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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Not gezwungen, vollbrachten. Diese Not aber bestand offenbar in dem zunehmenden Mangel an Wasser. Es ist nicht unwissenschaftlich, anzunehmen, daß auf dem Mars ursprünglich mehr Wasser in freier Form vorhanden war als heute, und daß dasselbe im Laufe unzählbarer Jahrtausende allmählich bis zu seiner heutigen geringen Menge abnahm. Gab es nun dort denkende Wesen, die eine gewisse hohe Kulturstufe errungen hatten, so mußten dieselben mit der zunehmenden Wasserabnahme rechnen, und sie haben deshalb nach und nach das gewaltige Kanalnetz angelegt, welches wir gegenwärtig von der Erde aus wahrnehmen. Daß sie dazu erheblich besserer und größerer Hilfsmittel bedurften, als uns Menschen heute auf der Erde zu Gebote stehen, unterliegt keinem Zweifel; anderseits wissen wir aber auch nicht, was die Menschheit dereinst ausführen könnte, wenn die Wasserabnahme der Oceane sie zu gemeinsamer Arbeit nötigen wurde.

Schon oftmals ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Menge des freien Wassers an der Erdoberfläche zu allen Zeiten unveränderlich war oder ob sie abnimmt. Man muß zugeben, daß die feste Erdkruste gegenwärtig erhebliche Mengen von Wasser chemisch und mechanisch gebunden hält, die ehedem in freierem Zustande an der Oberfläche sich befanden, allein es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Aufsaugungsprozeß längst seine Grenze erreicht hat. Sicheres in dieser Beziehung ist zur Zeit nicht ermittelt, wenngleich die Annahme einer stetigen, sehr langsamen Verminderung der freien Wassermassen der Erdoberfläche eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit für sich hat. Ein Blick auf die beiden uns am besten bekannten Weltkörper, den Planeten Mars und den Mond, unterstützt diese Wahrscheinlichkeit. Auf dem Mars sind die Wassermengen bereits sehr zusammengeschrumpft, auf dem Monde fehlen sie sogar vollkommen und wir sehen dort nur noch die Betten ehemaliger Mondmeere in Gestalt großer mehr oder weniger eingetiefter Flächen. Dies deutet darauf hin, daß allerdings ein Planet im Laufe seiner Entwicklung von einem Zustande bedeutenden Wasserreichtums bis zu demjenigen vollkommener Austrocknung an der Oberfläche herabsinken kann, und solches würde demnach auch dereinst bei unserer Erde stattfinden. Dann hätten wir also am Mars das Bild einer sehr späten Zukunft unserer eignen Erde vor uns. Gegenwärtig beträgt die Oberfläche aller irdischen Oceane zusammen etwa 6 800 000 Quadratmeilen und das Wasserquantum derselben wird auf 3 140 000 Kubikmeilen geschätzt, es ist 2½ mal so groß als das Volumen aller Festländer mitsamt ihren Sockeln über dem Boden der Oceane, aber freilich außerordentlich gering im Vergleich zum Volumen des ganzen Erdballs, welches 2 650 000 000 Kubikmeilen umfaßt. Würden die oceanischen Wassermassen abnehmen, so müßte ihr Niveau sinken und die Meeresufer würden zurücktreten. Bei einer Abnahme der oceanischen Wassermassen bis über die Hälfte würde der Zusammenhang der Weltmeere aufgehoben sein und die heutigen Oceane als kleine Seebecken erscheinen, die überall vom Festlande umschlossen wären, wie dies Figur 3 zeigt. Daß alsdann die inneren Teile der ungeheuren irdischen Festlandmasse zu einer völlig trockenen Wüste werden müßten, bedarf keines besonderen Nachweises, sondern ist einleuchtend, und wie es dann mit dem Menschengeschlechte aussehen würde, zeigt ein Blick auf die Lage der heutigen Hauptstädte der Welt. Wahrscheinlich würden diese dann ebenso verödet sein wie gegenwärtig die Umgebungen von Babylon und Ninive.




In letzter Stunde.

Novelle von Victor Blüthgen.


Auf dem Bahnhofe einer mecklenburgischen Landstadt war es; an einem wüsten Winterabend, im Februar. Der Wind fegte ein dichtes Schneetreiben bis in den überdachten Bahnsteig herein, daß die Lichter der Laternen Mühe hatten, ihn zu erleuchten – draußen quirlte es, grau und grauer, bald in undurchdringliche Nacht vernebelnd.

