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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

frösteln ihrer Glieder löste sich, ihre Wangen begannen sich zu röten, und nach aller Angst und Erschöpfung dieser Nacht fiel ihr der Schlummer über die Augen. Doch auch im Schlaf noch schienen ihre Gedanken und Vorstellungen sich in Unruh’ zu bewegen, das verriet sich in dem zuckenden Spiel ihrer Mienen. Nur einmal lächelte sie im Traum und dabei flüsterten ihre Lippen: „Mathes? … Vergeltsgott, Mathes!“

Der kleine Vogel der Wanduhr rief die sechste Morgenstunde:

„Kuckuck!“

In der winterlichen Stube ein Frühlingsruf!

Doch weder das schlummernde Kind noch seine müde Mutter erwachte. Die Bäuerin, als sie den dampfenden Kaffee brachte, mußte die beiden wecken.

11.

Auf der Straße begann im kalten Grau schon das Leben des Morgens. Die Ochsengespanne zogen mit schwerem Schritt, die Leiterwagen rasselten und die Leute gingen ihrer Arbeit nach. Der erst halb zerflossene Rauch der beiden Brandstätten lag wie ein Schleier über dem ganzen Thal, und der widerliche Geruch des verbrannten Mehls erfüllte die Luft. Das war kein Morgen, um die Menschen fröhlich zu stimmen – und dennoch gingen die Leute auf der Straße mit vergnügten Gesichtern und lachendem Gruß aneinander vorüber. Jeder freute sich, daß das Unglück dieser Nacht an seinem Haus mit einem Umweg vorbeigeschritten war! Freilich äußerte keiner diese Freude und wenn sie auf der Straße beisammenstanden und von dem Brande schwatzten, wenn sie über den Zaun des Purtschellerhofes guckten oder den rauchenden Schutthaufen des Bäckerhauses betrachteten, wiegten sie ernst die Köpfe und sprachen breit von dem Mitgefühl, welches sie für die vom Unglück Betroffenen empfanden. Von Purtscheller war dabei wenig die Rede – nur von Karlin’ und von der armen Bäckin. Der Purtscheller-Toni würde den Stadel im Frühjahr wieder aufbauen, und wenn er auch ein paar tausend Mark an Getreide und Winterfutter verloren hätte, so könnte er den Schaden doch verschmerzen. Aber die Bäckin, die zur Bettlerin geworden war! Was sollte die verarmte Frau beginnen? Und dazu wäre sie von der überstandenen Angst so schwach und elend, daß man für ihre „dicke“ Gesundheit, vielleicht sogar für ihr Leben fürchten müßte. Wenigstens hätte der Doktor, welchen Schorschl noch in der Nacht gerufen, ein gar bedenkliches Gesicht gemacht.

Noch vor Anbruch des Tages hatte sich diese Nachricht im Dorf verbreitet, und in der Morgendämmerung wurde der Hof der Daxen-Schmiede nicht leer von Leuten, die aus Neugier oder Mitgefühl nach dem Befinden der Bäckin fragen wollten. Mit leisem Schwatzen standen sie vor der Werkstätte um das Thor gedrängt, welches Schorschl in der Nacht halb eingedrückt hatte, und lugten durch die Spalten der Bretter, oder sie belagerten die kleinen Fenster, um einen Blick in das Innere der Werkstätte zu erhaschen.

Vor dem Fenster, das gegen den Obstgarten der Schmiede ging, hatte sich Vroni ein Plätzchen erobert, und da stand sie mit pochendem Herzen und dunkelrotem Gesicht, spähte bald mit atemloser Vorsicht durch die halb erblindete Scheibe, bald wieder fuhr sie erschrocken mit dem Kopf zurück, als hätte sich drinnen in der Werkstätte irgend ein schreckhaftes Ungeheuer dem Fenster genähert.

Der Morgen wurde heller und heller. „Jesses, na! Ich muß ja doch heim!“ murmelte Vroni ein um das andere Mal vor sich hin und blickte in Unruh und Sorge über das sich grau entschleiernde Gehänge des laufenden Berges hinauf. Aber das „Mitleid mit der Bäckin“ war so stark in ihr, daß sie das kleine Fenster nicht verlassen konnte. All die anderen Neugierigen verzogen sich und gingen nach Hause – nur Vroni zögerte noch immer, ohne recht zu wissen, auf was sie denn eigentlich wartete.

Hinter ihr im Garten klangen die Beilschläge der beiden Zimmerleute, welche im ersten Morgengrauen begonnen halten, die Pfosten für die neuen Thüren zu zimmern, welche man in die Stubenwände der Daxen-Schmiede einsetzen mußte, um die Bäckenmahm’ aus der Werkstätte in einen wohnlicheren Aufenthalt verbringen zu können. Vorne im Haus waren auch schon die Maurer bei der Arbeit, um mit möglichst wenig Geräusch die alten Thürstöcke auszubrechen und die Lichtung in der Mauer zu erweitern.

