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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Finger in einer Masche des Vorhangs, um den Abstieg zu bewerkstelligen. Unentschieden ist es geblieben, was mich mehr verdrossen: der neue Riß in der mühsam zusammengeflickten Gardine oder die Frechheit, mit welcher der Affe die beiden Hälften grinsend vor mir auseinanderbreitete.

Vielleicht hätten diese Vorkommnisse mein Gemüt noch mehr erschüttert, wenn ich nicht gerade damals auf der gefurchten Stirn meines Mannes schwere Sorgen gelesen hätte. Die Erfahrung, daß über einem großen Leid die Nadelstiche des Lebens ihre Wirkung verfehlen, trat eben auch an uns heran.

Eines Tages erschien mein Mann zu ungewohnter Stunde in meinem kleinen Zimmer, und die Art, mit der er seinen Arm um meine Schulter legte, bekundete mir, daß er „irgend etwas wolle“, zu dessen Erreichung persönliche Liebenswürdigkeit ins Feld geführt werden müsse.

„Liebe Alte“ – eigentlich war ich durchaus nicht alt – „mir ist heute ein Gedanke gekommen. Möchtest Du nicht die Tante Kunigunde von Böhmer für einige Wochen zu uns einladen?“

„Aber, lieber Ernst, zu alldem andern auch noch Deine Tante Kunigunde?“

„Liebes Kind! Wem der Raps ausgefroreu, die Erbsen vertrocknet und zwei Kühe toll geworden sind – der nimmt auch noch den Besuch einer Tante mit in Kauf.“

„Aber, traut’ster Mann, was haben wir von dieser zugeknöpften, schweigsamen und sicher sehr anspruchsvollen Tante?“

„Möglicherweise haben wir sehr viel von ihr; verstehst Du mich denn noch immer nicht?“ – –

„Du meinst?“ – – –

„Ja, ich meine. … Die Tante hat, wie ich weiß, viel Geld in ausländischen Papieren, und besser als diese Ausländer sind heimatliche Hypotheken! Liebe Alte, thue es! Ich lasse Dir das Eßzimmer altdeutsch tapezieren, denke Dir, mit Holzgetäfel! Ich kaufe Dir einen Eisschrank, ich erhöhe Dein Wirtschaftsgeld wegen der Tante; aber bitte, bitte, thue es! Schreibe heute noch – gleich – und wenn sie der Einladung folgt, so setze Deine beste Haube auf, nimm Deine lieblichste Miene an, rede in Deiner sanftesten Sprache, und, wie Du einst mich, den Lieutenant, berückt hast, so berücke mir jetzt „det Generalke!“

„Um Gotteswillen, lasse die Kinder den Spitznamen nicht hören,“ war alles, was mir zur Antwort einfiel.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.

