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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

nur in Hangtschan, einer Stadt in der Nähe von Ningpo, habe ich erfahren, daß viele dortige Männer in ihren Heiratskontrakten die „goldenen Lilien“ nicht mehr erwähnen, daß sie also die verkrüppelten Füße der Braut nicht mehr vorschreiben. Ich habe mit vielen Chinesen über diese entsetzlichen Martern, welche die armen Frauen ausstehen müssen, gesprochen, aber die meisten lächelten und meinten statt jeder weiteren Antwort, es wäre eben Sitte. Ein aufgeklärter Kaufmann in Shanghai stellte statt aller Antwort eine Gegenfrage auf: „Verkrüppeln denn Ihre europäischen Damen nicht auch ihre Füße, verkrüppeln sie nicht ihre Körper, indem sie dieselben ebenso zusammenzwängen wie unsere Frauen ihre Füße?“

In dieser Hinsicht sind die Frauen der Tataren und Mandschuren viel besser dran. Die Fußverkrüpplung kommt bei ihnen nicht vor, es genügt ihnen, ihre an und für sich sehr kleinen, wohlgesinnten Füßchen in zierliche Pantöffelchen zu stecken, und sie finden doch ihren Mann. Da die herrschende Kaiserdynastie einem Mandschurengeschlechte entstammt, so besitzt auch die Kaiserin von China keine verkrüppelten Füße, und am ganzen Kaiserhofe ist diese Unsitte unbekannt. Bei Anfgängen tragen die Mandschurenfrauen unter ihren schön gestickten Pantöffelchen noch stelzenartige Holzstöckchen, wie wir sie auf der nebenstehenden Abbildung erblicken, zum Schutz gegen den Straßenschmutz.

Mandschurenfrau.

Nach meinen Erkundigungen bei Chinesen ist es unrichtig, anzunehmen, daß die Fußverkrüppluug von den Männern verlangt wird, um die Frauen an das Haus zu fesseln und ihnen die Möglichkeit zu Ausgängen etc. zunehmen. Sie ist einfach Modesache, deren Entstehung noch von niemand erklärt worden ist. Uebrigens können sich viele Damen Chinas trotz ihrer „Hemmschuhe“ erstaunlich gut fortbewegen. Freilich sah ich einmal in Nanking eine Dame, welche vor ihrem Hause von einer Dienerin aus der Sänfte gehoben und auf dem Rücken in das Innere getragen wurde, geradeso wie die Fellachenweiber ihre Kinder auf dem Rücken tragen. In Chinkiang sah ich mehrere Sklavinnen, welche ihre reich geputzten Herrinnen in derselben Weise über die Straße in ein Freundeshaus trugen. Die Damen hatten ihre Arme um den Nacken der Trägerinnen geschlungen, und die letzteren hielten ihre Lasten wieder dadurch, daß sie, mit ihren Händen nach rückwärts greifend, die Schenkel der Damen unterstützten. Die „goldenen Lilien“ waren unter den Kleidern auf beiden Seiten der Sklavinnen sichtbar. Gesprächsweise erwähnte ich dies einem im Innern von China wirkenden Missionär gegenüber. Dieser, seit einer Reihe von Jahren dort thätig und mit dem Leben der Chinesen eng vertraut, erzählte mir seinerseits, er hätte schon viele Chinesinnen kennengelernt, die ungeachtet ihrer verkrüppelten Füße ohne Schmerz beträchtliche Strecken weit gehen konnten. Eine derselben war jeden Sonntag von ihrer mehrere Kilometer weiten Wohnung zum Gottesdienst in die Kirche gekommen und wieder zu Fuß heimgekehrt. Viele Hausfrauen haben bei ihren häuslichen Verrichtungen in den zumeist sehr geräumigen Wohnungen mit ausgedehnten Gärten, Höfen u. s. w. täglich recht viel zu gehen, so daß der Einwand, die verkrüppelten Füße hinderten am Gehen, keineswegs richtig ist.

Die Toilette der vornehmen Chinesinnen ist in Schnitt und Farbe jener der niederen Stände ähnlich, aber mit farbigem Besatz und den prächtigsten Stickereien reich verziert. Die Aermel sind weiter und länger, so daß bei herabfallenden Armen sogar die Hand davon bedeckt wird. Ein steifes Nackenband mit Stickereien hält den Faltenwurf in Ordnung, und auf der Brust sind dieselben Stickereien von Bären, Drachen, Reihern, Pfauen u. s. w. zu sehen, welche ihr Gatte je nach seinem Mandarinsrange tragen darf. Ueber dem Beinkleid tragen die vornehmen Damen Chinas noch einen langen blauen Rock, der bis an die Füße reicht und au den Hüften festgehalten wird. Das gestickte blaue Oberhemd fällt über diesen Rock bis nahe an das Knie herab. Jede Seite des Unterrockes zeigt sechs senkrechte Doppelfalten, und auf die Vorder- und Rückseite sind viereckige Stücke aus den schwersten Seidenstoffen aufgenäht, welche die herrlichsten und zartesten Stickereien tragen, Arbeiten, welche unsere Damen in Helles Entzücken versetzen würden. Sie, sowie der Kopfputz und die Füße bilden den Stolz der chinesischen Frauenwelt. Auf Schmucksachen, ausgenommen Ohrgehänge und Armspangen aus Halbedelsteinen, Perlen oder Edelmetall, wird kein besonderer Wert gelegt. Hüte sind auch bei vornehmen Damen unbekannt; ebensowenig tragen sie Kopftücher oder Schleier. Der Kopf ist, wie schon oben erwähnt, stets unbedeckt und unverhüllt. Nur wenn Mandarinenfrauen zu Festlichkeiten an den Kaiserhof befohlen werden, erfordert die ungemein strenge Etikette, daß sie dieselben Hüte mit denselben Rangabzeichen tragen wie ihre Männer. Die Mandschnrenfrauen Pflegen ihr Haar auch mit Bändern und Blumen zu schmücken.

