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Die Gartenlaube.

Beilage zu No 35. 1896.


Die Katastrophe zu Schmilka in der Sächsischen Schweiz. Am 1. August gingen schwere Wolkenbrüche in Oesterreich-Ungarn, wo namentlich Wien und seine Umgebung hart heimgesucht wurde, und in Belgien, in Württemberg wie in einem Teile der Sächsischen Schweiz nieder. Hier ist über den kleinen Ort Schmilka, der dicht an der böhmischen Grenze liegt und nur 280 Einwohner zählt, an jenem Tage ein bedauerliches Unglück hereingebrochen. Gegen Abend entlud sich in der Gegend ein schweres Unwetter, das südlich vom Großen Winterberge in einen Wolkenbruch ausartete. Ungeheure Wassermassen ergossen sich teils in der Richtung nach der Edmundsklamm und nach Herrnskretschen, teils nach Schmilka zu mit unheimlicher Gewalt thalabwärts. In letzterem Ort vernahmen die erschreckten Bewohner gegen halb neun Uhr plötzlich ein unheimliches, mit Blitzesschnelle näher kommendes Sausen und Brausen: der längs der Dorfstraße, beziehungsweise unter ihr entlang laufende Mühlbach vermochte die von den Bergen kommenden Wassermassen nicht mehr zu fassen. Sie nahmen mit einemmal die ganze Dorfstraße ein, diese in einen reißenden Strom verwandelnd, der Baumstämme, Steinblöcke und Schlammmassen mit Windeseile zu Thale führte und auf seinem Wege furchtbare Verheerungen anrichtete. Zum Glück vermochten die in den Häusern nächst der Dorfstraße wohnenden Leute wenigstens sich selbst und ihr Vieh noch zu flüchten, aber als der Sonntagmorgen anbrach, bot das sonst so freundliche Oertchen ein Bild grausiger Verwüstung, von der unsere Ansicht eine genügende Vorstellung gibt. Die Bewohner des Dorfes, meist Schiffer und Steinbrecher, leben überhaupt in recht bescheidenen Verhältnissen; durch diese Katastrophe ist großes Elend über sie hereingebrochen. Hoffentlich wird der Staat den armen Leuten zu Hilfe kommen, aber auch die Privatwohlthätigkeit sollte zu ihren Gunsten rege werden. Wir wollen deswegen nicht unterlassen, zur Kenntnis unserer Leser zu bringen, daß der Stadtrat von Königstein an der Elbe eine Sammlung zum Besten der Beschädigten eröffnet hat und Gaben entgegennimmt.Th. G.     

Die untere Dorfstraße zu Schmilka in der Sächsischen Schweiz nach der Ueberschwemmung am 1. August.

Nordpolfahrten. Während die ganze gebildete Welt mit Spannung die Nachricht von dem Aufstieg Andrées und seiner beiden Gefährten im Luftballon erwartete, traf die Kunde ein, daß ihr Landsmann Fridthjof Nansen von seiner großen Nordpolexpedition glücklich zurückgekehrt sei. Wir haben über die beiden zur Erreichung des Nordpoles geplanten Unternehmungen unseren Lesern bereits in Nummer 13 eingehend berichtet. Nansen ist etwa drei Jahre und einen Monat unterwegs gewesen und hat den Pol allerdings nicht erreicht, ist ihm aber näher gekommen als alle seine Vorgänger. Sein Plan war bekanntlich, sich mit seinem eigens erbauten Expeditionsschiff „Fram“ innerhalb des treibenden Polareises über den Pol führen zu lassen. Der am 22. Juli 1893 von Vardö abgegangene „Fram“ hielt denn auch den Kurs auf den Nordpol und trieb, wie beabsichtigt, mit dem Packeise unablässig seinem Ziele zu. Nördlich vom 82. Grade wurde kein Land mehr wahrgenommen. Endlich konnte der „Fram“ aber wegen des anhaltenden Nordwindes nicht weiter nach dem Pole zu gelangen, sondern wurde immerfort nach Nordwesten getrieben. Da entschloß sich Nansen am 14. März 1895, das Schiff der Führung Sverdrups zu überlassen und es mit Hjalmar Johansen unter 83 Grad 59 Minuten nördlicher Breite und 102 Grad 27 Minuten östlicher Länge von Greenwich zu verlassen, um das Gebiet nördlich von der Kursrichtung des „Fram“ zu erforschen. Sie nahmen 28 Hunde, drei Schlitten und zwei Kajaks (grönländische Boote) mit, doch wurde das Vordringen dadurch, daß das Eis mit großer Schnelligkeit südlich trieb, bald so schwierig, daß Nansen am 7. April es aufgab, dem Nordpol noch näher zu kommen, mit seinem Begleiter vielmehr die Richtung auf Franz-Josephsland einschlug. Sie waren bis 86 Grad 14 Minuten nördlicher Breite gekommen; von seinen Vorgängern erreichte Lockwood 83 Grad 24 Minuten, Markham 83 Grad 20 Minuten, Nansen hat sie also beide hinter sich gelassen. Am 6. August erreichten die kühnen Reisenden mit Eis bedeckte Inseln, am 26. August eine Stelle an der Nordküste von Franz-Josephsland, wo sie ihr Winterquartier erbauten. Am 19. Mai 1896 zogen sie südwärts weiter und erreichten die Jacksonsche Expedition, welcher der englische Dampfer „Windward“ im Juni gerade neuen Proviant nach Franz-Josephsland brachte. Mit diesem landeten sie am 13. August wieder in Vardö. Ohne Zweifel wird Nansens Reise einen wichtigen Markstein in der Geschichte der Nordpolforschung bilden, allein das hindert nicht, daß gegenwärtig die allgemeine Aufmerksamkeit doch in erster Linie darauf gerichtet ist, ob es Andrée und seinen Gefährten gelingen werde, in ihrem Ballon wirklich den Pol zu erreichen. Unsere Leser werden daher mit besonderem Interesse das Gruppenbild betrachten, das uns die drei Männer vorführt. Im Vordergrunde sitzt Oberingenieur S. A. Andrée, ein großer, breitschulteriger, kräftiger Mann; die kühn gebogene Nase ist von scharfem Schnitt, ein hellblonder Schnurrbart beschattet die Lippe. Er ist der Leiter der Expedition und ein mit den arktischen Verhältnissen wie mit der Praxis der Luftschiffahrt durchaus vertrauter Mann, der in Schweden verschiedene Auffahrten zu wissenschaftlichen Zwecken unternommen hat. Der Ballon, den die drei Männer zur Fahrt nach dem Nordpol benutzen, ist nach Andrées eigenen Angaben von dem Pariser Fabrikanten Lachambre angefertigt worden. Andrée gegenüber steht auf unserem Bilde Dr. Nils Ekholm, Meteorolog am Centralobservatorium in Stockholm, der schon 1882 mit Andrée als Leiter der schwedischen Polarstation am Kap Thordsen in Spitzbergen überwintert hat. Dort haben die beiden Männer reiche Erfahrungen über die Naturverhältnisse des hohen Nordens gesammelt. Der dritte im Bunde, ein noch ganz junger Mann, ist der Kandidat der Philologie Nils Strindberg, Amanuensis an der Stockholmer Hochschule; er hat ebenfalls bereits einmal in Spitzbergen überwintert.

Ekholm.   Andrée.       Strindberg.
Andrée und seine Gefährten.
Nach einer Photographie von G. Florman in Stockholm.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 596a. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0596_a.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)