges riß ihn fast zu Boden.

„Aber! Herr Purtscheller!“ fiel Michel ein und ließ für ein paar Augenblicke die Säge wieder rasten. „Wie können S’ denn an so was denken! Schauen S’, die Frau Karlin’ hat schon als jung’s Madl zu dieselbigen g’hört, die ’s Leben ein bißl ernster fassen …“

„Für was denn?“ murrte Purtscheller. „Mir g’fallt halt einmal ’s Lachen besser! Ich möcht’ eine lustige Frau haben! … Und mir scheint, sie hätt’ allen Grund zum Lustigsein!“

„No ja! Ja! Aber die Menschen sind halt net alle gleich! Den ein’ macht’s Glück lebendig und den andern still! Und gar ein’ groß’ Glück! Denn das muß ich selber sagen: es is ein ganz ein außerg’wöhnlich’s Glück g’wesen, das die Karlin’ g’macht hat.“

Diese Anerkennung schien Purtschellers üble Laune zu besänftigen. „Ja, Michel, da hast’ recht! Ein blutarm’s Madl ohne Familli … und über Nacht die Frau im Purtschellerhof! So was kommt net oft vor! Da hätt’ sich mancher andere b’sonnen an meiner Stell’! Aber sie hat mir halt g’fallen! Ich bin halt verliebt g’wesen! Und wenn ich einmal will, so will ich! Und wenn ich einmal will, so g’schieht’s auch!“

Dieses große Wort machte den Simmerauer schweigsam, und Mutter Katherl betrachtete den willensstarken Purtscheller mit scheuen Augen und dachte sich im stillen: wenn er nur „wollen“ möchte, daß der laufende Berg wieder zum Stehen käm’.

Während dieses Schweigens flog ein Holzsplitter surrend bis zur Hausbank Mathes hatte die eichene Keule mit solcher Wucht auf den Pfahl geschmettert, daß das Ende der dicken Stange zu einem fransigen Besen auseinandergefahren war.

Mutter Katherl löste den Splitter von Purtschellers Sammetjacke und fragte: „Aber ’s Büberl is doch wohlauf?“

„Da könnt’s auch besser ausschauen! Das Bürscherl is ein bißl gar z’ fein geraten! Mein’ Buben … den hab’ ich mir anders ’denkt! Aber freilich, d’ Mutter is schon allweil so ein schwach’s Krisperl g’wesen!“

Da ließ Mathes den Schlägel sinken, wandte das Gesicht über die Schulter und musterte Purtscheller mit funkelndem Blick vom Kopf bis zu den Füßen. Es schien, als läge ihm ein Wort auf den Lippen, und kein freundliches – aber Vroni trat dazwischen. Sie hatte scheinbar des ganzen Gesprächs nicht geachtet, sich nur um ihre Arbeit gekümmert; dennoch war ihr die Bewegung des Bruders nicht entgangen, und da unterbrach sie die Arbeit, kam hastig auf ihn zugeschritten und lehnte ihm den noch unfertigen Pfahl in den Arm; sein erregtes Gesicht mit mahnendem Blick überhuschend, sagte sie leis: „Thu’ lieber schaffen, Mathes!“

Er nickte, faßte mit beiden Händen den Pfahl und stieß ihn in die Erde. Dann hob er den Schlägel wieder, und Vroni watete zum Hackstock zurück.

Purtscheller saß mit gekreuzten Armen an die sonnige Mauer gelehnt, hielt die Beine gestreckt und betrachtete die Arbeit, die er um sich her geleistet sah. Ueberall ragten die Stümpfe eingerammter Pfähle aus dem Schlamme hervor, und zur Hälfte waren sie schon durch quer aufgesetzte Balken zu einem festen Rost miteinander verbunden.

„Ein guter Einfall!“ sagte Purtscheller mit der Miene eines Sachverständigen. „Wer hat Dir denn das g’raten, Michel?“

„Mein, wer sonst als mein’ Sorg und Kümmernis!“ erwiderte der Alte. „So ein Fachwerk, das den ganzen Platz ums Haus ’rum einfaßt, hab’ ich mir ’denkt, könnt’ doch den Boden ein bißl z’sammenhalten, daß er net überall auseinanderschlupft wie auf die Wiesen droben!“ Er atmete schwer und salbte mit einer Speckschwarte die heiß gewordene Säge. „Vor acht Tag’ schon hab’ ich’s ang’fangt! Aber wär’ mein Mathes net heim ’kommen … wer weiß, ob ich’s fertig ’bracht hätt’! Der Bub’ hat in einer Nacht und heut’ in der Früh mehr vom Fleck ’bracht als ich in der ganzen Woch’.“

