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Blätter und Blüten.


Gerhard Rohlfs †. Unmittelbar vor dem Beginn des Drucks dieser Nummer erhalten wir die Trauerkunde von dem am 3. Juni in Rüngsdorf bei Godesberg erfolgten Ableben des hervorragenden deutschen Afrikaforschers Gerhard Rohlfs. Die „Gartenlaube“ verliert in ihm einen hochgeschätzten Mitarbeiter; denn der kühne Reisende, der so viel für die Erforschung des Hinterlandes der nordafrikanischen Staaten geleistet hat, besaß in seltenem Grade die Kunst des gemeinverständlichen anschaulichen Vortrags, und oft ist er, namentlich in früheren Jahren, unserer Einladung gefolgt, den Lesern der „Gartenlaube“ von seinen Reisen und Abenteuern zu erzählen. Wir können heute nur in aller Kürze mit dem Ausdruck unserer Trauer den Verlust verzeichnen, den die deutsche Afrikaforschung durch Rohlfs’ Tod erleidet, werden aber nicht verfehlen, diesem Nachruf eine eingehende Würdigung seiner Verdienste und seiner Persönlichkeit folgen zu lassen, welche ein Bildnis des Verstorbenen begleiten wird.

Beethovens Mondscheinsonate. (Zu dem Bilde S. 409.) Weite Spaziergänge gehörten zu Beethovens Lebensgewohnheiten. Meistens einsam, seltener in Begleitung eines Freundes durchstreifte er Wald und Flur, nachdem er mit heftigen raschen Schritten der Stadt und ihrem Straßenlärm entflohen. Einst erging er sich mit seinem Jugendfreunde und Kapellgenossen Romberg in der Umgebung seiner Vaterstadt Bonn. Es war später Abend geworden, als die beiden auf dem Heimwege an dem Hause eines Schiffsbildhauers vorüberkamen. Musik klang aus den offen stehenden Fenstern. Beethoven blieb stehen und lauschte: die Weisen waren ihm wohlbekannt … es waren seine eigenen … Ein Blick ins Innere des Zimmers zeigte den jungen Musikern ein rührendes Bild: ein schönes Mädchen saß am Klavier und meisterte mit zarten Fingern die Saiten; ihre ganze Gestalt lebte in den Tönen, nur ihre Augen blieben starr und schienen ins Leere zu schauen … das Mädchen, die Tochter des Schiffsbildhauers, war blind. Den Reiz der Außenwelt zu genießen, vermochte sie nicht, um so inniger hatte sie sich dem Zauber der Tonkunst ergeben … Nachdem die Freunde eine Weile gehorcht, machte Beethoven ein Zeichen, einzutreten, und ging voran ins Haus. Als sie die einfache von keinem andern als dem Lichte des aufgehenden Mondes erhellte Stube betraten, sahen sie, daß die schöne Spielerin ein kleines Publikum hatte, ihre alten Eltern, die mit Andacht den Offenbarungen einer wundersam beseelten Kunst lauschten. Das Mädchen unterbrach sich, als es den Tritt der Männer hörte … und ging gar vom Flügel weg, als der eine derselben, der träumerisch blickende Beethoven, sich erbot, etwas vorzutragen. Der junge Meister begann zu spielen, immer kühner und kühner wurde seine Phantasie, immer weiter verlor er sich in jene fernen Regionen, wohin erst eine späte Nachwelt einem Genie zu folgen vermag. Als er sich nach längerer Zeit erhob und ohne Abschied von seinen begeisterten Zuhörern das Zimmer verließ, um seinen heißen Kopf in der erquickenden Nachtluft zu kühlen, hatte er die Themen seiner „Mondschein-Sonate“ gefunden … So die Legende.

Unser Bild stellt die Scene in ergreifender Weise dar: im Mittelpunkte der durch seine eigenen Gedanken weltentrückte Meister – sein Kopf ist äußerst porträtähnlich nach der Kleinschen Maske aus dem Jahre 1812 gezeichnet – am untern Ende des Klaviers Romberg, der sein Haupt auf die Hand stützt; neben diesem der alte Schiffsbildhauer, tief in Zuhören versunken. Dicht am Flügel steht, wie eine Erscheinung, die Gestalt des schönen Mädchens; hinter dem Stuhle, auf dem Beethoven sitzt, die alte Mutter, die mit scheuer Bewunderung das Unerhörte miterlebt … jeder der Zuhörer in anderer Weise ergriffen, aber jeder unterthan der überwältigenden Macht der Musik! –b.–     

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Die Kaiserin Alexandra von Rußland beim Einzug in den Kreml.
Nach einer Momentaufnahme gezeichnet von R. Mahn.

