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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 28.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

     (4. Fortsetzung.)

5.

Der Morgen graute, als der Daxen-Schorschl aus einem unruhigen, von ganz absonderlichen Träumen gequälten Schlaf erwachte. Mit melancholischem Gesichte setzte er sich auf, und das erste, was er sah, war nicht die unfreundliche, fast kahle Stube um ihn her, mit dem verschlampten, halb zerstörten Gerät und den grauen Dielen, die Gott weiß wie lange kein Wasser und keine Bürste mehr gespürt hatten – nein, das erste, was Schorschl vor Augen schwebte, war ein rundes, von Erregung und Arbeit gerötetes Mädchengesicht, dessen blitzende Augen ihn halb ernst und halb verächtlich musterten und dessen rote Lippen in aller Ruhe zu ihm sagten: „Schorschl! Du bist ein Lump!“

Wütend schlug er mit der Faust auf die Kissen. „Kreuzhimmelsternsakradi! Laßt’s mich denn gar nimmer aus!“

Mit gleichen Füßen sprang er aus dem Bett, kleidete sich brummend an, nahm ein Handtuch über den Arm und ging in den Hof hinunter, um sich am Brunnen zu waschen.

Es war schon lebendig im Dorf und von überall tönte das Geräusch der Arbeit; nur die Daxen-Schmiede lag still und friedlich: da brüllte kein Rind im Stall, da tummelte sich keine singende Magd, die Esse rauchte nicht und an der Werkstätte war das Thor noch geschlossen. Aber das Bild dieses Friedens schien dem Schorschl gar nicht zu gefallen. „Pfui Teufel! Wie schaut’s bei uns aus!“ murrte er vor sich hin, während er Haus und Hof mit scheuem Blick überflog. „Und der ander’ schlaft natürlich noch! Recht hat er! Wie der Meister so der G’sell! … Aber wart, den will ich aufstampern!“ Mit wahrem Ingrimm rannte er ins Haus und zur Gesellenstube. Die Faust auf die Klinke schlagend, stieß er mit einem Fußtritt die Thür auf. „’Raus, Du, d’Arbeit wart’t!“

Schlaftrunken richtete Steffel sich auf und machte zwei Augen, als hätte sich das unerhörteste Wunder ereignet. Den Kopf schüttelnd, kroch er aus den Federn. Er schien Haarweh zu haben – man sah es an der Art, wie er die Brauen zusammenzog.

Als der Gesell nach einer Weile das Thor der Werkstätte aufthat und gähnend in der Esse das Feuer anschürte, stand Schorschl am Brunnen und wusch und rieb, als hätte er den Ruß und Schmutz eines ganzen Jahres von sich abzufegen. Und während er mit dem Handtuch Gesicht und Hände trocknete, spähte er „fuchsteufelswild“ immer wieder über das Gehänge des laufenden Berges hinauf und murmelte ein um das andere Mal: „Wart’ nur, Du! … Wart’ nur!“ Um nur flink genug an die Arbeit zu kommen, nahm er sich gar nicht die Zeit, das Handtuch ins Haus zurückzutragen, sondern warf es über die Brunnenröhre. Doch als er mit langen Schritten zur Werkstätte ging, in


Nenndorfer Volkstrachten.
Mit Randzeichnung von R. E. Kepler.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0469.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)