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Morgenlandsfahrt, in welcher der fröhliche, sinnige, fromme Dichter kühnlich untertaucht in die Welt und jauchzend emporfliegt zu Gott. Ich habe nie etwas Schöneres über Reisen ins heilige Land gelesen als dieses Sonettenbuch, wovon vor zwei Jahren eine erweiterte und mit wertvollen Noten versehene Ausgabe in Leipzig erschienen ist.

Als dieser monatelange Morgenlands-Sonntag vorüber und der Dichter wieder heimgekehrt war in die Wienerstadt, ging freilich der prosaische Werktag an. Hans mußte sich einspannen lassen ins Zeitungsjoch, das für die Entfaltung dichterischer Talente sich oft so hinderlich erweist. Doch wußte er diesem Amte bald die für ihn ansprechendste Seite abzugewinnen; er wurde Feuilletonist und Kunstreferent. Als solcher ward Grasberger wiederholt nach Italien entsendet, in dessen sonnigem Leben und Weben seine dem Klassischen zugeneigte Seele schön und ebenmäßig ausreifte. Da brachte er stets feine Sachen mit heim, so Nachdichtungen von Michelangelo, eigene Poesien, die in den Sammlungen „Singen und Sagen“, „Aus dem Karneval der Liebe“, „Licht und Liebe“, „Ein Triptychon“ enthalten sind. Die Gedichte aus verschiedenen Lebensepochen sind natürlich nicht von gleichem Werte, mehr gedanklich als anschaulich, mehr tiefgründig als volkstümlich, aber stets von hoher Weltanschauung durchleuchtet.

Doch hat der Dichter in der südlichen Sonne nicht der schattenernsteren Heimat vergessen. Daß er in seinem Empfinden ein kerniger Aelpler geblieben, das bewies er bewundernswert durch seine Gedichte in steirischer Mundart. Die Sammlungen „Zan Mitnehm“, „Nix für ungut“, „Plodersam“, „Geistlingschichten“ sind an wahrer Volkstümlichkeit in Gehalt und Form nicht übertroffen, vielleicht nicht erreicht. Grasbergers „Vierzeilige“ sind nicht mehr Nachahmung des Schnaderhüpfels, sie sind das Schnaderhüpfel selbst; sie sind voll natürlicher Lebenslust und volkstümlicher Weisheit.

Wie schlicht weiß der Dichter die Innigkeit „heimlicher Lieb’“ zum Ausdruck zu bringen:

„I han a schöns Dirndl,
I nenn’s aber nöt,
I siach’s wohl bein Leut’n steh’n,
Kenn’s aber nöt.“

Dann will ich fragen, was man zu den trutzigen Herzklängen unglücklicher Liebe sagt:

Mit Nagerl und Rosmarin
Stöck i ma ’s Miada voll,
Daß Koani nöt mirk’n soll,
Wia-r-i valass’n bin.

Hiaz thua-r-i erst recht und röd
Wia-r-in da liabstn Zeit –
A hamlini Schadenfreud’
Gun i enk nöt!

In schwerem Weh nicht ein bißchen sentimental! So ist der Naturmensch draußen in den Waldbergen. Hierher gehört auch das folgende:

Wann er hoamkem wöllet,
Han i eahm frag’n lass’n –
Er hätt’ draußtn z’schaff’n,
Hat er sag’n lass’n.

Ob i eahm nachkem därfet,
Han i eahm schreib’n lass’n,
Er hat hintagschrieb’n,
Das söllt i bleib’n lass’n.

Er söllt net gar so sein,
Han i eahm bitt’n lass’n,
Und er: was broch’n war,
Das söllt i kitt’n lass’n.

Und wia-r aft ’s Kind is kömen,
Han i eahm ’s sech’n lass’n.
Aft is er fort von Ort
Und hat uns grech’n lass’n.[1]

Thatsächlich ist Grasberger als Mundartdichter weiter bekannt denn als hochdeutscher Sänger und Erzähler. In letzterer Richtung hat er sich langsam entwickelt. Er dürfte zu jenen allmählich wachsenden Naturen gehören, die erst in späteren Jahren jung werden. Bei unserem Hans kam zuerst der Philosoph, dann der Dichter, und dann erst – der Bräutigam. Heute mit sechzig Jahren erfreut er sich eines jungen, glücklichen Familienlebens. – Als Geschichtenerzähler hat er etwas lange auf sich warten lassen, seine Popularität ist eine aufsteigende und dürfte sein siebzigster Geburtstag einen größeren Kreis von Verehrern um ihn versammeln, als es vor kurzem der sechzigste am 2. Mai zu Wien gethan hat. Die ersten Erzählungen unseres Dichters waren in einem etwas schwerfälligen Schritt dahergekommen, die Sprache war zu gesättigt an Gedanken, zu behäbig, gerne an Nebenbildern verweilend. Man kam beim Lesen nicht weiter, jeder Satz verlangte ein Nachgrübeln für sich und darauf ist die heutige Leserwelt schon einmal gar nicht eingerichtet.

