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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

z’früh verloren, hätt’ halt noch ein paar Jahr’ lang zu jeder Morgensuppen eine g’sunde Tracht Prügel ’braucht …. vielleicht hätt’s was g’holfen!“ Vielleicht – er selbst war nicht sicher in diesem Glauben.

Aber er hatte doch eigentlich die Prügeljahre schon längst hinter sich, als seine Eltern starben und ihm in bester Lage des Dorfes ein hübsches Haus und die einträgliche Schmiede vererbten. Da war er ein neunzehnjähriger Bursch gewesen, gerade reif für den blauen Rock. Während der Soldatenjahre hielt ihm ein alter Vetter das Geschäft in leidlicher Ordnung, und als Schorschl mit einem großen Schnurrbart aus der Stadt heimkehrte, hatte es ein paar Wochen lang den Anschein, als ob in der Schmiede ein neues, lustiges Arbeitsleben begänne. Nur eins gab den Leuten gleich zu reden: daß Schorschl die beiden Kühe verkaufte und den Stall leer stehen ließ. Seine lachende Verantwortung lautete: „Erstens muß ich meine Schulden in der Stadt drin zahlen … und zweitens, was brauch’ denn ich so eine feine Milli z’trinken? Ich bin mit Bier und Tiroler z’frieden!“

Doch dieses „Schlauderwörtl“ verziehen ihm die Leute wieder, als sie ihn in seiner Schmiede so wuchtig drauflos hämmern hörten, daß es übers ganze Dorf hinausklang, hell wie Glockenschlag. Nur hatte diese erste Arbeitswut nicht lange Dauer. „In der Stadt kriegt man so feine Händ’,“ meinte Schorschl, „da wird einem ’s Arbeiten hart!“ Bald machte er untertags ein „Plauscherl“ beim Nachbar, bald wieder ein „Sprüngerl“ ins Wirtshaus, dann wieder mußte er sich auf den Bergen „auslaufen“. Das geschah immer häufiger, immer seltener traf man den Schorschl in der Schmiede, und schließlich überließ er das ganze Geschäft dem Gesellen und ging seinen wechselnden Launen nach. Er war kein Faulpelz, im Gegenteil, bei Tag und Nacht hatte er alle Hände voll zu thun. Er half beim Flößen und Holzziehen, ohne sich bezahlen zu lassen. Wenn einer zu ihm sagte: „Geh, Schorschl, sei so gut und thu’ das g’schwind!“ – so that er es ihm. In kurzer Zeit bildete er sich zu einem Virtuosen auf der C-Trompete aus und spielte „per Rekrazion“ bei allen Hochzeiten und Tanzmusiken mit. Seine Hauptleidenschaft war das Fischen und Krebsen – da war er unerreichter Meister – und den reichen Fang verschenkte er an die Kinder, die in Scharen herbeiliefen, wenn sie den Daxen-Schorschl am Wasser sahen. Das ging zwei Jahre so fort – dann war die Schmiede auf der Gant.

Die Verwandten sprangen ein und halfen; ein paar Monate gab sich Schorschl alle Mühe, seinen Leichtsinn unterzukriegen, und dann ging das alte Schlenderleben wieder an. „Lüftig wie der Daxen-Schorschl!“ das war ein Sprichwort im Dorf geworden. Die paar geduldigen Leute, die ihm trotz allem noch immer die Stange hielten, führten zu seinem Lobe an: der Schorschl bekneipt sich zwar manchmal ganz gehörig, aber er ist doch kein Trinker und läßt die Hände von den Karten und die Mädeln haben Ruh’ vor ihm! Sonst aber konnte man ihm alles nachsagen, was am Leichtsinn hängt. Und zu den brotlosen Künsten, die er all die Jahre her getrieben, hatte sich in der letzen Zeit noch eine neue gesellt. In seinen Adern rollte kein Jägerblut, er hatte kein Verlangen nach der Büchse, aber er liebte es, bei der Jagd zu „gustieren“. Einen besseren Treiber und Steiger als der Schorschl einer war, gab es in den ganzen Bergen nicht. Und sein höchstes Vergnügen war es, „für die Jaager ein gut’s Stückl ausmachen“ – das heißt, den Standort eines selten starken Wildes auszuforschen. Während drunten im Dorf von Haus zu Haus erzählt wurde, daß die Daxenschmiede schon wieder ins Schwimmen käme und vor der zweiten Gant stünde – rannte Schorschl lachend und seelenvergnügt bei Tag und Nacht auf den höchsten Bergen umher, um für den Purtscheller und seine Jagdgehilfen einen Kronenhirsch oder einen alten Gemsbock auszuspüren.

