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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Aber – aber – ich möchte doch bei meinem Onkel Hugo bleiben!“

„Onkel Hugo und ich haben über Dinge zu sprechen, die nicht für Kinder bestimmt sind.“

„Aber ich freu’ mich doch so schrecklich, daß er da ist!“

„Das kannst Du ebensogut thun, wenn Du zu den Kindern gehst! Gehorche jetzt, Fredy, ich will kein Wort weiter hören!“

Das Kind ließ zögernd des Onkels Rechte, die es mit beiden Händen gefaßt hielt, los und ging langsam, mit gesenktem Kopf, zu Lutz Ortmann zurück.

„Nun, liebe Freundin?“

„Ach!“ Sie sah von ihm fort und bewegte unruhig den Kopf. „Ich – ich hatte hier keine rechte Ruhe zum Schreiben!“

„Keine Ruhe?“ wiederholte er erstaunt. „Und wie ging das zu? War etwa Fredy krank?“

Seine offenbare Verwunderung schien sie zu reizen. „Fredy? Gottlob nein, er ist immer wohlauf gewesen.“

„Aber es muß doch irgend einen Grund –“

„Ach!“ machte sie in leichtem Unmut. „Muß denn alles und jedes auf der ganzen Welt immer seinen logisch definierbaren Grnnd haben? Wie kann man jederzeit seiner Stimmung Herr sein! Wie kann man sich Rechenschaft ablegen von jeder Trübung oder Erregung des eigenen Innern –“

„Aber, Sie verzeihen, liebe Freundin: was hat Ihre augenblickliche Stimmung, die Trübung oder Erregung Ihres Innern mit unserer wichtigen Geldangelegenheit zu schaffen?“

Der Einwurf war gerecht, sie fühlte das. Aber eben, daß er gerecht war, ärgerte sie.

„Eben einfach das zum Beispiel,“ sagte sie rasch, „daß mir in meiner jetzigen Stimmung diese wichtige Geldangelegenheit weitaus nicht so schwerwiegend erscheint wie Ihnen!“

Sie hatte die Worte kaum gesprochen, als sie sie auch sofort bereute. Hildegard Bingen war keine heftige Natur und ließ sich sehr selten zu voreiligen Aeußerungen hinreißen. Wenn es ihr aber geschah, so litt sie selbst am meisten darunter.

Haßler blickte sie betroffen an. Ob ihm eine Ahnung dessen kam, was in ihr vorging?

„Es muß in der That eine merkwürdige Seelenstimmung sein, die Sie zu einem solchen Ausspruch veranlaßt!“ sagte er langsam, wie wenn er jedes Wort abzuwägen wünschte. „Sie wissen recht gut, daß ich für meine Person keineswegs einen übermäßigen Wert auf Geld und Gut lege, daß es mir immer und überall nur Mittel zum Zweck ist; bei dem, was ich mein unumschränktes Eigentum nenne, wohlverstanden! Anders ist es mit demjenigen, was mir ein anderer als anvertrautes Gut übergeben hat – hier kann ich nicht umsichtig, nicht vorsichtig genug sein, um in mir das Bewußtsein, in vollem Maß meine Pflicht gethan zu haben, zu befestigen. Sie und ich, wir haben ja so oft gerade über diesen Punkt gesprochen, Frau Hildegard, und ich weiß es, wir hatten dieselbe Auffassung. Sie und ich, wir sind die Verwalter für Fredys dereinstiges Hab’ und Gut, wir tragen die volle Verantwortung dafür, daß es sich unter unseren Händen mehrt – es ist nicht das tote Stück Geld, um das es sich handelt …. wir haben es beide oft gesagt, daß gerade wir einen idealen Gesichtspunkt hierbei vertreten müssen! Im Sinn und Geist dessen, der uns beiden so wert war, sein Eigentum erhalten und wenn möglich vergrößern für sein Kind …. in seinem Sinn und Geist dies Kind so erziehen, daß das schöne Besitztum einstmals ihm selbst und vielen anderen zum Segen werde …. so habe ich, so haben Sie bisher die uns gewordene Aufgabe als ein heiliges Vermächtnis angesehen! Peinlich genau habe ich, das darf ich von mir sagen, bis jetzt meine Pflicht gethan und ebenso Sie die Ihre erfüllen sehen – nicht, um Fredy einstmals ein paar hundert Thaler mehr zu erhalten, die er ruhig entbehren könnte, nein, eben von jenem höheren Standpunkt aus, den wir bis heute miteinander teilten. Wenn Sie diesen Standpunkt jetzt verlassen haben sollten – wenn Sie mir sagen, eine Angelegenheit, die, so oder so, immer ein Stück Zukunft Ihres Kindes betrifft, erscheine Ihnen nicht so wichtig wie mir –“

„Nein, lieber Freund, nein!“ Ihr Blick hatte sich umflort, ihr Mund zuckte. „Ich bin heute Ihrer Ansicht, wie ich es immer gewesen! Ich erkenne Ihre treue Fürsorge für mich und mein Kind, ich weiß, daß wir in Alfreds Sinn handelten, und ich möchte, daß es nie, nie anders damit wird. Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie verletzt habe, Sie, den besten, wahrsten –“ Die Stimme versagte ihr, sie bog den Sonnenschirm tiefer, um ihr Gesicht zu verbergen.