Doch ist die Philosophenfeder bald künstlerisch geworden und mit mancher Erzählung kann – was die formliche Vollendung angeht – unser Poet getrost mit den modernen Meistern des Stiles in die Schranken treten. Die Dorfgeschichte, die bürgerliche Erzählung, die Künstlernovelle weiß er mit gleichem Geschick zu meistern. Sollte in Grasbergers Geschichtenbüchern „Aus der ewigen Stadt“, „Auf heimatlichem Boden“, „Neues Novellenbuch“ nicht auch der strenge Recensent manchmal ein wohlgefälliges „Ah!“ von sich geben und sagen: ein hochgebildeter Geist! aber nicht das allein! – Die reizendste aller Grasberger-Geschichten erschien im vorigen Jahre zu Leipzig. Sie betitelt sich: „Maler und Modell“. Es ist eine Barockgeschichte aus Steiermark, so zierlich, so leuchtend und so herzig, wie die Litteratur seines Heimatlandes eine ähnliche nicht aufzuweisen hat.

Darf man bei dieser Gelegenheit auch einige Worte über des Dichters Persönlichkeit sagen?

Der kleine untersetzte Mann mit dem schönen Haupte, mit dem Auge, aus dem der Geist und die Güte leuchtet, aber auch Kampflust, wenn es gilt, mit beredtem Munde Rechtes zu verteidigen. Den Mann als Festredner zu hören! Das ist mehr als rhetorischer Erguß, es ist das volle, warme Ausleuchten einer Persönlichkeit. Eines Tages hörte ich ihn sprechen gegen die Korruption in der Kunst. Ich habe einmal bei nächtlicher Stunde den Ausbruch des Vesuv gesehen – diese Rede des sonst so sanften Hans hat mich daran erinnert. Oft, wenn es sich um gemeinnütziges Wohlthun handelt, reißt die Glut des sechzigjärigen Feuergeistes alle mit sich und der Idealist wird zum praktischen Rater und Thater. Wo es sich jedoch um eigenen Vorteil, um Anerkennung handelt, da ist unser Poet unentschlossen, säumig, zurückstehend und gelassen verzichtend. Wenn er heute gleichwohl zu den angesehensten, nicht aber zu den populärsten Dichtererscheinungen Deutschösterreichs gezählt wird, so ist das sein Verdienst und ein wenig auch – seine Schuld. Zur Zeit, da dieser und jener ein moderiges Phosphorleuchten für Morgenröte ausgiebt, soll ein echter Dichter sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.

Und nun gönn’ ich meinem lieben Freunde selber das Wort, daß er in einem Stücklein aus seinem Leben den Lesern der „Gartenlaube“ erzähle, wie er für einen Teil seines Schaffens die Richtung empfing.


  1. Uns einfach selbst überlassen.


Wie ich meine Mundart entdeckte.

Von Hans Grasberger.

Ich hatte bereits das richtige Schwabenalter erreicht und ahnte noch nicht, daß auch ich zum Dialektdichter „berufen“ sei. Nach mannigfachen und großen Umwegen fand ich mich selbst erst und auch das mundartliche Börnlein in meiner Brust. Einmal entdeckt und geweckt, sprang dieses dann allerdings munter hervor, und es wurde auch als klar und echt anerkannt; es hatte aber nur einen kurzen Lauf, und es spiegelte sich keinesweges die ganze heimische Gebirgswelt darin.

Noch wirkt in Klagenfurt ein Gymnasialprofessor, der mich als Studentlein kannte, das sich sichtlich bestrebte, erzählend die halbvergangene Zeit einzuhalten. Ein befreundeter hochgestellter Geistlicher will sich noch erinnern, daß ich mich als fertiger Jurist und junger Leitartikelschreiber einer kernigen Ausdrucksweise beflissen. Mit der Advokatenkanzlei verdarb ich’s unter schadenfrohem Gelächter sämtlicher Kollegen durch eine „poetische“ Satzschrift[1] – es war dies eine „Einrede“, in welcher ich das endlos wiederkehrende formelhafte „Ich widerspreche“ teilweise durch sinnverwandte Ausdrücke ersetzt hatte, der Abwechslung halber. Nach meiner Orientfahrt wollte man meinem Stil zunehmendes Kolorit zuerkennen, und eine Weile danach fiel seitens eines namhaften norddeutschen Germanisten und Lexikographen das gewichtige Lob, daß ich zu denjenigen zähle, die in Süddeutschland „sprachbildend“ wirken.

In Rom traf mich Abbate Liszt auf meinem Dachstübchen, zu welchem die Wipfel des Quirinals hereingrüßten, über den Nachdichtungen der „Rime di Michelangelo“, und mein Uebersetzungseifer wollte in rascher Folge auch an die „Göttliche Komödie“, an Lorenzos de’ Medici lyrische Poesien und an die Satiren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0570.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2024)
  1. Satzschriften heißen in Oesterreich die Eingaben der Parteien im civilrechtlichen Verfahren.