Der neue Lukas Kranach im Leipziger Museum. (Zu dem Bilde S. 581.) Zu den in neuerer Zeit ans Licht gezogenen Werken alter Meister ist jüngst als einer der hervorragendsten Funde eine eigenhändige Bildnisschöpfung des älteren Lukas Cranach (1472 bis 1553) gekommen, die aus dem Besitze der Leipziger Stadtbibliothek in den des dortigen städtischen Museums der bildenden Künste übergegangen ist. Dies Porträt, das unser Holzschnitt auf S. 581 wiedergiebt, hat als ganz neu aufgefundenes Werk jenes Meisters nicht nur Wert für die Kunstgeschichte im allgemeinen, sondern wegen seiner auch dem Laien sich offenbarenden Schönheit noch für die Würdigung des Malers im besonderen. Das Bildnis ist auf eine Tafel aus Lindenholz, das der ältere Cranach als Malgrund bevorzugte, von 0,405 Meter Höhe und 0,282 Meter Breite, gemalt und vorzüglich erhalten. Es zeigt uns auf dunklem Hintergrunde die Halbfigur eines jungen Mannes von fünfundzwanzig bis höchstens dreißig Jahren. Das lockige Haupt bedeckt eine graue, mit Hasenfell verbrämte Mütze; über dem reich gemusterten schwarzen Wams, das auf der Brust das mit einer zarten Kante bestickte Hemd sichtbar werden läßt, trägt er eine am Kragen mit schwarzem Pelz umsäumte braune Schaube. Durch deren Aermellöcher hat er die Arme hindurchgesteckt, die Hände hält er gefaltet. Sem Gesicht ist bartlos und trägt einen träumerisch-sinnenden Ausdruck, der ihm in Verbindung mit den treuherzig in die Welt blickenden Augen etwas einnehmendes verleiht und uns darauf schließen läßt, daß der Betreffende ein lauteres und biederes Wesen besessen haben muß. Unter der Mütze fallen beiderseits ein paar Locken über die Schläfen herab; die Hautfarbe ist in einem zartbräunlichen, etwas ins Violette hinüberspielenden Kolorit gehalten. Das Bildnis verrät eine große Kunst der malerischen Darstellung und eine wunderbare Gabe der Charakterisierung. Zur Bezeichnung des Malers fehlt allerdings das bekannte Monogramm des älteren Cranach: die geflügelte Schlange mit dem Ring im Rachen, auf der Tafel; dafür geben uns jedoch zwei aus verschiedenen Jahrhunderten stammende Inschriften auf ihrer Rückseite über den Verfertiger des Bildes wie über den Dargestellten Auskunft.

Am oberen Rande steht: „Meines Großvaters Gerhart Vollk Contrafei Kurtz hernach als er sein erst weib geeheliget ist abgemalet anno 1518 vom alten Lucas Chranach.“ Die Mitte der Tafel trägt von anderer, die Schriftzüge der Reformationszeit verratenden Hand die Jahreszahl: „Anno domini XV c XVIII“ und noch weiter unten liest man, augenscheinlich von derselben Hand: „Meister Lucas in Wittenberg seyn selbsthand 1518.“ Die Inschrift am oberen Rande rührt vermutlich von dem urkundlich festgestellten Wittenberger Amtsschreiber Abel Volk her, der sich 1604 mit einer Urenkelin Lukas Cranachs des Aelteren vermählte. Es ist nicht mehr festzustellen, wie und wann das Gemälde auf die Leipziger Stadtbibliothek gekommen ist. Ihr Oberbibliothekar, Dr. Wustmann, entdeckte es; dem Direktorialassistenten des städtischen Museums, Dr. Julius Vogel, aber gebührt das Verdienst, das Bild als ein unzweifelhaft echtes Werk des älteren Cranach bestimmt und es für diese Galerie erworben zu haben, die außerdem noch ein anderes hervorragendes Gemälde desselben Meisters enthält: die ebenfalls aus dem Jahre 1518 stammende, schon von Goethe gepriesene „Sterbescene“. Th. K.     

Niederrheinische Feste. (Zu dem Bilde S. 584 und 585.) An demselben Tage, dem 7. August, haben in zwei niederrheinischen Städten bedeutungsvolle Festlichkeiten stattgefunden, zu denen Kaiser Wilhelm II. und die Kaiserin Auguste Viktoria ihr Erscheinen in Aussicht gestellt hatten. In Wesel handelte es sich um die feierliche Einweihung der wiederhergestellten, aus dem 12. Jahrhundert stammenden protestantischen Willibrordikirche und in Ruhrort um die Enthüllung des von Eberlein geschaffenen Denkmals für Kaiser Wilhelm I. und den Fürsten Bismarck. In letzter Stunde traf leider die Nachricht ein, daß Kaiser Wilhelm II. sich erkältet habe und auf ärztlichen Rat von der Fahrt Abstand nehmen müsse; die Kaiserin aber – wurde hinzugefügt – werde die Reise programmmäßig ausführen und von ihrem Schwager, dem Prinzen Heinrich, als Vertreter des Kaisers begleitet werden.

