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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

abgebildeter Brutapparat. Daß er vortrefflich funktioniert, dafür kann allein schon die Thatsache sprechen, daß der Raum fast einem Hühnerhofe gleicht, auf dem nur die Alten fehlen, und daß die kleinen, sehr zutraulichen Kücken, die hier aus dem Ei kriechen, gut geraten und frisch und gesund erscheinen, Nach den dem Berichterstatter gemachten Angaben soll das Brutergebnis mehr als fünfzig Prozent betragen.

In der Maschinenhalle.

Die Eier liegen in langen zum Teil mit Glas verschlossenen Kästen, in denen fortdauernd eine Temperatur von 40 Graden der hundertteiligen Skala herrscht. Die Wärme wird durch ein Wasserbad erzielt und durch Reguliervorrichtungen in der genannten Gradhöhe erhalten. Nach einer Periode von 19 Tagen schlüpfen die Kleinen aus. Auch sonst enthält der „organische“ Saal noch viel Sehenswertes. Sehr übersichtlich und verständlich ist z. B. die Thätigkeit der Seidenraupe vorgeführt; man kann sie und ihr kostbares Produkt in allen Entwicklungsstadien beobachten und sich der schönen glänzenden und fast metallisch leuchtenden Fäden freuen. Nicht minder werden die prächtigen Schmetterlings- und Käfersammlungen, die allerorten die Wände bedecken, sowie die seltsam gestalteten Wesen aus der Gruppe der Tausendfüßer, der Fische und Krebse die Herzen aller Sammler höher schlagen lassen und zugleich auch das Interesse des Städters für die kleine Welt, die außerhalb der Thore sich tummelt, erwerben und vertiefen.

Klimmt der Besucher der „Urania“ zu den höchsten Räumen des umfangreichen Gebäudes empor, dann kann er noch Aquarien und Terrarien und eine große Anzahl von Mikroskopen in Augenschein nehmen. Daneben giebt eine ziemlich umfangreiche Sammlung heimischer Giftschlangen Gelegenheit, diese gefährlichen Feinde kennenzulernen und zugleich die unheimliche Art zu studieren, in der das Gift auf das verletzte Tier wirkt. Auch eine Telephonanlage befindet sich in diesem Saale, durch welche man den musikalischen Aufführungen im Opernhause zu folgen vermag.

Wir bemerkten im Eingange, daß augenblicklich auf dem Uraniatheater eine Reise durch den St. Gotthard vorgeführt wird. Im kleinen Oberlichtsaale des Institutes ist der mächtige Gebirgsstock plastisch zur Darstellung gebracht, und eine kleine, durch einen elektrischen Motor betriebene Eisenbahn beschreibt in lebendigster Anschaulichkeit die Kurven, in denen sich die Züge der Gotthardbahn bewegen.

Brutofen.

Schon seit geraumer Zeit ist kein Sterblicher mehr fähig, die Menge der Fortschritte, die auf naturwissenschaftlichem Gebiete täglich errungen werden, zu überblicken oder sie gar verständnisvoll in sich zu verarbeiten. Er muß sich, auch wenn er seine ganze Zeit der Wissenschaft widmen kann, mit einem nur sehr eng umgrenzten Gebiet begnügen. Dennoch ist es durchaus für den Forscher geboten, mit allen wichtigen Neuerungen und Erweiterungen vertraut zu bleiben, um nicht den befruchtenden Zusammenhang mit der Gesamtheit zu verlieren, dazu dienen die wissenschaftlichen Zeitschriften. Auch nach dieser Richtung hat die Direktion der „Urania“ dem Bildungstriebe des Publikums Rechnung getragen. Ein geräumiger heller Saal hinter dem Theater wurde von ihr mit einer gewählten Bibliothek ausgestattet, die zugleich die wichtigsten naturwissenschaftlichen Zeitschriften enthält.

Daß die Direktion es verstanden hat, aus der Ueberfülle des Gebotenen das für volkstümliche Zwecke Brauchbare auszuwählen, daran wird man nicht zweifeln, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die „Urania“ selbst die Herausgeberin der angesehenen naturwissenschaftlichen Zeitschrift „Himmel und Erde“ ist.

Mit solchen Mitteln ausgestattet, erweist sich die Berliner „Urania“ in der That als ein wichtiges Institut zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Bildung. Wir wünschen ihm weitere Blüte; hoffentlich aber wird sein Beispiel über kurz oder lang nicht vereinzelt dastehen, sondern auch andere deutsche Großstädte zur Gründung ähnlicher Bildungsanstalten veranlassen.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0637.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)