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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Kaiserkrönung in Moskau.

Von Paul Lindenberg.

Ganz Rußland hallte in der letzten Woche des Mai wieder von dem festfreudigen Klang der Glocken, die in allen Städten, in allen Flecken und Dörfern des gewaltigen Reiches drei Tage hindurch von früh bis spät geläutet wurden, den zahllosen Millionen der Bevölkerung bis zu den unwirtlichsten, kleinsten und entlegensten Ortschaften an der äußersten Grenze Sibiriens verkündend, daß in der alten, ehrwürdigen Zarenstadt an der Moskwa die heilige Krönung an dem Beherrscher des Landes, dem jungen Kaiser Nikolaus, vollzogen worden war. Und endloser Jubel überall, rauschende Feste voll Glanz und Pracht wie großartige Wohlthätigkeitsausübungen, die Kirchen überfüllt von Gläubigen und alle Fenster der Häuser von Kerzenschein erleuchtet – eine tiefe und innerliche Bewegung ging durch das gesamte Volk.

Ganz Moskau war schon vom frühen Morgen an unterwegs, als am 21. Mai Kanonendonner und Glockenklang verkündeten, daß der Tag des Einzuges des Kaisers gekommen sei; aufs herrlichste war die endlos lange Feststraße vom Petrowskypalais, woselbst das kaiserliche Paar die letzten Tage vorher verbracht hatte, bis zum Kremlpalast geschmückt, und Hunderttausende und Aberhunderttausende säumten sie ein, geduldig viele Stunden in „drangvoll fürchterlicher Enge“ ausharrend, bis immer brausender heranschallendes Hurrarufen und tosendes Jubeln das Nahen des Zuges verkündeten. Derselbe war von einem Prunk, einer Feierlichkeit, einer so blendenden Eigenart, wie er noch nie durch Moskau gezogen und wie er durchaus geeignet war, eine Vorstellung von der militärischen Bedeutung des Reiches, wie seiner von den verschiedensten Völkerschaften bewohnten fernen und fernsten Landesteile zu geben, denn neben den Abordnungen der prächtigsten Garderegimenter und den in goldstarrende Gewänder gekleideten Adelsdeputationen ritten in dem Zuge auch die Abgesandten der Rußland unterthänigen asiatischen Länder, malerische, kriegerische Erscheinungen von seltsamem Reiz in fremdartigen Trachten und mit kostbaren, absonderlich geformten Waffen, die noch aus der Zeit der Tatarenkämpfe zu stammen schienen. Aber die Hauptaufmerksamkeit war doch auf den Kaiser und die beiden Kaiserinnen gelenkt, welche den Mittelpunkt des weit über eine Stunde zum Vorbeimarsch gebrauchenden Zuges bildeten und bei deren Erscheinen das Zujauchzen fast von elementarer Wucht war. Der Kaiser ritt ganz allein, auf einem stolzen, schlank gebauten Araberschimmel, er trug die dunkelgrüne Uniform des Ssemjonowschen Leibgarderegiments mit der schwarzen Fellmütze, über seine Brust zog sich das lichtblaue Band des Andreasordens.

Hinter dem Kaiser ritten zunächst die russischen Großfürsten, dann folgten in dichter Schar die fremden Fürstlichkeiten und Prinzen der verschiedensten Nationalität, hundert und mehr an der Zahl, denen sich die Adjutanten und sonstigen militärischen Begleiter in dem farbenfrohen Durcheinander ihrer Uniformen und Rangabzeichen anschlossen. Hierauf nahten die Wagen der beiden Kaiserinnen, derjenige der Kaiserin-Mutter Maria Feodorowna und der der regierenden Kaiserin Alexandra Feodorowna; die Karossen stammen aus der Zeit Ludwigs XV., und ihre goldüberladenen Außenteile waren nicht nur mit kunstreichen Zieraten in Gold und Silber, sondern auch mit anmutigen Malereien von Meisterhand versehen. Acht Schimmel mit wehenden weißen Straußenfederbüschen auf den Köpfen (vgl. die Abbildung S. 428) zogen die von Marstallbeamten zu Fuß und zu Pferde, von Pagen und Leibkosaken begleiteten Kutschen; die rotsammetnen Schabracken der edlen Pferde waren mit goldenen Stickereien besät und die dunkelroten ledernen Riemenzeuge verschwanden völlig unter den silbernen Verzierungen. Die beiden Kaiserinnen hatten silberbrokatene, mit den kostbarsten Stickereien bedeckte Courroben angelegt, dazu die Kakoschnik, einen altrussischen, diademartigen Kopfputz, mit Perlen besetzt und einem lang über den Rücken wallenden weißen Schleier.