Einkehr auf der Alm. (Zu dem Bilde S. 420 und 421.) Heiß war der Heraufstieg für die verwöhnten Stadtleute, so frühzeitig sie auch aus der Pension drunten im Thal aufgebrochen sind, und hübsch lange haben sie dazu gebraucht, denn fünf Stunden in einem fort steigen, das kann man doch gebildeten Menschen nicht zumuten. So gab’s bald da, bald dort ein Rastviertelstündchen und an einer besonders schönen Aussichtsecke ein Frühstück, wobei der Rucksack um die mitgenommene Flasche Wein und sämtliche Fleischbrötchen erleichtert wurde. Er trug sich dadurch nur um so angenehmer und Mittag machen wollte man ja oben auf der Alm. Aber Himmel, was ist das für eine Enttäuschung! … Eine irdene Schüssel voll Dickmilch, kein Brot, keine Butter, kein Käse, von Bier ganz zu geschweigen! Die Damen betrachten nachdenklich die schwärzlichen Blechlöffel; der Herr Künstler, der den Aufstieg zu dieser herrlichen Sennhütte auf dem Gewissen hat, kann sich ebenfalls noch nicht zum ersten Mundvoll entschließen und schäkert mit der hinter ihm stehenden Sennerin. Doch diese lacht übers ganze Gesicht, die spitzbübische Burgei, denn das macht ihr immer einen Hauptspaß, wenn sie so ein paar „Herrische“ vor ihrer einfachen Kost in Beklemmung sieht! – Wer es noch nicht weiß, daß die Bauern im Gebirg über die Stadtleute auch ihre ganz bestimmten Meinungen haben, der kann es hier auf dem hübschen Bild deutlich genug zu sehen bekommen. Bn.     

Gretchen vor der Mater dolorosa. (Zu unserer Kunstbeilage.) Wie viele Künstler seit Cornelius haben schon danach gerungen, das Weltgedicht „Faust“ in sichtbarer Form nachzuschaffen! Aber noch keinem ist es völlig gelungen, einen Faust oder ein Gretchen so im Bilde darzustellen, wie sie mit allvertrauten Zügen vor dem innern Auge stehen: wir können nur des Künstlers Eigenart in seinen Figuren betrachten. Auch das Gretchen, wie es Makart schuf: das lieblich weiche Gesichtchen von goldenem Haar umflossen, die Augen schmerzvoll zum Altarbild emporgerichtet – entspricht nicht dem Bilde, das sich unsere Phantasie geschaffen. Wir geben es als eine Erinnerung an den ehemals so Hochgefeierten, dessen schönheitsdurstige Künstlerseele sich von aller herben Lebensnot abwandte und den erschütternd tragischen Schmerz nicht anders als durch Anmut gemildert zu empfinden und wiederzugeben vermochte.


manicula Hierzu die Kunstbeilage VII: „Gretchen vor der Mater dolorosa.“ Von Hans Makart.

Inhalt: Der laufende Berg. Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer (1. Fortsetzung). S. 409. – Die Entstehung von Beethovens „Mondschein-Sonate“. Bild. S. 409. – Bornholm. In Wort und Bild geschildert von Hans Bohrdt. S. 416. Mit Abbildungen S. 412 und 413, 416, 417 und 419. – Einkehr auf der Alm. Bild. S. 420 und 421. – Der Roman einer Königin. Historische Novelle von Emil Peschkau. S. 422. – Der Einzug des Kaisers Nikolaus II. in den Kreml. Bild. S. 425. – Die Kaiserkrönung in Moskau. Von Paul Lindenberg. S. 426. Mit Abbildungen S. 425, 427 und 428. – Blätter und Blüten: Gerhard Rohls †. S. 428. – Beethovens Mondscheinsonate. S. 428. (Zu dem Bilde S. 409.) – Einkehr auf der Alm. S. 428. (Zu dem Bilde S. 420 und 421.) – Gretchen vor der Mater dolorosa. S. 428. (Zu unserer Kunstbeilage.)


Nicht zu übersehen! Mit der nächsten Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“; wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellung auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders darauf aufmerksam, daß der Abonnementspreis von 1 Mark 75 Pf. bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahres bei der Post aufgegeben werden, sich um 10 Pfennig erhöht.

Einzeln gewünschte Nummern der „Gartenlaube“ liefert auf Verlangen gegen Einsendung von 30 Pfennig in Briefmarken direkt franko die Verlagshandlung: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. 


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0428.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)