„Ja ja, das glaub’ ich!“ Und mit prüfendem Blick sah Purtscheller dem Mathes eine Weile bei der Arbeit zu. „Der schafft ja für drei! So hab’ ich ein’ Menschen meiner Lebtag noch net arbeiten sehen! Herrgott! So ein’ könnt’ ich brauchen im Purtschellerhof! Der möcht’ mir mein’ Sach’ schön sauber in der Ordnung halten, derweil ich meine anderen Verpflichtungen nachgeh’n muß! Die Haderlumpen, meine Knecht’, betrügen mich ja hint’ und vorn! Aber auf ein’, wie der Mathes is, auf so ein könnt’ ich mich verlassen! So ein’ möcht’ ich haben! Meiner Seel’!“ Und da beim Purtscheller, wie er selbst gesagt hatte, jeder Wunsch und Wille auch schon die That war, fragte er gleich: „Was meinst, Mathes? Ich nimm Dich auf der Stell’! Hätt’st net Lust?“

„Mich braucht der Vater!“ antwortete der Bursche ruhig, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

Michel, der bei Purtschellers Frage erschrocken war, atmete erleichtert auf.

„No ja, der Vater! Jetzt!“ Purtscheller kam in Eifer. „Aber der unsinnige Berg da wird doch wieder einmal ein’ Fried’ geben! Und wenn der Winter einfallt, is eh die ärgste G’fahr überstanden. Und da bist wieder frei … .“

„Für den Fall weiß ich mir ein’ Platz …. wie die letzten Jahr’ her …. weit von daheim!“

„Ein’ Platz! Ja! Aber kein’ solchen wie im Purtschellerhof! Dreihundert Mark im Jahr, alles frei, zweimal im Jahr ein neu’s G’wand, und ein Weihnächten, wie’s im ganzen Land kein Graf net giebt! Was meinst?“

Der Simmerauer wurde wieder unruhig, und auch Vroni blickte auf den Bruder, als wäre sie in Sorge, daß dieses Angebot ihn bereden könnte.

Da hallte ein klingender Jauchzer über die Wiesen herunter und undeutlich verstand man, daß dort oben einer mit gezogenen Lauten den Namen Purtscheller schrie.

Alle blickten hinauf, und über der Höhe eines Wiesengrates gewahrten sie einen Menschen, dessen Figürchen sich schwarz vom leuchtenden Himmel abhob. Er fuchtelte mit beiden Armen und schrie wie ein Verrückter.

„Was kann denn das für einer sein?“ fragte Purtscheller und holte das Fernrohr aus dem Rucksack hervor.

Aber Vroni hatte den dort oben schon erkannt. „Der Daxen-Schorschl!“ sagte sie und nahm die Arbeit wieder auf. Mit diesem Namen schien die Sache, welche die anderen noch in Erregung hielt, für sie bereits erledigt zu sein. Doch ihre roten Lippen waren unwillig aufgeworfen, eine Furche stand zwischen ihren Brauen und gar finster blickten ihre braunen Augen. Freilich, wenn sie noch immer an den dort oben dachte, dann war ihr diese halb grollende, halb verächtliche Miene nicht zu verdenken.

Selbst die Freunde des Daxen-Schorschl wußten nicht sonderlich viel Rühmenswertes von ihm zu erzählen – höchstens, daß er eine gute Haut und ein anhänglicher Kerl wäre, dazu ein stramm gewachsener Bursch mit blitzenden Schwarzaugen im Gesicht, aus dem der gezwirbelte Schnurrbart hervorstach gleich einem Paar zu Schutz und Trutz gefällter Lanzenspitzen. Sonst aber schien es beim Daxen-Schorschl mit guten Eigenschaften gar schlimm bestellt. Sein Kardinalfehler, aus welchem all die anderen bösen Dinge hervorwuchsen wie die Schwämme aus einem moderigen Flecklein Erde, war ein grenzenloser Leichtsinn, der dem Faß schon mehr als einmal den Boden ausgeschlagen hatte. Wenn ihn der moralische Katzenjammer anfiel – was übrigens sehr selten geschah – pflegte er mit einem Seufzer zu sagen: „Ich hab’ halt Vater und Mutter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0410.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)