Auf den glänzenden Tag des Einzugs folgten fröhliche Festtage, die ihren Höhepunkt am 26. Mai, dem Krönungstage, erreichten. Welch ein fesselndes Bild von phantastisch farbigem Reiz bot schon allein am sonndurchleuchteten Morgen des Tages der innere Kremlhof dar, der einerseits von dem kaiserlichen Palais, anderseits von der Uspenskij-Kathedrale, in welcher die Krönung stattfinden sollte, und den dieser gegenüberliegenden Archangel- und Verkündigungskirchen begrenzt wird. Elegante Tribünen, zum überwiegenden Teil von der vornehmsten Welt Moskaus und St. Petersburgs, sowie aus allen Weltgegenden herbeigeeilten Fremden besetzt, schlossen die übrigen Teile des Hofes ab, der dicht gefüllt war mit russischen Kleinbürgern und Bauern in ihren schlichten dunkeln Gewandungen und den breiten schwarzen Mützen. Durch diese enggedrängten Massen begaben sich auf erhöhten, rotausgeschlagenen, von Truppen besetzten Gängen die höchsten Würdenträger und Offiziere, die fremden Diplomaten und Militärs in ihren ordensbesäten, blitzenden Uniformen, unter denen die sämtlicher Kulturstaaten vertreten waren, und die Abgesandten der Rußland unterthänigen asiatischen Völker, Khiwaner und Bucharer, Tataren und Kirkisen, Ostjaken und Tungusen, in ihren seidenen und sammetenen absonderlichen Prunkgewändern und mit ihren kostbaren, altererbten Waffen, zu ihren Plätzen in der Kirche oder den im Hofe errichteten Diplomatenlogen. Auf diesen Podest mündete auch die vom Kremlpalast in den Hof herab führende Rote Treppe, die ihren Namen diesmal doppelt verdiente, da ihre rötlichen, links von goldenen Löwen flankierten Stufen mit rotem Tuch bedeckt waren; von ihrer obersten Terrasse, auf welche der Ausgang des Palais mündete, bis zu ihrer untersten Stufe und von dieser bis zum Eingangsportal der Uspenskij-Kathedrale bildeten Chevaliergardisten in ihren weißen Uniformen, mit den roten, den großen metallenen Adlerstern zeigenden Suprawesten, Spalier, große, kraftvolle Gestalten, den goldenen Helm mit dem fliegenden silbernen Doppeladler auf dem Haupte, den blanken Pallasch in der Hand.

Diese Treppe hinunter wallte kurz vor der zehnten Morgenstunde feierlich der durch schmetternde Trompetenfanfaren angekündigte kaiserliche Zug, nachdem den gleichen Weg kurz vorher die Mutter des Kaisers genommen. Eröffnet ward dieser Krönungszug durch einen glänzenden Schwarm von Kammerherren und Pagen, denen ungezählte Deputierte folgten, dann mehrere Herolde in altertümlichen, goldbrokatenen Gewandungen und die Krönungsceremonienmeister mit ihren hohen, goldenen, adlergekrönten Stäben, hierauf die in goldstarrende Uniformen gekleideten Träger der kaiserlichen Insignien, die auf goldenen Kissen ruhten, die große, nur aus Diamanten zusammengesetzte, sprühende und glühende Kaiser- und die zierliche Kaiserinnenkrone, das in silberner, edelsteinverzierter Scheide ruhende Reichsschwert, der goldene von drei diamantenen Gürteln umgebene Reichsapfel, das Reichsscepter, die beiden Krönungsmäntel, das Reichssiegel und die entfaltet getragene goldige Reichsfahne mit dem eingestickten schwarzen Reichsadler. Und jetzt hinter einem Zuge Chevaliergardisten und den Oberhofmarschällen der Kaiser und die Kaiserin, von brausendem, immer wieder sich erneuerndem Jubel begrüßt, der fast die ehernen Stimmen der Glocken und die von den Musikcorps gespielten vielfältigen Weisen der Nationalhymne übertönte und anhielt, bis das Kaiserpaar in dem Kirchenportal, an welchem die höchste Geistlichkeit des Reiches seiner harrte, verschwunden war. Der Kaiser trug die dunkelgrüne Uniform des Petersburger Preobrashenskyschen Garderegiments, seine Gemahlin ein silberbrokatenes Gewand mit reichen goldenen Stickereien, über die Brust zog sich das rote Band des Katharinenordens; von der unteren Treppenstufe schritten der Kaiser, ihm nach die Kaiserin, unter einem länglichen, an den Stangen und Quasten von zweiunddreißig Generaladjutanten getragenen goldbrokatenen Baldachin, dessen Bedachung zwischen den goldenen Kronen und Adlern dichte Büschel schwarz-gelb-weißer Straußenfedern schmückten.

Nicht minder malerisch und farbenreich wie dieses Bild hier draußen war das in der Kathedrale selbst, in welcher seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts sämtliche Zaren gekrönt worden sind. Inmitten derselben war das scharlachrot bedeckte Thronpodium errichtet, zu dem zwölf von goldenen Balustraden begrenzte Stufen hinaufführten; oben sah man unter einem größeren purpursammetnen, freihängenden Baldachin die elfenbeingeschnitzten, mit blauen Sammetkissen bedeckten Thronsessel für das kaiserliche Paar, rechts von diesen unter einem kleineren Baldachin denjenigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0426.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2021)