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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Grüß Dich Gott, Schorscherl!“ rief die Mahm’ mit ihrer fetten, asthmatischen Stimme, als sie den Neffen gewahrte. „Kommst net ein bißerl ’rauf zu mir?“

„Ja, Mahm’!“ Der freundliche Gruß hatte den Daxen-Schorschl wie eine gute Vorbedeutung angeheimelt. „Und ich bring’ Dir was! Aber ganz was Fein’s!“

„Geh? Bringen thust mir was? Da bin ich aber neugierig! Tummel Dich, Schorscherl, tummel Dich!“

Schorschl eilte mit langen Sprüngen in das Haus, in dem es appetitlich nach frischem Backwerk duftete; aus der offenen Thür der Backstube quoll noch die Hitze des Ofens. Mit drei Sätzen nahm Schorschl die Treppe, und als er mit Herzklopfen ein paar Sekunden vor der Stubenschwelle zögerte, fühlte er unter seinen Füßen die Dielen schwanken: er wußte, was die Ursache war: drin in der Stube ging die Bäckenmahm’ vom Fenster zum Lehnstuhl – da spürte immer das ganze Haus ihr Gewicht.

Das Hütlein ziehend, trat Schorschl ein, eben als die Mahm’ sich in den Sessel niederließ, so schwer, daß sich das ungeheure Möbel ächzend dehnte. Von der Anstrengung des vier Schritte langen Weges war sie so erschöpft, daß sie kein Wörtlein sprechen konnte, während Schorschl in erzwungener Lustigkeit auf dem Tisch sein Bündel aufknüpfte. Endlich fand sie die Sprache wieder. „Ah, ah, ah!“ staunte sie beim Anblick der Fische, fuhr mit der Zunge über die Lippen und faltete wie in andächtigem Gebet die Hände mit den gespreizten Fingern, die so kugeldick waren, daß sie sich nicht mehr aneinanderlegten. „Dreiundzwanz’g Forellen! Und so viel große dabei! Ah, ah, ah! Das giebt aber grad’ ein schön’s Mittagsmahl ab! Vergeltsgott, Schorscherl! Tausendmal Vergeltsgott!“ Zärtlich streichelte sie seine Hand, und dankbar leuchtend blickten die versunkenen Aeuglein aus dem Fettpolster der großen Hängebacken zu ihm auf. „Jetzt kriegst aber gleich ein Schalerl Kaffee!“

„Aber Mahm’! Ein’ Kaffee! Jetzt, um zehne vormittags! Geh weiter!“

„Kaffee is was gut’s! Kaffee kann der Mensch allweil trinken. Und Kaffee magert ab, ja!“

Trotz seines Sträubens mußte Schorschl die Magd rufen, welche die Forellen davontrug, um nach einiger Zeit mit der dampfenden Kaffeekanne und einem großen Guglhupf wieder zu erscheinen.

Schorschl begann allerlei Anekdoten und lustige Geschichten zu erzählen, um die Mahm’ in noch bessere Laune zu bringen. Das Lachen machte ihr freilich schwere Mühe und Atemnot, aber dennoch lachte sie gerne und war in ihrer Einsamkeit für heitere Gesellschaft dankbar. Immer wieder tätschelte sie Schorschls Hand, wenn sie dabei auch mahnen mußte: „Langsam, Schorscherl, langsam … ich komm’ ja mit ’m Lachen nimmer nach!“

Das ging ein Viertelstündlein so fort, aber dann plötzlich fiel dem Daxen-Schorschl keine Anekdote mehr ein; er wurde ganz stille, strich sich mit schwerer Hand das Haar in die Stirn und seufzte tief.

„Schorscherl?“ fragte die Mahm’ erschrocken. „Was hast denn?“

„Sorgen, liebe Mahm’! Arge Sorgen!“

„Geh, Du armer Kerl! Was is Dir denn passiert?“

„Was soll mir denn passiert sein! Nix und alles. D’ Augen sind mir halt endlich auf’gangen über mich und mein lüftig’s Leben! Schau, einmal muß der Mensch doch g’scheit werden und Verstand annehmen! Jetzt weiß ich’s g’wiß, daß ich die ganzen Jahr’ her wirklich ein richtiger …“ er wollte das Wort verschlucken, das ihm auf die Zunge trat, aber es mußte heraus „… ein richtiger Lump g’wesen bin! Und jetzt laßt’s mir kein’ Fried’ nimmer! Schau, Mahm’, völlig treiben thut’s mich zur Arbeit! Und schaffen will ich Tag und Nacht, daß grad’ die Fetzen umeinander fliegen. Auf Ehr’ und Seligkeit, liebe Mahm’, es hat sich alles g’wend’t in mir … und ’s Gute, mein’ ich, is z’ öberst ’kommen! Jetzt bin ich ein anderer!“ Das alles hatte Schorschl so ehrlich herausgesagt, daß auch ein eingefleischter Zweifler ihm hätte glauben müssen.

„Schorscherl! Mein lieb’s Schorscherl!“ Die gute, dicke Mahm’ war tief gerührt – und hätten Thränen die Eigenschaft, bergauf zu fließen, so wären ihr vor Rührung zwei große Tropfen über die Wangen gekugelt, denn das helle Wasser stand ihr in den versunkenen Augengrübchen. „Mein lieb’s Schorscherl! Na! Na! Daß ich so viel Freud’ an Dir noch erleben soll! Du – und ein braver Mensch!“

„Glaubst mir’s, Mahm?“ fragte Schorschl zwischen Hoffen und Bangen.