Als Schorschl noch vor Anbruch des Tages die Handwerksleute vom Brandplatz weg geholt hatte, waren sie willig mit ihm gegangen, obwohl das Lohnversprechen, das ihnen der Daxen-Schorschl gab, etwas unbestimmt lautete. „Ich zahl’ schon einmal!“ hatte er gesagt. „Wann? Das weiß ich freilich selber net! Aber ich kann doch das arme, kranke Weiberleut net in der Werkstatt auf’m Boden liegen lassen! Seids halt so gut und helsts mir ein bißl!“

Während nun die Zimmerleute im Garten emsig auf die Balken loshackten, konnte Vroni sie mit halblauten Stimmen von dem „G’frett“ plaudern hören, das der Daxen-Schorschl haben würde, um in dem mit langen Schritten der Gant zulaufenden Hause sich selbst, die Bäckin und dazu noch deren Magd zu erhalten, die ihm zur Pflege der kranken Frau doch unentbehrlich war! „Man müßt’ ihm eigentlich doch ein bißl beibringen,“ meinte der Zimmermeister, „und schauen, daß ihm d’ Leut’ wieder Arbeit zutragen!“

Das hörte Vroni, und sie atmete so erleichtert auf, als hätte man ihr selbst eine ersehnte Wohlthat versprochen. Freilich, was ging sie „der da drinnen“ an? Mit dem „Wildling“ hatte sie ausgeredet ein für allemal! Aber wenn die Leute dem Daxen-Schorschl ein wenig auf die Beine halfen, das kam doch auch der armen Bäckin zu gute – und deshalb freute sie sich!

„Jetzt muß ich aber heim!“

Seufzend über das „harte Los der Bäckin“ warf sie noch einen letzten langen Blick durch die trübe Scheibe des Fensters und wollte sich um die Hausecke schleichen. Doch mit purpurrotem Gesichte fuhr sie zurück.

Schorschl war aus der Werkstätte getreten und ging zum Brunnen. In den Händen hielt er eine große irdene Schüssel mit einer Wasserflasche und zwei Gläsern, und ein paar nasse Handtücher hingen ihm über die Schulter. Er trug noch die von Brandlöchern durchsiebte Joppe; aber das Gesicht hatte er gewaschen; dabei hatte er freilich nur den Ruß und Mörtelstaub weggebracht, die roten Schrunden, welche ihm die scharfkantigen Mauerbrocken in Stirne, Nase und Wangen gerissen hatten, waren geblieben: und auf der einen Seite des Kopfes hatten ihm die Feuerfunken das Haar bis auf die Haut versengt – das war anzusehen, als hätte der Daxen-Schorschl Türke werden wollen, sich aber mit halb rasiertem Kopf noch eines besseren besonnen!

Beim Brunnen pumpte er so energisch, daß das Wasser mit dickem Strahl aus der Röhre schoß – freilich, aufs „pumpen“ verstand sich Schorschl wie kein anderer – und dann begann er die Handtücher auszuwaschen und die Gläser zu spülen.

Er stellte sich dabei durchaus nicht ungeschickt an – aber Vroni, die mit der Nasenspitze hinter der Hausecke hervorguckte, meinte doch, daß ihm diese Frauenzimmerarbeit nicht recht von der Hand ginge. Wär’s ein anderer gewesen als der Daxen-Schorschl, sie wäre flink zum Brunnen gesprungen und hätte ihm die Mühe abgenommen. Aber „dem da“ helfen? Nicht um die Welt!

Während Schorschl wusch und plätscherte, spähte er immer wieder nach allen Seiten, wie in Sehnsucht, einen Menschen zu sehen; aber die Straße war leer.

„Natürlich! Die ganze Nacht sind s’ mir auf die Füß’ umeinander ’treten!“ brummte er. „Und jetzt, wo ich ein’ brauch’, laßt sich keiner anschauen!“

Da sah er einen Buben mit dem Schulränzlein daherkommen und rief ihm zu: „Du, Büberl, geh, sei so gut, lauf’ zum Wirt ’nüber und sag’ ihm, er soll mir aus’m Eiskeller ein’ Zuber voll Eis ’rüberschicken.“

„Ich kann net, ich muß in d’ Schul’!“

„Aber schau, hast ja noch Zeit! Und ich brauch das Eis für die kranke Mahm’! Geh, Büberl, sei brav, lauf ’nüber!“

„Ich muß in d’ Schul’!“ wiederholte der kleine Bursch verlegen und trabte am Zaun vorüber.

Schon wollte Schorschl dem Buben ein Paar gesunde Grobheiten mit auf den Weg geben, als er hinter sich eine schwankende Mädchenstimme fragen hörte: „Schorschl? … Könnt’ ich net den Weg zum Wirt ’nüber machen?“

Der Daxen-Schorschl fuhr beim Klang dieser Stimme auf, als hätte der Blitz vor ihm eingeschlagen. Und während er mit gespreizten Fingern, von denen das Wasser niedertropfte, vor Vroni zurücktrat, betrachtete er zuerst das Mädchen vom Kopf bis zu den Füßen, dann die Kratzwunden auf seiner Hand. Dazu lachte er ganz merkwürdig. „Ah, da schau her! … Du!“ sagte er und wischte mit der Hand über die Hüfte, als stünde noch das Blut auf den Wunden, die ihm das „liebe Katzerl“ geschlagen hatte. „Was willst denn?“

Die Antwort kam nicht gleich und klang auch nicht besonders freundlich. „Ob ich net ein bißl helfen muß … hab’ ich g’meint.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0599.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2022)