Seite:Die Gartenlaube (1896) 0615.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Mar’ und Josef!“ stotterte Schorschl, der bei der Esse stand. „Jetzt kommt der auch noch!“ Er that, als ob er den Juden nicht sähe.

Rufel legte neben der Thüre seinen Binkel nieder, zog die Schlappmütze und machte eine devote Verbeugung.

„Erlauben Se gefälligst, Herr Dax, daß ich Ihnen unterthänigst wünsch’ einen recht guten Morgen!“

„Grüß Gott!“ Schorschl trat den Blasbalg und schielte über die Schulter. „Was wollen S’ denn?“

„Weil ich grad’ vorübergeh’, hab’ ich bei Gelegenheit nachfragen wollen, ob der Herr Dax nix brauchen. Sagen wir: e bißl Eisen oder en feinen Stahl, oder e Werkzeug … oder sagen wir meintwegen auch: e Geld!“

Schorschl riß Mund und Augen auf, als hätte er nicht recht gehört.

Schmunzelnd nahm Rufel die langen Flügel seines Rockes auseinander und setzte sich auf den Amboßblock. „Nu? So reden Se doch, Herr Dax! … Wollen Se haben e Geld?“

„Haben möcht’ ich’s freilich!“ stotterte Schorschl, ließ den Blasbalg ruhen und kraute sich hinter den Ohren. „Aber geben S’ mir denn eins?“

„Hätt’ ich sonst gefragt? Sagen Se mir, wieviel Se brauchen, und der Rufel wird Ihnen schaffen das Geld bis morgen. Ich weiß doch, Sie brauchen Geld ins Geschäft und brauchen Geld für die kranke Frau, was Se haben im Haus. Gott soll Ihnen lohnen, was Se haben gethan an der armen Frau Bäckin! Aber nu reden Se doch emal! Wieviel brauchen Se? Durch vierzehn Täg’ hab’ ich gesehen, wie Se stehen bei der Arbeit von früh bis nacht … und ich kann Ihnen sagen, Herr Dax: alle Achtung! Ich hab’ wieder Vertrauen zu Ihnen, Se können haben vom Rufel, was Se wollen!“

„Rufel!“ stammelte Schorschl, während ihm das Wasser in die Augen stieg. Und mit beiden Fäusten packte er Rufels dürre Hand. „Geh her, alter Jud’! Dich hat mir unser Herrgott g’schickt!“

Rufel krümmte sich vor Schmerz bei diesem Händedruck. „Waih geschrieen! Lassen Se aus, Herr Dax!“ Vorsichtig rieb er die gequetschte Hand. „Und machen Se mir nix solche Sprüch’ mit dem Herrgott! Mich hat nix geschickt der Ihrig, mich hat nix geschickt der meinig’ … ich bin von selber gekommen, weil ich weiß, beim Herrn Dax is e Geschäft zu machen! Aber nu sagen Se doch endlich emal, wieviel Se brauchen!“

„Viel, Rufel … ein bißl viel is, was ich brauch’.“

„Viel? Was heißt viel? Für en Menschen, der nix bezahlt, is e Mark viel Geld … für en Mann, wie der Herr Dax, wo ich weiß, ich krieg’ mein Geld mit Zinsen wieder, sennen tausend Mark e Kleinigkeit! … Wollen Se haben tausend? Ich geb’s Ihnen!“

„Meiner Seel’, so viel wird’s bald ausmachen!“

„Glauben Se, der Rufel kann nix rechnen?“

„Vierhundert brauch’ ich auf meine Schulden … an die Hundert hab’ ich Gott sei Dank schon abzahlt …“

„Dreiundzwanzig haben Se abgezahlt bei der Kramerin,“ unterbrach ihn Rufel, „sechsunddreißig beim Schneider, macht neunundfünfzig … das sennen noch lang keine Hundert. Nix übertreiben, Herr Dax! Ich bin schon zufrieden, daß Se haben abgezahlt neunundfünfzig.“

Schorschl lachte zu dieser genauen Rechnung. „No ja, und zweihundert brauch’ ich auf d’ Hand, daß ich d’ Mahm’ und mich ohne Sorgen über’n Winter ’nüberbring’ und einkaufen kann, was ich ins Haus und in d’ Werkstatt brauch’! Dazu die vierhundert, die an Neujahr bei Ihnen fällig sind …“

„Die können Se lassen stehen. Und die anderen sechshundert sollen Se haben bis morgen. Sie zahlen mir sieben Perzent … fünfe muß ich selber geben, und verdienen möcht’ der Rufel doch auch e bißl was! Und Zeit will ich Ihnen lassen zwei volle Jahr’! Geben Se mir die Hand, Herr Dax, und das Geschäft is gemacht.“

„Ich dank’ Ihnen, Rufel!“ sagte Schorschl und drückte dem Alten die Hand, aber diesmal etwas gelinder. „Da haben S’ mir wirklich mit christlicher Nächstenlieb aus’m Wasser g’holfen.“

