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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Thüre verfinsterte sich – Karlin’ war auf die Schwelle getreten, mit ihrem Knaben an der Hand.

Purtscheller richtete sich auf, und das Gesicht mit den Händen bedeckend, lehnte er sich schluchzend an den Barren.

„Mammi?“ fragte Tonerl. „Thut ’s Rösserl schlafen?“

„Ja, mein Herzerl!“ flüsterte Karlin’ mit versagender Stimme und drückte dem Kinde die Hand auf das Mündchen. Dann ging sie zu ihrem Mann, legte den Arm um seine Schulter, und während sie ihm sanft die Hände niederzuziehen suchte, lispelte sie: „Toni! Geh, komm! … Schau, komm mit ’rein ins Haus! … Geh, Toni, das kann ich gar net anschauen, daß Dich unsere Leut’ so sehen müssen! … Toni! … Geh, komm, laß Dich ’neinführen ins Haus!“

Er schob sie von sich, und während ihm die Thränen über die zuckenden Wangen kollerten, deutete er auf das verendete Pferd. „Da schau her! So meint’s der Himmel mit mir! Alles kommt über mich! Und ’s Liebste muß ich hergeben! ’s Allerliebste, was ich hab’!“

Sie sah ihn zu Tod erschrocken an. „Toni! Um Gottswillen! Thu Dich doch net versündigen mit so ei’m Wort!“ In verstörter Hast hob sie den Knaben vom Boden auf und hielt ihn dem Vater hin. „Toni!“ Thränen erstickten ihre Stimme. „Toni! … Geh, nimm Dein Kinderl! … Schau, is doch so was Lieb’s … ’s allerliebste, was D’ haben kannst … geh, schau, Toni, wie er Dich anlacht und wie er d’ Armeln streckt! … Geh, Toni, nimm Dein Kinderl!“

„Ja, is schon recht!“ Purtscheller fuhr mit der Faust über die Augen und murmelte: „So mach’ mir doch vor die Leut’ kein’ so Komödi her!“

„Toni!“

Reizte ihn der schmerzliche Vorwurf, der aus diesem Worte klang – oder wurde der erst halb ausgekochte Jähzorn wieder lebendig in ihm?

„In Ruh’ laß mich!“ schrie er. „Heut’ vertrag’ ich nix! … Alles geht z’ Grund umeinander! … Aber recht g’schieht mir! Ganz recht!“ Purtscheller schlug sich mit der Faust an die Stirne. „Ganz recht! … Wenn man der Esel is und den Bettel ’reinheirat’ ins Haus, kann man sich net beschweren, wenn er sich anfrißt an alle Wänd’, wie der Rost ans beste Eisen! … Ja, mein Büberl, ja, bedank Dich bei Deiner Mutter!“

Karlin’ mußte den Knaben zu Boden stellen – ihre Arme zitterten und waren plötzlich so schwach geworden, daß sie das Kind nicht mehr zu tragen vermochte. Mit fahlem Gesicht stand sie an die Mauer gelehnt und preßte die Hand auf ihre Brust, als wäre eine Lebensfaser ihres Herzens entzwei gerissen.

Die beiden Knechte und Zäzil drückten sich wortlos zur Stallthür hinaus – und Purtscheller gewahrte das versteckte Lächeln, das um die Lippen der Dirne zuckte.

„Ja, Madl, hast recht, daß D’ mich auslachst!“ Es fiel ihm ein, daß er versprochen hatte, der Magd zu kündigen. „Ah na! Jetzt grad’ mit Fleiß net! … G’scheiter, wer anderer ging’!“ … Mit tiefem Atemzug, als wäre ihm jetzt leichter geworden, trat er ins Freie und packte die Büchse. „Heut’ nacht komm ich net heim! Ich bleib’ in der Jagdhütten!“ rief er über die Schulter zurück. „Endlich muß ich mich doch auch wieder einmal in Ruh’ ausschlafen können und ein paar friedliche Stunden haben!“

Seufzend nahm er die Büchse auf den Rücken, trat durch die Hinterthür des Hauses in die Küche und wanderte müden Schrittes durch den Flur.

Als er in den Garten kam, blieb er stehen und blickte unschlüssig gegen das Haus zurück. Es war seinem Gesichte abzulesen, daß ihn nach all dem blinden Zorn eine Regung von Vernunft und Reue befiel.

Doch unwillig rückte er den Hut. „Ah was! … Sie muß ja doch wissen, daß ich’s net so mein’!“

Da hörte er von der Straße her das bitterliche Weinen eines Kindes.

„O jegerl! Was is denn?“

Er stieg über die Treppe hinunter und sah neben dem Straßengraben ein kleines Mädchen stehen, in hilflosem Kummer und das vom Weinen aufgedunsene Gesichtchen von Thränen überronnen. Vor dem Kinde lagen die Scherben eines irdenen Kruges in verschüttetem Oel.