Viele Damen finden Gefallen daran, die Fingernägel des dritten und vierten, zuweilen auch des kleinen Fingers der linken Hand ein paar Centimeter lang wachsen zu lassen. In einem Buddhatempel zu Shanghai sah ich einmal eine Dame mit derartigen etwa fünf Centimeter langen grauen Fingernägeln, die gegen die Spitze zusammengeschrumpft waren und keineswegs einen appetitlichen Anblick darboten. Im Hause werden die Nägel durch zierlich ornamentierte Fingerhüte aus Gold oder Silber geschützt, die nach unten zu offen sind. Es blieb mir unverständlich, auf welche Weise die chinesischen Damen Hände und Gesicht waschen konnten, auf welche Weise sie auch ihre Zeit verbrachten, denn Handarbeiten mit derartigen Krallen sind ausgeschlossen, und mit dem Romanlesen ist es im Reich der Mitte schlimm bestellt!

Die kostbarsten Juwelen werden von den Damen im Haar getragen. Ueberhaupt gefiel mir an ihnen der Kopfputz am besten, denn die Gesichter sind gewöhnlich mit einer dicken Schicht Puder bedeckt, über welche die Damen noch eine ebenso dicke Schicht von Rot legen, das bis an die Augenbrauen reicht. Sie suchen diese Malerei auch durchaus nicht zu verbergen, sie ist ehrlich, offen und dick aufgetragen, und gewiß kann sich niemand rühmen, eine chinesische Dame jemals zum Erröten gebracht zu haben. Die Augenbrauen werden zuweilen ausgezupft oder abrasiert, stets aber mit Holzkohle derart nachgezeichnet, daß sie etwa die Form des Mondes an den ersten Tagen nach Neumond besitzen. Was Wunder, daß mir unter solchen Umständen das Haar am besten gefiel! Auch hier werden falsche Haare zu Hilfe genommen, ganz so, wie es bei Damen, die unseren Rassen näher stehen, zuweilen auch der Fall sein soll. Nur ist es den Chinesinnen leichter, die Haarfarbe des Chignons zu treffen, denn sie sind durchweg rabenschwarz. Eine blonde oder rote Chinesin würde vielleicht größeres Aufsehen erregen als die siamesischen Zwillinge. Junge Mädchen tragen das Haar lang herabfallend. Frauen verleihen ihrem gewöhnlich sehr üppigen Haarwuchs erhöhten Glanz dadurch, daß sie es in harzigen Flüssigkeiten baden und sorgfältig kämmen. Haarbürsten sind den orientalischen Völkern unbekannt.

Durch Zufall sah ich einmal mit Hilfe des Feldstechers der Haartoilette einer Dame zu – eine gewiß verzeihliche Indiskretion, wenn man bedenkt, daß ich sie nur in ethnographischem Interesse und um die Europäerinnen vielleicht etwas Neues zu lehren, beging. Die blatternarbige „Schöne“ saß auf ihren Fersen auf dein Boden. Sie kämmte ihr reiches Haar von der Stirne glatt zurück und hob es etwas vom Kopfe dadurch, daß sie einen Finger darunter hielt. Dann wurde der flache Haarstrang am Scheitel nach voru umgebogen, so daß er eine Schleife bildete, und mit einer langen Nadel festgesteckt. In ähnlicher Weise bildete sie mit dem Seitenhaar Schleifen, die weit vom Kopfe abstanden, und steckte sie am Scheitel mit Nadeln fest. Dann schmückte sie das Haar mit Juwelen und Blumen, von denen die hübscheste in ein kleines schmales Gesäß gesteckt wurde, das sie in dem Haar verbarg.

In den mittleren Provinzen Chinas wird das Haar von rückwärts nach auswärts gekämmt und in einem hohen, vom Kopfe abstehenden Bogen nach vorn geführt, wo es festgesteckt wird. Ein chinesischer Poet besingt eine Schöne mit folgenden Worten: „Wangen wie die Mandelblüte, Lippen wie die Pfirsichblüte, den Leib wie ein Weidenblatt, Augen, so munter wie in der Sonne glitzerndes Wassergekräusel, und Füße wie die Lotosblume.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0563.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)