„Nächstenlieb’!“ Rufel schnitt eine Grimasse. „Lassen Se mich in Ruh’ mit so en großen Wort. Nächstenlieb’ is e schöne Sach’, aber haben muß man was davon! Ich geb’ Ihnen das Geld, weil ich bei Ihnen verdien’ mit Sicherheit! Und daß wir das auch noch bereden … ich will nix herumgehen im Dorf, Ihre Schulden bezahlen, sondern geb’ Ihnen das Geld auf die Hand, denn ich weiß jetzt, Sie werden machen glatte Ordnung. Und die Leut’ sollen nix herumtratschen, daß der Herr Dax is aufgekauft worden vom Juden!“

„Fragen werden s’ aber doch, wo ’s Geld her is?“

„Sagen Se, daß Se gemacht haben en Treffer … da kriegen de Leut’ Respekt und bringen Ihnen doppelte Arbeit. Und nu lassen Se den Mut nix sinken, sondern machen Sie e so fort, wie Se haben angefangen. Und in zwei Jahr’ können Se sagen: der Rufel hat’s gesagt … Ihr Haus wird sein wie e schöner grüner Berg, was steigt in die Höh und nix lauft herunter … so, wie herunterlauft en anderes großes, schönes Haus im Dorf … aber ich will nix gesagt haben!“ Rufel ging zur Thüre und hob seinen Zwerchsack auf die Schulter.

„Den Purtscheller meinen S’?“

„Ich will nix gesagt haben! Aber stecken möcht’ ich nix in der Haut, in was steckt der vornehme und feine Herr Purtscheller!“ Den Kopf zwischen den Schultern wiegend, kam Rufel zum Amboß zurück und dämpfte die Stimme. „Unter uns gesagt … denn mit Ihnen kann man reden, Herr Dax, Sie sennen e Mann! … aber unter uns gesagt: helfen hab’ ich ihm wollen! Helfen! Seiner braven, guten Frau zu lieb’! Aber was sag’ ich Ihnen! Mit dem Schießgewehr is er auf mich zugegangen! Als wär’ der alte Rufel e Gamsbock! Nu? Und was hat er jetzt? Jetzt hat er sich eingelassen mit einem … ich will nix gesagt haben! … aber vor dem soll ihn Gott bewahren bis zu hundert Jahr! Und da legen se jetzt e Hypothek von achtzigtausend Mark auf den Hof! Achtzigtausend Mark! E schweres Geld, Herr Dax! Hat e Gewicht, daß es wird eindrücken an dem schönen Haus das Dach und alle Mauern!“

„Um Gotts’willen,“ stammelte Schorschl, „ja hat denn der Purtscheller sein’ ganzen Verstand verloren?“

„Mein lieber Herr Dax! Man kann nix verlieren, was man sein ganz Leben lang nix gehabt hat! Und so en’ Menschen is nix mehr zu helfen! Ich dank’s ihm noch, daß er mich hat hinaus getrieben mit ’n Schießgewehr … denn ich hätt’ bei ihm verloren mein Geld! Der ander’, was ihm jetzt hat geholfen, wird bei Zeiten zusehen, daß er sein Geld wiederkriegt … und noch e bißl was dazu … e schöns bißl was! Noch e Jahr, und dem feinen Herrn Purtscheller wird nix mehr viel übrig bleiben! Mich erbarmt nur de arme gute Frau!“ Rufel seufzte und rückte den Zwerchsack höher auf die Schulter. „Und nun bitt’ ich, erlauben Se gefälligst, Herr Dax, daß ich auf Ihrem Herd mir koch’ mein bißl Essen!“

„Ja, recht gern!“

„Ich werd’ Ihren Herd schön sauber wieder fegen, damit Se nix haben e Grausen!“

„Aber Rufel!“

„Nu!“ Ein schmerzliches Lächeln zuckte um die welken Lippen des Alten. „Bin ich doch gewöhnt, zu rechnen mit solche christlichen Sachen!“ Da er sah, daß der junge Schmied ihn begleiten wollte, wehrte er mit der Hand. „Bleiben Se, bitt’ ich, Herr Dax! Ich will Se nix abhalten von der Arbeit. Das Holz trag’ ich mir selber, e Topf und e Fleisch und e Brot, alles hab’ ich bei mir … nix brauch’ ich als wie e Zündholz! Und das hab’ ich selber im Sack! Bleiben Se, Herr Dax, arbeiten Se schön fleißig und erlauben Se gefälligst, daß ich Ihnen wünsch’ en recht en schönen, guten Tag!“ Mit einem tiefen Bückling drückte sich Rufel zur Thüre hinaus, welche von der Werkstätte in den Hausflur führte.

Schorschl stand vor dem Amboß, mit glänzenden Augen, das rußfleckige Gesicht von heißer Röte übergossen. Tief aufatmend streckte er die nackten, sehnigen Arme und spreizte die Finger. Lachend, mit jähem Ruck, ergriff er den schweren Hammer, der das große Loch in die Mauer des brennenden Bäckenhauses gebrochen hatte, und mit übermütig spielender Kraft versetzte er dem Amboß einen Streich, daß es hell wie ein Glockenton durch alle Mauern des Hauses klang und weit hinaus ins Dorf!

Dann ging er zur Esse und nahm mit treibendem Fleiß die Arbeit wieder auf.

Am folgenden Morgen, noch in der ersten Dämmerung, brachte Rufel das Geld. Und nun konnte Schorschl die Runde bei all seinen Gläubigern machen. Da gab es überall ein heiliges Staunen und ein wortreiches Glückwünschen. Schorschl konnte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0615.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)