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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

auf die Frage, woher er plötzlich das viele Geld hätte, schmunzelnd schweigen und die Schultern zucken – Rufel hatte am vergangenen Abend noch dafür gesorgt, daß die Nachricht vom Glück des Daxen-Schorschl, der „gemacht hat e so en schönen Treffer“, unter die Leute kam und von Haus zu Haus wanderte.

Das Gerücht fand seinen Weg auch in die Simmerau – der alte Michel brachte die Geschichte von dem Treffer, die er bei der Kramerin gehört batte, nach Hause und gab sie beim Mittagessen zum besten. Während Mutter Katherl dieses unverhoffte Glück auf Rechnung des „lieben Herrgott“ setzte, der den Daxen-Schorschl für die „Gutthat an der Bäckin“ belohnen wollte, wurde Vroni rot bis unter die Haare und stotterte: „Mar’ und Josef! Wenn er das viele Geld nur net wieder verjucken thut!“

„Na na,“ versicherte Michel, „er hat gleich all seine Schulden ’zahlt!“

Da lachte Vroni gereizt und zuckte die Schultern, „Geh? ’zahlt hat er? Da muß er ein’ Rausch g’habt haben! Der! Und g’wiß reut’s ihn heut’ schon wieder!“

„Aber Vronerl,“ warf Mutter Katherl mit sanftem Vorwurf ein, „wie magst denn gar so ungut denken über ein’ Menschen? Es kann sich doch einer auch zum Bessern ändern!“

„Der net!“

„Aber schau nur, wie er sich gegen die arme Bäckin so gutmütig anstellt! Und die ganzen Tag’ hat er doch allweil g’arbeit’ wie ein Roß! Da muß man doch ein bißl besser denken von ihm! Und schau, es steht doch in der heiligen Schrift, daß der Himmel viel mehr Freud’ über ein’ Sünder hat, der sich bessert, als über hundert Gerechte!“

„No ja! Meintwegen! Soll sich halt der Himmel freuen! Was geht’s denn mich an!“ Aergerlich legte Vroni den Löffel nieder und erhob sich.

„Aber, Madl, was hast denn? Geh, so iß doch!“

„Dank’ schön! Ich hab’ schon g’nug!“

Der Ton dieser Antwort schien dem Simmerauer nicht zu gefallen. „He! Du! Was is denn jetzt das auf einmal für ein’ Art und Weis’!“ begann er zu schelten. Aber da legte ihm Mathes die Hand auf den Arm und sagte mit seinem stillen müden Lächeln: „Geh, Vater, laß ’s Madl in Ruh’!“

Vroni hatte die Stube verlassen und war vor die Hausthür getreten. Hof und Garten waren hoch verschneit, und schmal ausgeschaufelte Wege führten zum Brunnen, zum Stall und zur Scheune. Der Schnee funkelte in der Sonne, als wäre er mit Millionen winziger Glassplitter überstreut, und lautlose Winterstille lag über dem weiten weißen Berggehäng. In diesem frostigen Schweigen tönte durch die klare, regungslose Luft ein leiser, kaum noch vernehmbarer Hall aus dem Thal herauf: kling, kling, kling, kling …

Das setzte immer aus und tönte nach einer Weile wieder: kling, kling, kling, kling …

Mit finsterem Gesicht wandte sich Vroni in den Flur zurück und brummte: „Ob der net narrisch is! So ein’ Spektakel machen, daß man’s bis da ’rauf hören muß!“ Unmutig ging sie an ihre Arbeit und war bis zum Abend in übler Laune.

Still und einförmig vergingen in der Simmerau die nächsten Tage. Neuer Schnee fiel auf den alten und machte den Weg ins Dorf hinunter bald zu einer schweren Mühsal. Drunten im Thal konnte man über den frühen Winter gar manches Wort der Klage hören; aber in dem kleinen Häuschen der Simmerau hatten sie den Winter wie einen Erlöser begrüßt, der ihnen nach all der wochenlangen, aufreibenden Arbeit und Sorge eine Zeit der Rast und des Aufatmens brachte. Der strenge Frost hatte den rinnenden Boden in starre Fesseln gelegt, das nagende Wasser in ruhendes Eis verwandelt, und glatt und weiß deckte der tiefe Schnee alle Klüfte und Risse des laufenden Berges. Wohl war wie die Ruhe in dem friedlichen Winterbild des Berges – auch die Ruhe, die der alte Simmerauer mit den Seinen gefunden hatte, nur äußerlich; denn die Furcht vor dem Frühjahr ging neben allen hoffenden Gedanken einher wie ein graues Gespenst, begleitete sie auf Schritt und Tritt, legte sich am Abend mit ihnen schlafen und war mit ihnen am Morgen wieder auf den Beinen.