Aus dem Zuge, der soeben weiter gefahren, waren nur wenige Personen gestiegen, um rasch im Durchgang oder in den Restaurationsräumen zu verschwinden. Ein großer, starker Mann im Reisepelz, den Kragen hoch bis über die Pelzmütze aufgeschlagen, blieb als der Einzige, der sich dem Unwetter aussetzte. Er bemühte sich, mit Augen und Ohren zu verfolgen, wie man in einiger Entfernung den Lokalzug rangierte, der in wenigen Minuten auf einer Nebenstrecke abgehen sollte; bis hart an die Ecke des Gebäudes wagte er sich in diesem Bestreben, wobei alles an ihm flog, was nicht ganz eng anschloß.

Jetzt sah er unter der Laterne an der Ecke nach der Uhr und schritt plötzlich entschlossen dem Durchgang zu; darauf stand er am Schalter und verlangte ein Billet zweiter Klasse nach R.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür zum Wartesaal dritter Klasse, man hörte Stimmengewirr, dann kam lachend, ein paar Worte hinter sich rufend, ein Mann heraus – gleich darauf stand auch er am Schalter.

„Laudien,“ sagte er, sich vorbeugend, zu dem Beamten, „wir warten nachher auf Sie.“

„Gut,“ klang es innen.

Der Mann hatte ein breites rotes Gesicht mit einem Zug roher Jovialität drin; das Gesicht war bis auf ein Streifchen Backenbart glatt rasiert; eine Tuchmütze saß zurückgeschoben auf dem Hinterkopf, ein grauer Mantel hing lose um die Schultern. Im Abgehen warf er einen Blick auf den andern im Pelz, stutzte, ging drei Schritte, stand, die Finger gegeneinander reibend: „Das ist – wer ist das? …“ Ehe er auf den Bahnsteig trat, drehte er sich noch einmal um.

Der andere kehrte ihm den Rücken, machte sich mit dem Portemonnaie zu schaffen.

„Donnerwetter … das muß er sein … früher hatte er einen Vollbart …“

Man hörte draußen den Zug vorfahren, und der Mann am Schalter, mit dem braunen, schlanken, energisch geschnittenen Gesicht, das allerdings nur einen Schnurrbart aufwies, beeilte sich sichtlich, aus dem Bereich der Halle zu kommen. Er ging draußen am Zuge hin, öffnete sich ein Coupé zweiter Klasse und stieg ein.

„Wohin?“ fragte ein Schaffner, der herzutrat.

„Nach R.“

Kurz darauf kam der Mann im Mantel eilig den Bahnsteig herauf, winkte dem Schaffner. „Ist einer nach R. eingestiegen? Zweiter Klasse? Ein Mann im Pelz?“ fragte er ihn ins Ohr.

„Jawohl!“

Der Frager verschwand mit ein paar langen Schritten im Wartesaal, aus dem er gekommen. Dort saß eine Anzahl Personen in der Nähe des Buffetts um einen Tisch mit Biergläsern, rauchend und schwatzend, unter ihnen ein Gendarm. „Möbius,“ rief der Ankommende, ohne Mütze und Mantel abzulegen, „kommen Sie rasch mal her, ich habe was für Sie.“

Der Gendarm erhob sich bequem und ging zu ihm. „Was haben Sie denn?“

„Sie kennen doch Zellin ganz genau – den von R., der den jungen Storkow totgeschlagen hat – der euch durch die Lappen gegangen ist …“

„Jawohl – was ist mit dem?“

„Ich will gehangen sein, wenn der nicht im Zuge draußen sitzt, in der zweiten Klasse! Ich habe doch so oft seine Gerste gekauft … er hat keinen Vollbart mehr …“

„Ach, was nicht noch – wo wird der so dumm sein und in die Gegend kommen – seine Frau wirtschaftet ja ganz gut …“

„Himmelsakrament, fahren Sie mit, zweite Klasse nach R.! Einer, der genau so aussieht wie Zellin und nach R. fährt, wer soll denn das sein? Was er hier will, ist ganz egal …“

Die hastig gesprudelten Worte machten Eindruck. Der Gendarm nahm rasch seinen Mantel vom Nagel …

Der Zug wollte sich eben in Bewegung setzen, das Abfahrtssignal schrillte noch, als er draußen ankam.

„Halt, halt, ich will mit!“

„Wohin?“

„Zweiter nach R.“

„Rasch – hier …“

Der Gendarm fiel beinahe auf den andern Fahrgast; die Thür schlug zu, der Zug fuhr.

Der Mann im Pelz war leichenblaß geworden, wandte sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0511.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)