Und als er jetzt dort oben stand, das Hütlein schwang und jodelte und schrie, kam Purtscheller gleich zu der Vermutung: „G’wiß hat er mir wieder was Gut’s ausg’macht und weiß, daß ich da bin in der Simmerau. Augen hat er ja wie ein Luchs, der Kerl! Is schon möglich, daß er mich g’sehen hat über d’ Wiesen hergehen, derweil er droben g’standen is im G’wänd!“ Purtscheller höhlte die Hände um den Mund und rief gegen die Höhe: „Huuup!“ Dann lachte er. „Hat mich schon g’hört!“

Die Gestalt des Daxen-Schorschl glitt über den steilen Wiesengrat herunter, so hurtig, wie eine ins Rollen geratene braune Scholle. Er wuchs mit jeder Sekunde und man konnte schon gewahren, wie er bei diesem sinnlosen Lauf mit weiten Griffen den Bergstock einsetzte. Sprünge machte er, daß Mutter Katherl ein um das andere Mal erschrocken stotterte: „Jesses, jetzt wirft’s ihn!“

„Thu’ Dich net sorgen, Mutterl,“ brummte Vroni. „Unkraut verdirbt net!“ Dabei bearbeitete sie den Pfahl, den sie gerade auf den Hackstock hielt, so unmutig mit dem blitzenden Beil, als trüge das arme Holz die Schuld, daß dieses Unkraut gewachsen. Ein paarmal schlug sie aber doch daneben – wenn sie so ein ganz klein wenig von der Seite hinauf schielte gegen die Wiesen.

Schorschl war schon so nahe gekommen, daß man deutlich den plumpsenden Aufsprung seiner Füße hören konnte.

„Um Gotteswillen!“ stammelte Michel in seiner ruhelosen Sorge. „Der macht mir am End’ mit seiner Springerei den Berg noch roglig!“

Und Mutter Katherl schrie im gleichen Augenblick: „Mar’ und Josef! Jetzt hat’s ihn g’worfen!“

Schorschl war in einer grauen Staubwolke verschwunden – ein Stück Wiese mußte unter seinen Füßen niedergebrochen sein.

„Hab’ ich’s net g’sagt?“ jammerte der Simmerauer, ließ die Säge fahren und sprang auf das Haus zu, als hätten ihn die Mauern schon zu Hilfe gerufen. Auch Mathes warf erschrocken den Schlägel beiseite, und auf dem Hackstock verstummten plötzlich die Beilhiebe. Nur Purtscheller lachte, daß ihm der Atem fast verging.

Hatte der Schutt den Daxen-Schorschl begraben? Aber nein! Gleich einer wirbelnden Scheibe flog ein Hut aus dem sinkenden Staub heraus, man sah den Bergstock ein paar Räder schlagen und hinter diesen beiden Vorboten kam Schorschl nachgerollt und kollerte unter fruchtlosen Versuchen, auf dem glatten Grasboden einen Halt zu finden, mit wachsender Eile über den steilen Hang herunter.

Da verging auch dem Purtscheller das Lachen – denn die Sache mußte übel ausfallen. Doch während er und die anderen sich noch im ersten Schreck besannen, war Vroni schon über den Saum der vom Erdrutsch gebildeten Böschung emporgerannt und breitete die Arme gerade in dem Augenblick, in dem dieser rollende Klumpen Mensch in das Gezweig der Aepfelbäume niederzustürzen drohte. Sie wankte unter der Wucht, mit welcher Schorschl gegen ihren Körper schlug – doch sie hielt sich auf den Füßen.

Ein langer Silberfaden kam glitzernd durch die Luft geschwommen, haftete an der Schulter des Mädchens und legte sich gaukelnd mit einer zarten Schlinge um den Kopf des Burschen.

Seine Arme hatten Vronis Hüften umklammert, und mit dem vom Sturz verwüsteten Gesicht zu ihr aufblickend, stammelte er, halb noch ohne Atem: „Sakra! Sakra, Madl! An Dir kann man sich aber anhalten!“

Ohne ein Wort zu finden, das Gesicht von Zornröte übergossen, riß sich Vroni von ihm los – der silberne Faden dehnte und dehnte sich, als wollte er die beiden nicht mehr aus seiner schimmernden Schlinge lassen.

Langsam hob sich Schorschl auf die Füße. „Sakra! Sakra!“ Und mit großen Augen blickte er dem Mädchen nach. Er hatte sie doch in den vergangenen Jahren zu hundert Malen gesehen, und dennoch machte er Augen, als sähe er Vroni zum erstenmal. Aber da verging ihm das Schauen – er mußte die Lider schließen, denn vom Sande begannen ihm die Augen zu brennen. So stand er eine Weile und zupfte die Erdkrumen aus seinen Wimpern.

Vroni schwang schon wieder das Beil vor dem Hackstock, und auch Mathes griff nach dem Schlägel, während der Simmerauer scheltend zu seiner Säge zurückkehrte. Mutter Katherl dankte mit zitterndem Stimmlein allen Heiligen des Himmels, daß sie den Hals und die Glieder des Daxen-Schorschl so gnädig behütet hatten und Purtscheller lachte schon wieder, daß ihm das Wasser in die Augen sprang.

Beim Klang dieses Gelächters unterbrach Schorschl sein Zupfen und Reiben. Er lachte mit, und da ihm der Umweg um den Saum der Böschung zu weit war, sprang er über den Verhau herunter, daß vom durchweichten Grund der Schlamm über ihn emporspritzte. „Herrgott! Da giebt’s aber Soßß!“ Sonst hatte er kein Wort, keinen Blick und keinen Gedanken für die Zerstörung, welche rings um das kleine Haus her ihre schleichenden Wege ging. Vor allem mußte er die Nachricht los werden, die er brachte: „Herr Purtscheller! Den starken Hirsch hab’ ich ausg’macht!“ Nun erst verschnaufte er sich.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0411.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)