Vorerst aber war doch Zeit gewonnen, und es that den beiden Alten wohl, daß sie nach all diesem Übermaß von Arbeit die mürb’ gewordenen Glieder ein wenig schonen konnten. Stundenlang saßen sie mit ihrem Enkelpärchen in der warmen Stube beisammen und ließen sich geduldig und lächelnd von den Kindern quälen, die bald den „Ahnlvater“ als Rößlein an die Leine nahmen, bald wieder die „Ahnlmutter“ als „Jungfer Köchin“ zum Einkaufen hinter den Ofen schickten.

Vroni erledigte mit einer unruhigen Beschäftigungswut alle Arbeit im Haus, so daß für Mathes kaum mehr etwas zu schaffen übrig blieb. Diese Ruhe schien ihm übel anzuschlagen; seine Wangen wurden noch schmäler, sein ganzes Wesen noch verschlossener und ernster, und immer schwermütiger blickten seine stillen Augen. Eines Abends, als er in der dämmerigen Stube mit dem Vater auf der Ofenbank saß, während Mutter Katherl nebenan in der Kammer die munter schwatzenden Kinder zu Bett brachte, sagte er:

„Schau, Vater, d’ Arbeit bei uns hat ein End’ für ein halbs Jahr, und ich kann Dir doch net den ganzen Winter so faul auf der Schüssel liegen! Meinst net, ich sollt’ mich um ein bißl was umschauen?“

„Auf der Schüssel liegen! Aber Mathes!“ Michel nahm die Pfeife aus den Zähnen und legte seinem Buben die Hand aufs Knie. „Weißt ja doch, daß ich Dich gern daheim hab’! Und wo fünfe essen, ißt der sechste auch noch mit! Freilich, ein’ Lohn kann ich Dir net zahlen, und da därf ich Dir’s auch net wehren, daß Dir ein bißl was verdienst den Winter über.“

Eine Weile schwiegen sie; dann sagte Michel: „Schau, jetzt hat der Purtscheller ’s Fallholz in sei’m Wald drüben an ein’ Händler verkauft, und da fangt man bald’s Arbeiten an. Was meinst? Wenn ein’ Holzknecht’ machen thätst? Da kriegst ein nobels Geld … d’Liegerstatt und’s Essen könntst bei mir haben … da hättst ein leichts Sparen dabei! Was meinst?“

„Ja ja!“ sagte Mathes zögernd. „Wenn D’ meinst!“

„Oder hättst ’leicht was anders in Aussicht?“

„Wenn Dir’s recht wär’, Vater, ja!“

„Was denn?“

„Denkst nimmer an’s selbig Anbot, das mir der Purtscheller g’macht hat?“

„Sooo? … Ah ja, freilich denk’ ich noch dran!“

„No schau … weißt doch selber, was d’ Leut’ allweil reden jetzt … ich mein’, der Purtscheller könnt’ mich brauchen!“ Das sagte Mathes ruhig, doch seine Stimme hatte gepreßten Klang.

„Brauchen? So?“ Auch dem Alten wollte die Stimme nicht recht gehorchen, als wäre ihm eine Sorge in die Kehle gestiegen. „Ja freilich! Wie der Hungrige ’s Brot, so könnt’ er Dich brauchen, mein’ ich schon selber bald! Du thätst ein guts Werk und könnst ein’ ordentlichen Brocken Geld verdienen! Aber …“

„Was, Vater?“

„Schau … wenn er ein’ hat, wie Du einer bist, den wird er halt im Frühjahr nimmer auslassen mögen?“

„Na, na, Vater! Das mach’ ich mir schon gleich zur Bedingnis, daß er mich im Frühjahr freigeben muß, so lang mich Du daheim brauchst! Das hab’ ich mir gar net anders ’denkt!“

Michels Sorge schien plötzlich beschwichtigt, und da war er nun völlig einverstanden mit dem Plan seines Buben. „Ja, Mathes, ja! Pack’s nur gleich an! Wann willst denn schon ’nunter zu ihm?“

„Gleich morgen in aller Fruh!“

Eine Weile redeten sie noch weiter, dann erhob sich Mathes und verließ die Stube. Schwer aufatmend trat er ins Freie, wanderte um das Haus und stieg durch den tiefen Schnee zum Rand der Böschung hinauf. Ihm zu Häupten funkelten die tausend hellen Sterne der klaren Winternacht, und drunten im Thal blitzten kleine, zerstreute Lichter, als läge ein See dort unten, in dessen Wasser sich die Sterne des Himmels spiegelten.

Mit den Händen auf dem Rücken, stand Mathes im Schnee; er schien die Kälte nicht zu fühlen und blickte zum Dorf hinunter, so versunken in Gedanken, daß er den Schritt der Schwester nicht hörte. Erst als sie die Hand auf seinen Arm legte, blickte er auf.

„Mathes?“ Die Stimme des Mädchens bebte vor Erregung.

„Was willst?“

„Mathes! Um Gott’swillen! Is denn wahr, was mir der Vater g’sagt hat?“

Er nickte.

Und da schien ihre Angst noch zu wachsen. „Mathes! Hast Dir’s auch überlegt?“

„Ja!“

Gut, Mathes?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0616.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)