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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Verheiratung zu ihnen zu kommen, um an der Seite der Gutsherrin die ländliche Hauswirtschaft zu erlernen. Wir dürfen dies aus dem Anfang unseres nächsten Briefes und der Thatsache schließen, daß im nächsten Jahr Luise wirklich einer solchen Einladung Folge leistete; auch der weitere Schluß ist gestattet, daß die Eltern des Mädchens, wie sie selbst, Bedenken trugen, in ein so nahes Zusammenleben der Verlobten zu willigen, ehe ihr Bund nicht den Segen der ersteren erhalten hatte. Dafür aber erfolgte eine Einladung an Reuter zu einem längeren Besuche im Pfarrhaus zu Roggensdorf, wo das Pastorspaar Kunze mit nicht geringer Spannung der Gelegenheit entgegen sah, den Mann, den ihre Aelteste sich zum Gatten erwählt, persönlich kennenzulernen. Roggensdorf, zwischen Lübeck und Wismar, nahe der nordwestlichen Grenze von Mecklenburg-Schwerin gelegen, während Thalberg bereits jenseit der östlichen Grenze auf pommerschem Boden liegt, war für die damaligen Verkehrsverhältnisse schon ein recht entferntes Reiseziel. So erklärt sich der Ton der Enttäuschung, in welchem der nachfolgende Brief anhebt.

„Thalberg d. 1sten August 1847.     
Das ist eine sehr traurige Nachricht, die Dein letzter Brief enthält, sie ist nicht allein betrübend dadurch, daß sie uns vieler Freuden, vieler Annehmlichkeiten beraubt, ich halte sie vielmehr deßhalb für sehr schlimm, weil sie uns der Möglichkeit beraubt, uns bis in’s kleinste kennen zu lernen; es wäre dies von unaussprechlichem Nutzen und sehr bildendem Einflusse für uns gewesen.

Du hast Dich darüber getröstet, das ist gut, aber ich kann nicht anders, als es tief bedauern, daß Du hierdurch die Gelegenheit verlierst, Deine Gesundheit zu kräftigen. Wirst Du es auch wohl bei Sch. ertragen können? Doch hievon wollen wir mündlich sprechen; denn ich habe mich entschlossen Deiner Aufforderung nach Roggensdorf zu kommen, Genüge zu leisten. – Es ist dies ein Ersatz – aber ein sehr geringer im Vergleich mit dem Glücke, das uns im andern Fall bevorstand. Ob ich Recht thue, Deiner Einladung nach Rogg. zu folgen? Ich hoffe es; aber wenn es Unrecht sein sollte, so wäre es das erste Unrecht, was ich gegen Dich beginge, indem ich meiner Freude Dein Wohl nachsetzte, denn ich glaube, daß ich alle Ursache habe, für Dich sparsam zu sein, und solche Reise geht nicht ohne Kosten ab. Bedenke aber auch: ob Du Deinen Eltern nicht eine Last aufbürdest, die ihnen bei dem andern Besuch, den sie schon dort haben, drückend werden könnte; dies ist natürlich keine Ziererei von meiner Seite, sondern wirkliche Besorgniß. Und doch will ich wünschen, daß Du beide Puncte schon zu meinen Gunsten entschieden hast und daß ich Dich auf diese Weise wiedersehe. Unsere Erndte geht, bei dieser günstigen Witterung so rasch, daß ich recht wohl abkommen kann. Daher schreibe ich Dir zu, daß ich Dich treffen will in Roggensdorf, wenn Gott nicht unübersteiglichc Hindernisse in den Weg legt. Ich werde um den 14ten August herum in Roggensdorf eintreffen, und Dich dort, oder, wer kann’s wissen, Dich schon zufällig in Grewismichlen vorfinden.….. Diese seeligen 14 Tage müssen wir recht ausbeuten, um Kraft zu gewinnen für eine lange Trennung. Wie werde ich so glücklich sein! wie will ich Dich küssen, wie Dir so ganz angehören, Du sollst die Ueberzeugung noch mehr gewinnen, wie sehr ich Dich liebe. Du sollst mich fest an Dein liebes Herz drücken, und die schattige Laube soll Deinen lieben Worten lauschen, die meinen trunkenen Ohren wie süße Lieder erklingen. Ich fürchte keine Kälte von Deiner Seite, ich weiß es jetzt, daß Du mich liebst, ich fürchte nur die Störungen von Außen und diese müssen wir so viel, wie möglich beseitigen. Sei nur ja recht wohl! Bringe ja recht viele Noten mit, meinen Zeichenapparat bringe ich ebenfalls mit.