Der Freund ging eine kleine Weile stumm neben ihr weiter. Sie waren hinter den anderen, die laut lachend und plaudernd weiterschritten, ein Stück Weges zurückgeblieben.

„Was haben Sie denn, Frau Hildegard?“ fragte Haßler endlich, und seine Stimme klang so gut und treu, wie der Blick seiner Augen war, der ihr Antlitz suchte. „Sie sind dieselbe nicht mehr – sind verändert – erregt – betrübt – was ist Ihnen geschehen? Darf ich es nicht wissen?“

Stumm und energisch schüttelte sie den Kopf – sie machte nicht einmal den Versuch, eine Antwort zu finden. Nein, er – gerade er, durfte nichts davon erfahren, ehe ihr Entschluß reif war.

Sie schenkte ihm volles Vertrauen – aber dem Mann, der im Begriff stand, um ihre Hand zu werben, dem ihr bisheriges Benehmen ein offenbares Recht dazu gegeben …. ihm konnte sie nicht sagen: es ist ein anderer Bewerber da, der es verstanden hat, eine Leidenschaft in mir wachzurufen, die mein ganzes Wesen wandelt und erschüttert!

„Abcr es ist etwas da? Das wenigstens werden Sie mir zugestehen müssen!“ fragt er dringlicher.

Wieder bleibt sie stumm, aber ihr Schweigen ist beredt genug. Seine guten Augen trüben sich, und er atmet tief.

Die beiden haben unwillkürlich immer mehr ihren Schritt verlangsamt – – von den übrigen ist nichts mehr zu sehen. –

Diese anderen schlendern scherzend und lachend dahin. Die beiden jungen Mädchen, die von der Gesellschaft sind, pflücken Blumen am Wegesrand, ein paar von den jüngeren Herren spielen die Galanten und klettern da und dort einen Abhang hinunter, um eine besonders schöne Waldblume zu holen. Der Weg wird mit der Zeit steiler, das Ufer fällt tief zum Meer ab, man muß sich hüten, zu nahe an den Rand zu gehen.

Lutz von Bredwitz nahm es sehr ernst mit seinen Pflichten als „Kindermädchen“. Er hielt seine vier Pflegebefohlenen scharf im Zügel, ließ sie beständig vor sich hergehen, nahm einen von ihnen zeitweilig an die Hand, namentlich Fredy, und bedrohte sie mit den entsetzlichsten Strafen, falls sie ihm nicht aufs Wort gehorchten … Aber er that das alles mit einem so gutmütig komischen Ton, daß die Kinder nicht aus dem Lachen kamen und es gar nicht der Versicherung Lutz’ des Jüngeren bedurft hätte: „Das meint ja mein Onkel gar nicht so böse! Mein Onkel, der spaßt ja bloß!“

„Fredy, Du widerspenstiges kleines Unkraut, was hast Du Dich denn in einem fort umzusehen? Du wirst auf der Nase liegen, ehe Du Dich versiehst, und das wird Dir dann sehr schlecht gefallen! Vor Dich sehen – auf den Weg achten! Verstanden?“

„Ich will doch bloß sehen, wo meine Mama mit Onkel Hugo bleibt!“

„Deine Mama ist keine Stecknadel, lieber Sohn, die wird uns nicht verloren gehen!“

„Aber sie ist ganz, ganz weit zurück – ich kann sie schon gar nicht mehr sehen!“

„Ist nicht der berühmte Onkel Hugo da zu ihrem Schutz? Der wird schon auf sie aufpassen!“

„So laß einmal die dummen Gören allein laufen!“ sagte eine ärgerliche Stimme dicht an Bredwitz’ Ohr in unterdrücktem Ton, und eine Hand schob sich in seinen Arm. „Sie sind groß genug, um sich selbst in acht zu nehmen ... Ich bin einfach wütend!“

Das dicke Lützelchen sah mit seinen gutmütigen, etwas vorquellenden Augen nahe in Trutzbergs zorniges Gesicht und sagte bedauernd: „Ja, es trifft sich unangenehm! Schön ist’s für Dich nicht, daß – – – “

„Schön? Nichtswürdig ist’s – infam! Muß diesen dummen Kerl heute gerade der Teufel reiten, hier aufzutauchen und mir die ganze Geschichte zu verderben! Wär’ er morgen gekommen – meinetwegen auch heut’ abend spät, so hätte man ihm mit dem vollzogenen Faktum entgegentreten können … nun zögert und zögert sich das hin! – – Man wird wahrhaftig noch alle Segel beisetzen müssen, um dem edlen Stoppeltreter den Rang abzulaufen!“

„Na, ich denke, das ist bloß Freundschaft!“

„Der Teufel trau’ den Weibern – zumal denen von solchem Schlag! Daß er will, ist klar wie die Sonne, und sie …. diese stillen Wasser sind oft sehr bedenklich!“

„Ja, warum lässest Du denn die beiden jetzt allein, Edler? Ich an Deiner Stelle würde mein Eisen schmieden!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0498.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2022)