„Ja, Schorscherl, ich glaub’ Dir’s! Ja! Und wenn ich einmal ’naufkomm’ in Himmel … der liebe Herrgott verhüt’s noch lang’ … aber gleich sag’ ich’s meiner guten Schwester selig: Annamierl, sag’ ich, freu Dich, Annamierl, Dein Schorscherl is ein braver Mensch worden!“ Kichernd wischte sich die Mahm’ das Wasser aus den Augen. „Komm, Schorscherl, jetzt kriegst aber gleich noch ein Schalerl Kaffee! Geh, schenk’ Dir ein … recht voll, bis zum Randl ’nauf!“

Schorschl that ihr den Willen und schluckte den ganzen Inhalt der Tasse auf einmal.

„Aber gar net begreifen thu’ ich Dich! So ein’ guten Vorsatz hast g’faßt! Ja sag’ mir nur, Schorscherl, mein lieb’s, wie kannst denn jetzt da noch traurig sein? Da sollst ja doch lachen vor lauter Freud’!“

„Lachen! Ja! Freilich könnt’ ich lachen! … Wenn ich keine Schulden net hätt’!“

„Schulden! … Ah ja! … Schulden! … So was halt’ ein’ auf im besten Lauf!“ versicherte die Mahm’ bedächtig. „Schulden! Ja, ja! Die verflixten Schulden!“

„No mein, die müßten halt ’zahlt werden, daß ich ein’ sauberen Weg vor mir hab’!“

„Freilich, die müssen ’zahlt werden! Eh’ können d’ Leut’ kein richtig’s Zutrauen net fassen zu Dir! Die müssen ’zahlt werden! Ein gut’s Anzeichen, daß D’ es einsiehst! Aber sag’, Schorscherl … sag’, wie willst denn das machen?“

Schorschl war um die Antwort verlegen; dann platzte er los: „Wenn ich’s wüßt’, wär’ ich net zu Dir ’kommen!“

„So, so, so, so? … Und wie viel thätst denn brauchen?“

Einen Tausender – das wagte Schorschl nicht herauszusagen. Und schnell überflog er in Gedanken: vielleicht wär’ es billiger zu machen: vor allem mußten die Schulden im Dorf bezahlt werden, wenn er die verlorenen Kunden, die seit Jahr und Tag in den benachbarten Dörfern arbeiten ließen, wieder in seine Schmiede zieben wollte: der Schuldschein beim alten Rufel hatte ja noch Zeit bis Neujahr – dritthalb Monate – inzwischen konnte er arbeiten und verdienen; und für sich selbst brauchte er eigentlich auch nichts auf die Hand zu bekommen – er konnte sich von einem Tag auf den anderen weiterfretten; wenn nur der Gesell das Seinige bekam – er selbst konnte hungern, wenn es nicht anders ging! Nur das Nötigste …

„Es is eigentlich gar net so viel … fünfhundert Markln halt!“

„Fünf … hun …“ Die Mahm’ brachte das Wort nicht zu Ende und schlug vor Schreck die Hände zusammen, daß ihr ganzes Gewicht in zitternde Bewegung kam. „Um Gotteswillen, Schorscherl! Wie willst denn so viel Geld auftreiben?“

Du, hätt’ ich halt g’meint, Du sollst mir’s geben?“

„Aber, Schorscherl!“ Bei der Mahm’ war aller Schreck verflogen, alle Rührung erloschen. Ganz ruhig sagte sie: „Na, mein Schorscherl, mein lieb’s! Na, da wird nix draus!“

„Mahm’ …?“

„Na, Schorscherl! Na!“

„Mahm’! … Schau, mir is’ ernst!“ Er war bleich und die Lippen zuckten ihm.

„Mir is auch net lustig z’ Mut!“ Schwer seufzend hob sie sich im Lehnstuhl ein bißchen in die Höhe, um bequemer zu sitzen. „Schau, Schorscherl, vor zwei Jahr’ hab’ ich Dir g’holfen und hab’ Dir gesagt: es is ’s erste und ’s letzte Mal! Und was ich g’sagt hab’, is g’sagt!“

Er nahm ihre Hand. „Geh, Mahm’, sei gut zu mir! Mach’ mir ’s Bravwerden net gar so hart! Hilf mir ein bißl! Oder glaubst mir net, daß ich’s ehrlich mein’?“

„Ja, Schorscherl, glauben thu’ ich Dir!“

„Aber Geld magst keins hergeben?“

„Na! … Und jetzt lassen wir die Sach’ in Ruh’! Sorgen vertrag’ ich net … die machen mich fett! Aber ’s Lachen zehrt! Geh, sei lustig, Schorscherl! Verzähl’ mir noch was! Und magst noch ein Schalerl Kaffee? Dich hab’ ich gern, Dir vergunn’ ich’s, ja!“ Mühsam erhob sie sich, beugte sich wackelnd über den Tisch, füllte die Tasse und legte ein großes Stück Guglhupf daneben.

Schorschl schüttelte den Kopf. Wortlos, mit zitternden Händen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0472.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)