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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Substanz ganz frisches Schilddrüsengewebe verwandt wurde. Anderseits wird Herzklopfen, Schwächegefühl in den Beinen, Kopfkongestion, Schlaflosigkeit von den Fabrikanten selbst, welche sich auf die Darstellung völlig ptomaïnfreier, „ungiftiger“ Präparate nicht wenig einbilden, als Folge zu starker Gaben aufgeführt, und, wie ich anerkennen muß, mit Recht. Endlich ist nicht zu bezweifeln, daß gewissen Individuen, männlichen wie weiblichen, eine Ueberempfindlichkeit („Idiosynkrasie“) gegen Schilddrüsenpräparate überhaupt, sei es das „Thyreoidin“ oder „Thyraden“, sei es selbst das seit der Entdeckung des Jodgehaltes der Schilddrüse durch Prof. Baumann dargestellte „Thyrojodin“, eigen ist. Und weil das in unberechenbarer Weise der Fall sein, bezw. der Begriff des Mißbrauchs innerhalb weiter, kaum geahnter Grenzen schwanken kann, bin ich immer ängstlicher geworden, ja ich lehne die Verordnungen der Schilddrüsenbehandlung nicht robuster Fettleibiger prinzipiell ab, wenn mir nicht die Garantie geboten wird, daß verläßliche Aerzte die Kur kontrollieren. Stets dringe ich auf kleine Anfangsgaben, zumal bei Herzleidenden.

Nichtsdestoweniger soll der Leser nicht den Eindruck empfangen, als ob bedenkliche Nebenwirkungen an der Tagesordnung wären. Im Gegenteil, sie sind im allgemeinen bei nur annähernder Um- und Vorsicht ziemlich spärlich gesät. Und seien wir ehrlich! Keine der von uns skizzierten „klassischen“ Entfettungskuren darf sich rühmen, unter allen Umständen den Pflegling vor unliebsamen Folgen bewahrt zu haben.

Wir stehen am Schlusse und dürfen den Leser, der uns freundlich gefolgt, auf das eingangs dieser Abhandlung Gesagte verweisen. So groß auch die Zahl der ungelösten Fragen auf diesem Gebiete noch ist, die entfettende Wirkung der Schilddrüsenfütterung ist eine dem Stadium des Versuchs entrückte, in hohem Maße beachtenswerte Thatsache, die von dem Dunkel des Wie? in praktischer Hinsicht kaum berührt wird. Ob es gelingen wird, eine konstante, die „früheren“ berühmten Entfettungskuren entbehrlich machende Wirkungsweise zu sichern, steht dahin. Einstweilen hat das Gewicht der thatsächlichen Beobachtungen die Schwingen der Phantasie vor bedenklichem Flug zu bewahren und dem Arzte den dringenden Rat zu erteilen, über der Schilddrüsenbehandlung die altbewährten Kuren nicht zu vergessen, vielmehr den hilfsbedürftigen Fettleibigen in sorgsamer Prüfung und ohne Voreingenommenheit den wahren Segen, sei es des alten, sei es des neuen Kurses, zu teil werden zu lassen.




Fredy.

Novelle von Marie Bernhard.


1.

Entschuldige mich, bitte, liebe Fanny! Dort geht ein alter Bekannter von mir, wir standen vor einiger Zeit noch in derselben Garnison zusammen!“

„Den Kürassieroffizier meinst Du – da drüben links? Den stattlichen, großen?“

„Eben den! Was den hierher verschlagen haben mag? Nochmals: entschuldige mich! Zu Tisch bin ich bestimmt da! Adieu, Kinder!“

Der so sprach, war ein brünetter, etwas untersetzter Artillerieoffizier. Gewohnheitsmäßig nahm er die Hacken zusammen, legte zwei Finger an den Mützenrand und nickte der Dame, neben der er gesessen, freundlich zu. Sie sah ihm sehr ähnlich; drei niedliche Kinder spielten um sie herum, der älteste Junge ließ seine Sandschippe sinken und sah voll Interesse hinter seinem Onkel her.

„Kennt Onkel Lutz auch Kürassiere?“

„Natürlich!“ gab die Mutter zur Antwort.

„Wie er bloß läuft! Schade, – er hätt’ mich mitnehmen können!“

Wirklich mußte der Artillerist einen tüchtigen Schritt nehmen, um den andern, der schon einen guten Vorsprung hatte, einzuholen. Eben bog der Kürassierlieutenant um eine Gruppe von Bäumen, die eine ziemlich große Waldwiese umstanden, als er hinter sich den Kiessand unter hastigen Schritten knirschen hörte und gleich darauf eine Hand an seiner Schulter fühlte.

