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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Mit inbrünstigem Crescendo klang es aus dem Garten der Schmiede:

„Du, Du, machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich Dir bin!“

Schorschl, der hinter dem Haus zu Füßen eines Apfelbaumes saß, hatte, als er das Lied zu Ende geblasen, die Trompete in den Schoß gelegt und blickte melancholisch vor sich nieder. Es war ein Ausdruck ehrlich quälenden Kummers in seinem Gesicht.

Bei seinem Brüten und Sinnen griff er nach einem der überreifen Aepfel, die vom Baum gefallen waren und im welken Gras umherlagen – und während er Stück um Stück von dem Apfel abbiß, suchte er mit grübelnden Gedanken nach einem Ausweg aus seiner „Schlemastik“.

Er hatte Angst vor seiner „Lustigkeit!“ Bei all den Sorgen, die ihn drückten, bei diesem vergeblichen Warten auf Arbeit drohte wieder der alte, ungeduldige Schorschl in ihm die Oberhand zu gewinnen. Die „Lustigkeit“ zuckte ihm in allen Gliedern und rollte in seinem Blut, sie zog ihn vom Amboß fort, hinüber ins Wirtshaus, hinunter zum Bach, hinauf auf die Berge – ganz besonders in die Gegend der Simmerau.

Er sah es klar und deutlich ein, daß er diesem prickelnden Zug auf die Dauer nicht widerstehen könnte, trotz all seiner guten, redlichen Vorsätze. Ja, er wollte ein braver, ordentlicher Kerl werden – ganz ehrlich wollte er das – aber er merkte auch, daß er das „Bravsein“ so ganz aus sich allein nicht fertig brächte. Er brauchte Hilfe dazu – die Hilfe der anderen! Und die wollten nicht kommen, wollten ihm die Hand nicht reichen!

„Hol’ s’ der Teufel alle miteinander, die mißtrauischen Geizkragen!“

In seinem Aerger schleuderte er den halb verzehrten Apfel wütend gegen einen Baumstamm, daß der Saft in Strahlen auseinanderspritzte.

Wenn nur wenigstens eine ihm die stützende Hand reichen möchte – eine einzige nur, meinte er.

„Die da droben!“

Wenn die an ihn glauben möchte! Die könnte alles aus ihm machen! Könnte ihn von innen heraus umkehren wie einen fleckig gewordenen Sonntagsrock, so daß die bessere Seite nach außen käme! Wenn die mit ihrem „süßen Stimmerl“ zu ihm sagen möchte: „Ja, Schorschl, ich bin net wie die andern, schau, ich hab’ noch ein bißl Vertrauen auf Dich, und meiner Seel’, ich möcht’s riskieren mit Dir! Aber gelt, Schorschl, das siehst doch ein, ich kann doch kein’ Lumpen heiraten, der bis über d’ Ohrwatscheln in Schulden steckt … schau, ich bin doch ein ordentlich’s Madl!“

„Ja, Vroni, da fehlt sich gar nix!“ So würde er dann sagen. „Ein brävers Madl, wie Du bist, giebt’s in der ganzen Welt nimmer!“

„No also, schau,“ müßte dann Vroni wieder sagen, „wenn’s Dir schon gar so viel z’ thun is um mich, so mußt Dich halt auch danach aufführen und ein bißl ein’ anderen aus Dir machen! Fest antauchen mußt halt, weißt, und die Geduld net verlieren … nachher geht’s schon! Mit dem richtigen Willen laßt sich alles machen in der Welt! Pack’s halt an, Schorschl, pack’s an! Und laß nur nimmer aus! Hast ja g’sunde Fäust’, und ’s g’scheite Köpfl fehlt Dir auch net! Und wenn Deine Schulden abg’arbeit’ hast und ich hab’ mich überzeugt, daß D’ ein anderer worden bist, so komm halt wieder und frag’ an bei mir! Und unter der Zeit, weißt, da därfst Dich schon diemal an mei’m Fensterl anschauen lassen für ein’ heimlichen Plausch, daß ich Dir wieder ein bißl Mut zusprich! So, und jetzt geh, Schorscherl, pack’s an!“

Ja, ja, ja! Wenn die da droben so zu ihm sprechen möchte, dann wäre ihm gleich geholfen! Dann hätte er doch ein Ziel vor Augen, einen Zweck, einen Halt, eine Freude bei der Arbeit! Dann wüßte er doch, wofür er sich plagen, schinden und gedulden sollte! Und dann hätte er auch gleich das Recht, für die kommende harte Zeit sich eine Wegstärkung mitzunehmen – würde jauchzend das Hütlein in die Luft werfen, sein Schätzlein in heißer Dankbarkeit umhalsen und ihm „eins ’naufdrucken aufs Göscherl, aber schon ein g’hörigs Bussel“ – eines, das ausgab für ein halbes Jahr!