Ach! liebe Luise, das wird eine glückliche Zeit, Dich 14 Tage hindurch zu hören, Dich täglich zu sehen, mit Dir unter einem Dache zu schlafen, Dich fort und fort zu küssen und Dir zu jeder Stunde sagen zu können, wie sehr ich Dich liebe! Wie werde ich mein Glück ertragen, wie die Zeit bis dahin aushalten? Wenn Du diesen Brief erhalten hast, setze Dich gleich hin und schreibe mir ein paar Worte; aber sogleich, und schicke den Brief direct an mich, nicht durch Wilhelm[1], denn ich fürchte, daß er ihn aufhalten könnte, dann werde ich ihn zeitig genug erhalten, um zu rechter Zeit eintreffen zu können. Thue dies ja mein liebes Kind, Du sollst auch 100 Küsse extra dafür erhalten.“

Und so kam denn der Tag, an welchem Fritz Reuter in das Roggensdorfer Pfarrhaus einzog. Die Augustsonne lag leuchtend über den erntereifen Getreidefeldern, ein Hauch von Erntesegen umspielte die alten Linden, die vor dem langgestreckten einstöckigen Wohnhaus neben der Kirche stehen, und das Vorgefühl des Elternsegens, den er sich für seine Ehe mit Luise zu holen kam, die auch seinem bisher so unruhevollen Leben eine Zeit der Ernte sichern sollte, beseligte ihn beim Betreten des Hauses. Er freute sich unsäglich auf das Wiedersehen mit Luising, aber das ihm hier zur Pflicht werdende Sicheinbiedern in eine ihm doch fremde Familie schuf ihm auch einiges Unbehagen. Ein Pastor – eine Frau Pastorin – die haben gewiß strenge Grundsätze! Wird man mich verirrtes, vielverfemtes Weltkind denn hier verstehen? So ging’s ihm durch den Sinn. Er ahnte nicht, daß ihn in den vier Wänden des Heims seiner Braut ein Glück erwarte, das für die geheimsten Wunden seiner Seele heilenden Balsam bereit hatte – der Ersatz für das unter so demütigenden Umständen verlorene Vaterhaus! Er ahnte nicht, welche Bedeutung die Bekanntschaft mit Luisens Eltern für die Erntezeit seines Lebens erhalten sollte – in ihnen lernte der Dichter von „Ut mine Stromtid“ die Originale für die Frau Pastorin Behrens und „ihren Pastor“ kennen!

Von einer ähnlichen Poesie verklärt, wie sie die Eltern Friederikens in Goethes „Sesenheimer Idylle“ und die dort gerühmten Pfarrersleute in Goldsmiths „Vicar of Wakefield“ umspielt, so leben die Eltern von Reuters Braut in den ergreifendsten Kapiteln seines bedeutendsten Romans über ihren Tod hinaus weiter. Alles Gute und Tüchtige, was ihren poetischen Abbildern dort nachgerühmt wird, muß nach den Versicherungen Solcher, welche Poesie und Wirklichkeit vergleichen konnten, ihnen eigen gewesen sein. Aber zur Kinderlosigkeit wie das Gürlitzer Pastorspaar im Roman war das Roggensdorfer nicht verurteilt, und ein fremdes Töchterchen an Kindesstatt anzunehmen, wie es jene in „Ut mine Stromtid“ an Karl Hawermanns kleinem Luising thun, mußte ihnen fernliegen. Neben dem eigenen großen Luising, das sie in die Fremde hinausgegeben hatten, um Selbständigkeit zu erlernen und sein Wissen und Können in einem Beruf zu bethätigen, hatten sie an Kindern eine so reiche Zahl, daß ihnen die Aufgabe, alle zu tüchtigen Menschen heranzuziehen und sie in der Welt vorwärts zu bringen, nicht wenig Sorge gemacht haben mag. Doch für den neuen Familienzuwachs, den Sohn, der da zu ihnen aus der Fremde herankam, um sie um die Hand ihrer Aeltesten zu bitten, hatten sie offene Herzen und offene Arme, wie die Gürlitzer Pastorsleute es hatten für das kleine mutterlose Luising des braven Karl Hawermann.

„. . . Nun kommen sie und drängen sich zum Gast
Mit hast’ger Lieb’, mit liebevoller Hast;
Sie schütteln ihm die Hand so treu und bieder,
Daß die Besinnung ihm kehrt augenblicklich wieder.
     Ihm ist, als wär’ er aus Schlaf erwacht,
     Als wäre verschwunden des Traumes Nacht,
     Als wäre versunken in Dunkelheit
     Eine lange, eine schwere, eine finstere Zeit;
     Als tauchten die ersten Morgensäume
     Der Kindheit auf und die Jugendträume,
     Als säh’ er die ersten Plätze wieder,
     Wo ihm gesungen die Wiegenlieder,
     Als ging’ er hier lange schon ein und aus,
     Als wär’s das verlorne Vaterhaus,
     Wo ihn begrüßet der Mutterblick –
     Als kehrte dies alles mit eins zurück!
     Die alten Möbel, sie nickten ihm zu,
     Das Sofa lud zur gewohnten Ruh,
     Die Linde sie deckte mit Schattenkühle
     Den Tummelplatz der Knabenspiele.
     Der Garten mit seinen Blumen all,
     Der Vögel Gesang, der Glocken Schall,
     Ein jegliches Aug’ und jeglicher Mund
     Und jegliches Antlitz war ihm kund,
     Es spiegelte wieder einen Zug
     Des Bildes, das er im Herzen trug:
     Ach! Alles schien ihm so längst bekannt,
     Vor allem – der Druck der Mutterhand.“

So schilderte er nach seiner Heimkehr von dem Besuch den Eindruck, den er im Roggensdorfer Pfarrhaus empfangen, und der ihm nicht weniger wohlgethan hatte als das Wiedersehen mit Luise. Es geschah in einer humoristischen poetischen Epistel, die er an deren jüngere Schwester Liening richtete, mit der Weisung am Schluß, daß das Schreiben im Grunde doch für die ältere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0603.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)
  1. Der älteste Bruder Luisens, der Postbeamter war.