„Ja Maderl! Was is denn geschehen? Warum weinst denn? Hast Dein Haferl fallen lassen?“

„Na! … Der Jud …“ schluchzte das Kind, „der Jud’ hat mich … umg’rennt … und hat mir … ’s Haferl derstößen!“

„Natürlich! Wieder der Jud’! … Aber geh, Butzerl, da mußt net weinen! Schau, der Schaden laßt sich ja wieder gutmachen!“ Purtscheller zog sein Taschentuch hervor, trocknete dem Kinde die Thränen von den Augen und schenkte ihm einen Thaler. „So, Schatzer!, da hast was! Da kaufst Dir ein neues Haferl und wieder ein Oel … und was Dir übrig bleibt, das legst in Dein Sparbüchserl, gelt?“ Lachend gab er dem getrösteten Kinde einen Klaps auf das Röcklein und ging seiner Wege.

Als er beim Krämer vorüberkam, wollte Rufel gerade aus der Hausthür treten; doch erschrocken fuhr der Alte bei Purtschellers Anblick zurück, verbarg sich hinter der Thüre und spähte durch die Spalte, bis das gefürchtete „Schießgewehr“ um die Ecke verschwunden war. Dann trat er auf die Straße und schüttelte kummervoll den Kopf.

„E so e Mensch! … Und de arme Frau!“

(Fortsetzung folgt.)


Das meteorologische Observatorium auf dem Brocken.

Die jüngst stattgehabte Feier der Einweihung der meteorologischen Warte auf dem Brocken hat dieser Schöpfung ein allgemeines Interesse zugelenkt. Es wird daher vielen Lesern der „Gartenlaube“ willkommen sein, über die Warte selbst und über die allgemeinen Gesichtspunkte, die bei Anlage und Unterhaltung derartiger der Wissenschaft dienenden Institute maßgebend sind, etwas Näheres in Erfahrung zu bringen.

Die Witterungskunde beruhte bis in die Mitte der siebziger Jahre fast ausschließlich auf Ergebnissen und Beobachtungen, die man in der Ebene oder höchstens an Orten gewann, die zwar an sich hochgelegen, im strengsten Sinne des Wortes jedoch keine Hochstationen waren. Die Ansicht brach sich immer mehr Bahn, daß zur weiteren Erkenntnis der atmosphärischen Vorgänge eine planmäßig eingerichtete Erforschung der höheren Luftschichten dringend geboten sei, und so säumte man denn nicht, dieser letzteren eingehende und fortgesetzte Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Es wurden zunächst an solchen Bergspitzen, wo die Verhältnisse hierfür günstig lagen, wie auf der Schneekoppe, dem Inselsberg und dem Brocken, die in den Hotels überwinternden Kellner bezw. Hausdiener in der Ausführung meteorologischer Beobachtungen eingeübt. Die Thätigkeit solcher Hilfskräfte kann selbstverständlich für die Wissenschaft nur dann von Wert sein, wenn die Beobachtungen mit der nötigen Zuverlässigkeit, Peinlichkeit und Regelmäßigkeit gemacht werden. Auf Berggipfeln, die während des Sommers stark besucht werden, sind nun die Hoteldiener derart beschäftigt, daß sie nur zu oft die ihnen anvertrauten Beobachtungen vernachlässigen. Namentlich auf dem Brocken ist der Fremdenverkehr so stark, daß einer der Hotelangestellten das ganze Jahr hindurch die Beobachtungen nicht ausführen kann, weshalb man sich im Anfange der achtziger Jahre damit zu behelfen suchte, daß im Sommer der amtierende Postgehilfe und im Winter einer der Kellner die Beobachtungen ausführte. Aber dieses Verfahren erwies sich als auf die Dauer nicht durchführbar, denn der Postbeamte sowohl als auch die auf dem Brocken bediensteten Kellner und Hausdiener wechselten fortwährend und von einer Stetigkeit der Beobachtungen konnte keine Rede sein.

Es waren demnach hinsichtlich der Personenfrage Gründe vorhanden, die es geboten erscheinen ließen, einen besonderen, Sommer und Winter auf dem Brocken wohnenden Beobachter anzustellen, der die Ausführung der Beobachtungen als seine Hauptaufgabe zu betrachten hätte, während die übrigen ihm zur Besserung seines Einkommens übertragenen Posten nur eine Nebenbeschäftigung bilden sollten. Dringend notwendig erschien es ferner, die Station mit besseren Instrumenten auszustatten, ein regelrechtes meteorologisches Observatorium zu erbauen. Die norddeutschen Sektionen des Deutsch-österreichischen Alpenvereins nahmen die Sache energisch in die Hand. Im Frühjahr 1895 war die ganze Angelegenheit schon so weit gediehen, daß mit dem Bau im folgenden Sommer begonnen, und am 1. Oktober desselben Jahres, also mit dem Eintritt der kälteren Jahreszeit im meteorologischen Sinne, die Beobachtungen von dem seitens des Königl. preuß. meteorol. Instituts als Beobachter angestellten Ludwig Koch aufgenommen werden konnten.

Jetzt durfte man auch daran gehen, die meteorologische Station 2. Ordnung, als welche der Brocken bislang galt, in eine solche 1. Ordnung und damit auch in ein eigentliches Observatorium umzuwandeln. Durch fortschreitende Vermehrung der Instrumente sucht man allmählich dies Ziel zu erreichen.

Das Observatorium selbst, wie es durch unsere Abbildung veranschaulicht wird, ist an der nördlichen Seite des Hauptgebäudes des Hotels angebaut und erhebt sich drei Stockwerke hoch über die nächsten Dächer der anliegenden Gebäude hinweg. Es enthält im Erdgeschoß und in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0539.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)