„Herrgott sakra! Herrgott sakra!“

Während er sich das so vorstellte, wurde ihm ganz warm ums Herz, und seine Backen fingen zu brennen an – wie in der Esse die Kohlen, wenn der Blasbalg getreten wird.

Und weshalb sollte sie nicht so zu ihm sprechen? Wäre denn das so ganz unmöglich?

„Sie is doch so ein liebs und grundguts Madl! Und hat’s Herz am richtigen Fleck!“

Wenn er das „Sprüngerl“ in die Simmerau hinauf riskieren würde? Um ein offenes und ehrliches Wörtlein mit Vroni zu reden?

„Meiner Seel’! Ich thu ’s!“

Mit diesem Entschlüsse sprang er lachend auf, setzte die Trompete an den Mund und blies mit schmetternden Klängen das Liedlein:

„Maderl, Maderl, laß Dich fragen,
Thut für mich Dein Herzerl schlagen?
Geh, mußt net so heimlich sein,
Maderl, Maderl, g’steh’ mir’s ein!“

Lachend spähte er gegen die Simmerau hinauf und lauschte dem Echo.

Von neugestärkter Hoffnung erfüllt, kehrte er in die Werkstätte zurück und schmiedete mit lustigem Eifer noch ein paar überflüssige Hufeisen, bis der Abend sank und das Licht zu erlöschen begann.

Mit einer Sorgfalt, wie er sie seit langen Jahren nicht geübt hatte, räumte er die Werkstätte auf, schloß das Thor und versperrte die Hausthür.

Die Trompete unter der Joppe verbergend, wanderte er durch die Dämmerung bergan und pfiff dazu in hoffnungsreichem Seelenvergnügen eine heitere Weise vor sich hin.

Der Wind hatte umgeschlagen. Unruhig und frostig blies er im sinkenden Dunkel über die Berggehänge hernieder und verkündete einen der jähen Wetterstürze, wie sie dem Herbst in den Bergen eigen sind. Wohl zitterte in der Höhe des Himmels der freundliche Schein zerstreuter Sterne aus dem tiefen Blau hervor, und die nordöstlichen Bergspitzen waren angehaucht vom matten Silberglanz des steigenden Mondes; doch von Südwesten hob sich eine langgestreckte schwarze Wolkenschicht hinter den Felswänden empor und verschlang einen leuchtenden Stern um den andern. Vorgeschobene Nebelstreifen griffen nach allen Seiten aus, verschleierten den Mond, erstickten sein Licht und stülpten die Wetterkappen über alle Spitzen und Grate.


9.

In der Simmerau waren sie schon zu früher Abendstunde schlafen gegangen, gebrochen und müd’ von der angestrengten Arbeit.

Am verschobenen Balkenrost und am niedergebrochenen Verhau der Böschung war freilich nur wenig gebessert worden. Dafür aber waren die Eisenschlaudern in die zersprungene Mauer eingesetzt, die Wandnarben waren mit Mörtel überstrichen, und noch in der Dämmerung hatte Mathes die ganze Rückseite des Hauses frisch geweißt, damit der Vater am Morgen wieder eine schöne, tadellose Mauer sehen möchte.

Vor dem Schlafengehen waren sie noch eine Weile unter der Hausthür gestanden und hatten hinuntergelauscht ins Thal, wo das aus dem unterhöhlten Berg hervorströmende Wasser schwächer zu rauschen, also auch spärlicher zu fließen schien.

„’s Wasser wird weniger mit jedem Tag,“ hatte Mathes gesagt, „das hilft uns, Vater!“

„So? Meinst? … Ja ja, hast recht, wenn ’s Wasser weniger wird, kann’s unt’ drin im Boden nimmer so gar viel ausfressen!“

Und einen zweiten Trost hatte ihnen der schneidend kalte Wind und der Anblick der aufsteigenden Wolken gebracht.

Mathes hatte gleich die ersten Nebelflocken gewahrt, welche hinter den Felswänden emportauchten. „Da schau ’nauf, Vater! Da kommt was, mein’ ich, was Dir g’fallen könnt’!“

„G’fallen? Aber Bub? Was redst denn? Die schauen sich ein bißl naß an … und ich fürcht’, sie lassen fallen!“ So hatte Michel gesagt; aber aus dem zögernden Klang seiner Worte hatte die Hoffnung herausgeredet, daß er Widerspruch finden möchte.

„Fallen lassen s’, meinst? Ja! Aber kein Wasser net! Schau nur, wie hinter’m Nebel die schweren Wolken nachdrucken … völlig bleifarben … kannst mir’s glauben, Vater: die tragen Schnee!“

„Ja ja … jetzt glaub’ ich’s schon bald selber!“

„Paß auf! Die bringen über zwei, drei Tag’ den richtigen Winter! Und d’ Ruh’ für uns.“

„D’ Ruh’ für uns!“ hatte Michel leise wiederholt. Und die dürren, zitternden Hände faltend, hatte er zum Himmel aufgeblickt und hatte, als wäre ihm ein besseres Gebet nicht eingefallen, ein

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