„Dreh’ Dich um, ich kenn’ Dich nicht!
Bist Du’s oder bist Du’s nicht?“

rief der brünette Herr atemlos, aber vergnügt, und fuhr dann fort: „Na, Trutzberg, das ist doch wahrhaftig niedlich, Dich hier zu treffen! In diesem Strandnest! Da soll doch gleich … an alles andere hab’ ich eher gedacht, als Dich hier zu finden! Was in aller Welt hast Du hier verloren?“

„Geb’ Dir die Frage zurück!“ sagte Trutzberg in seinem etwas schleppenden Ton. „Red’ Du zunächst und hübsch ausführlich; was machst Du hier?“ Es klang, wie wenn er selbst Zeit gewinnen wollte, während der andere sprach.

„Ich – dabei ist weiter nichts Wunderbares! Oder hast Du vergessen, daß ich hier in Ostpreußen eine Schwester verheiratet habe – ’nen Großkaufmann hat sie geehelicht, und der hat sich hier in diesem Idyll ’ne Villa gebaut, weil ihm und seinem Nachwuchs die See so besonders gut bekommt. Na, und da wollten mich die Leutchen mit dabei haben, und für ’n paar Wochen läßt sich’s schon aushalten, obgleich auf die Dauer – ohne Kameraden – ohne Kasino – na, bißchen öde natürlich! Aber ’mal ‚Familie simpeln‘ muß auch sein, und der Schwager ist eigentlich ’n riesig netter Kerl!“

Trutzberg lächelte etwas ironisch bei diesem Lob; er wußte, daß Lutz von Bredwitz’ Schwester sehr reich geheiratet hatte und daß ihr Mann seine Börse für den Schwager Lieutenant großmütig offen hielt.

„Na ja!“ Bredwitz hatte das Lächeln auf dem Gesicht seines Begleiters bemerkt und nickte etwas verlegen vor sich hin. „Schon mehr wie nett ist er eigentlich; ich hab’ ihm viel zu danken. Schließlich, was soll Philipp der Gute – so nenn’ ich ihn – mit all dem Mammon anfangen?“

„Du sprachst doch von Nachwuchs?“

„Freilich, drei reizende Kinder hat er! Doch die kriegen immer noch mal genug; Papas überseeische Witze werfen ja ’n kolossales Stück Geld ab. Aber nun endlich von Dir! Freut mich kolossal, Dich zu sehen! Was willst Du hier, Edler?“

Hans Henning Edler zu Trutzberg – von den Kameraden häufig kurzweg „Edler“ genannt – sah aus, als ob ihm dies Verhör recht unbehaglich wäre. Ueber seiner geraden Nase bildete sich eine Falte, die Augen blinzelten hochmütig.

„Wie lange bleibst Du noch?“ fragte er kurz.

„Drollige Frage für ’nen Menschen, der vorgestern vom Rhein heraufgekommen ist! Drei Wochen Urlaub – Major der reine Zucker – letzte Parade blendend. Und Du?“

„Was? Ich?“

„Wie lange Du bleibst, natürlich?“

„Ja so! Hängt von – von – diesem und jenem ab! Urlaub gleichfalls drei Wochen!“

„Schön! Also da bleiben wir immer zusammen!“ Bredwitz schob seinen Arm unter den des hochgewachsenen Gefährten und lachte ihn munter an. „Haben uns ja die Welt zu erzählen!“

Darauf erwiderte Trutzberg zunächst nichts. Seine Augen gingen über den Kameraden weg in die Baumwipfel hinauf, die da im warmen Sommerwind sacht ihre Blätter regten. Er hatte ja Bredwitz gut leiden können, als sie zwei Jahre hindurch am Rhein in derselben Garnison standen, allein jetzt paßte es ihm gar nicht, den gemütlichen Lutz hier zu finden. Mußte denn immer und überall, selbst in diesem obskuren Erdenwinkel, irgend einer kommen und ihm auf die Finger sehen, wenn er etwas unternehmen wollte? Konnte er nichts unbemerkt thun? Freilich abschütteln würde sich Bredwitz nicht lassen, und wie sollte er das auch anfangen, wo ihm derselbe auch nicht das mindeste zuleide gethan hatte? Es würde nichts helfen, er mußte ihn zum Mitwisser machen, denn that er dies nicht, so würde Bredwitz auch ohne das alles sehen und hören, hier, in diesem winzigen Badenest, wo das Unterhaltungsbedürfnis der Fremden von dem Thun und Lassen der lieben Nächsten zehrt.

„Zunächst,“ sagte Bredwitz, „wie ist es? Kommst Du mit mir ein Glas Sherry trinken? Ganz vernünftigen, strebsamen Sherry,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0464.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2022)