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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

geistlichen Herrschaften der Schweiz wegfegte, nahm auch jenes Fürstentümchen ein Ende; aber das Kloster behielt seine Privatgüter, wenn auch ohne Gerichtsbarkeit, bis zum Jahre 1838, in welchem es wegen innerer Zerwürfnisse und ökonomischer Mißwirtschaft aufgelöst wurde. Sein Erbe, der Kanton St. Gallen, übernahm die Klostergebäude, die Klostergüter, das Bad Pfävers und den Hof Ragaz, und seine liberale Regierung führte den genialen Gedanken durch, Bad und Hof durch eine Leitung der Heilquelle und eine Fahrstraße miteinander zu verbinden; denn früher war das Bad in der Taminaschlucht nur auf beschwerlichen Bergpfaden über bedeutende Höhen zu erreichen gewesen. So wurde Ragaz (1841) ein Kurort, der sich durch die Thätigkeit der Pächter des „Hofes“ und der Gastwirte des Dorfes nach und nach vergrößerte und verschönerte. Die heutige Entwicklung aber konnte er nur erreichen, indem er dem privaten Unternehmungsgeiste überlassen wurde. Dies geschah 1868, als die Regierung von St. Gallen den Hof Ragaz und Umgebung dem aus Glarus stammenden, aber in Petersburg reich gewordenen Architekten Bernhard Simon verkaufte und ihm zugleich das Bad Pfävers und dessen Dependenzen (Quelle, Straße, Leitung etc.) auf hundert Jahre konzedierte.

Am Ende der Taminaschlucht vor dem Eingang zur Quelle.

Seitdem hat Simon nicht nur den altertümlichen „Hof“ ins Moderne umgebaut, sondern zunächst auch den mittels Kolonnaden damit zusammenhängenden Quellenhof, ein wahres Palais, und später mehrere Villen, Schweizerhäuschen, Bäder und zuletzt den imposanten Kursaal geschaffen und alles mit herrlichen Promenaden- und Gartenanlagen umgeben, an welche auch die neue protestantische Kirche stößt. Vor 30 bis 40 Jahren weideten hier noch Kühe auf magerem Wiesenboden; jetzt ertönen hier alle Sprachen Europas und erglänzen die Toiletten der neuesten Modejournale. Allerdings, wohnen können in diesem Eden nur Vertreter der „oberen Zehntausend“; aber zum Lustwandeln steht es auch den weniger bemittelten, im Dorfe logierenden Kurgästen, den Reisenden und Besuchern offen. Das Ganze ist wie für eine große Familie eingerichtet. Ob nun die Kurgäste im gemütlichen „Hof Ragaz“ oder im glänzenden „Quellenhof“ oder abgeschlossen für sich in den eleganten Villen wohnen, – die Anlagen, welche einen wohlthätigen Schatten spenden, mit ihren Ruhebänken, die Säulengänge, in welchen wandelnd man das Quellwasser trinkt, die verschiedenen Bäder, zwischen denen man die Wahl hat, die Spielplätze für Croquet und Lawn Tennis, die Teiche, auf denen Gondeln zum Rudern einladen, die Lesezimmer im Kursaal, welche Zeitungen aller Länder darbieten, die Buchhandlung in demselben Bau und die mehrfach vertretenen Kaufläden für alle möglichen Luxusgegenstände führen die verschiedenen Parteien unwillkürlich zusammen. Am meisten gilt dies jedoch von der Kurmusik, die in einem Pavillon gegenüber der antiken, hochragenden Säulenvorhalle des Kursaales spielt, unter und vor welcher sich, besonders an den Abenden, beim Lichte der elektrischen Bogenlampen, die ganze mehr oder weniger elegante Welt des Kurortes ansammelt. Ein besonderer Vorzug des Kurparkes ist aber die Aussicht auf die hochragenden Gebirge der Umgegend. Unten mit dichtem Walde bedeckt, gipfeln diese Höhen in wilden, schroffen Felsen, die bei schöner Witterung jene die Schweizerberge so schön schmückende violette Färbung annehmen.

Ueber die Heilwirkung der Bäder, die namentlich gegen rheumatische Zustände empfohlen werden, können wir uns hier ausführlich nicht verbreiten. Sie werden ohne Ausnahme nicht in Wannen, sondern in Bassins genommen, durch welche das mäßig und wohlig warme Quellwasser fortwährend zu- und abfließt und durch seine spiegelhelle Klarheit einen höchst angenehmen Eindruck hervorbringt. In den Anlagen des Kurparks füllt es sogar ein geräumiges Schwimmbad für rüstigere Kurgäste. Schwache Patienten können sich durch Rollstühle oder Aufzüge in die Bäder befördern lassen und sind durch Gänge, die alle Gebäude verbinden, vor jedem Luftzug geschützt.

Bevor wir von Ragaz scheiden, müssen wir noch einer in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0525.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2022)