Am Tage des Festes langte der Kaiserzug kurz nach 91/2 Uhr vormittags von Oberhausen in Wesel an, wo nun die Feierlichkeiten den vorgesehenen Verlauf nahmen. Dann erfolgte unter dem Salut der Festungsgeschütze die Abfahrt der hohen Gäste auf dem Rhein-Salondampfer „Deutscher Kaiser“ nach Ruhrort, wo das Schiff gegen 21/2 Uhr im Hafen am Eisenbassin landete.

Die Kreisstadt Ruhrort liegt an der Mündung der Ruhr in den Rhein, wo sich auch der 4,5 Kilometer lange Ruhrkanal nach Duisburg abzweigt. Gegenüber am anderen Rheinufer ist die Station Homberg der Ruhrort–Krefelder Bahn, und zwischen beiden Orten werden die beladenen Eisenbahnwagen mittels einer großartigen Trajektanstalt über den Strom geführt. Ruhrort ist ein Hanptstapelplatz des Handels mit Steinkohlen nach Holland und dem Mittel- und Oberrhein und der Sitz einer hochentwickelten Jndustriethätigkeit.

Es ist ein Emporium der Arbeit und des Weltverkehrs, und aus ganz kleinen Anfängen haben sich seit 1822 die Binnenschiffahrtsanlagen an der Ruhrmündung zu den größten Verkehrsvermittlern entwickelt. Ruhrort besitzt heute den größten Binnenhafen des Kontinents; die großartigen Hafenanlagen sind 7,5 Kilometer lang und hatten 1894 einen Orts- und Durchgangsverkehr von etwa zwölf Millionen Tonnen aufzuweisen.

Der Rundfahrt im Hafen und Flottenparade ging die Denkmalsenthüllung voran, die programmmäßig verlief. Nachher bestieg die Kaiserin mit dem Prinzen den Hafendampfer „Düssel“, den eine goldene Krone überragte und der mit seiner prächtigen Ausschmückung den Eindruck eines altvenetianischen Prunkschiffes machte; der Dampfer „Erft“ nahm das Gefolge auf. Nun begann die Dampferfahrt durch den Außenhafen, den Süd-, Nord- und Kaiserhafen. Salutschüsse erschollen, doch das Donnern der Geschütze wurde fast noch übertönt von dem Jubel der überall am Ufer wahrhaft beängstigend dichtgedrängten Menge, mit dem sich die von den Schiffen erklingenden Hurras einten. Von einer Art Kommandobrücke konnten die Kaiserin und ihr Schwager, der die Marineuniform trug, in bequemster Weise das in seiner Art einzig dastehende Schauspiel genießen, das ihnen nunmehr geboten wurde und das der Stift unseres Zeichners im Bilde wiedergibt.

Alle die großen Firmen und die verschiedenen bedeutenden Gesellschaften, deren Schiffe den Rhein befahren, hatten sich vereinigt, um diese Flottenparade bei Ruhrort zu ermöglichen, die den hohen Gästen vor ihrem Scheiden von der betriebsamen Stadt gewissermaßen in einem einzigen Blick die hohe Bedeutung des Verkehrs auf Deutschlands schönem Strome und der rheinisch-westfälischen Industrie, in deren Diensten die überwiegende Mehrzahl jener Fahrzeuge steht, anschaulich machen sollte. Und dies Vorhaben ist in glänzendster Weise gelungen. Die zur Parade hier versammelten Schiffe, an denen das Kaiserschiff nun vorüberzog, waren alle, mehrere hundert an der Zahl, in Stromlinie verankert. Fürwahr eine stolze Reihe! Ein Dampfer lag neben dem anderen, hier die großen Schleppdampfer der Firmen Haniel, Stinnes u. a., dort die gewaltigen Kolosse, welche den unteren Rhein wie auch den Ocean

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0595.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)